von Lucia Vallerius aus Kradblatt 8/24
Wenn Fahrschulen mit Älteren konfrontiert werden
Irgendwann ließ mein Mann den Satz fallen: „Es wäre doch schön, wenn wir beide gemeinsame Motorradtouren unternehmen könnten!“ Okay, dafür gab es genau zwei Möglichkeiten: entweder kaufte er eine größere Maschine mit Sozius, oder ich kaufte mir selber eine. Da ich keine gute Beifahrerin bin, kam eigentlich nur Möglichkeit zwei in Betracht, es gab da allerdings eine nicht unerhebliche Hürde: ich hatte gar keinen Motorradführerschein! Altersmäßig war ich mit Anfang Fünfzig auch nicht mehr so wirklich „frisch“, um diese Sache anzugehen, aber ich dachte: „Probieren kann ich es ja wenigstens!“
Also begab ich mich zu einer Filiale der Fahrschule, die mich in jungen Jahren schon erfolgreich für den Führerschein Klasse 3 geschult hatte, um mich anzumelden. Die Mitarbeiterin musterte mich über den Rand ihrer Brille hinweg und fragte, ob es denn der „große A-Schein“ sein solle, oder ob mir der „kleine A2“ reichen würde. „Ja, keine Ahnung, was ist denn der Unterschied?“ fragte ich. Ich wurde geduldig aufgeklärt, dass seit dem Jahr 1979, als ich mit 18 meinen PKW-Führerschein gemacht hatte, die Fahrerlaubnisklassen anders kategorisiert worden waren. Es gibt längst nicht mehr die Klasse 3, sondern man hat jetzt die so genannte B-Klasse fürs Auto und anstatt die Klasse 1 die A-Klasse für das Motorrad. Der „kleine“ A2 erlaubt das Führen von Motorrädern bis 35 kW/48 PS mit der Option, später darauf aufzubauen. Ich wollte nicht zu sehr vorpreschen, sondern entschied mich voller Demut für A2 und unterschrieb den Schulungsvertrag. Nach Erbringung aller erforderlichen Unterlagen wie Sehtest, amtliche Genehmigung, Erste-Hilfe-Bescheinigung etc. ging es bald mit Theoriestunden los. Die Theorie mit abschließender Prüfung sei Schritt Nr. 1 bzw. Voraussetzung, überhaupt zum Praxisunterricht zu dürfen, wurde mir in aller Deutlichkeit gesagt. Praktische Fahrstunden seien nur von April bis Oktober möglich, da die Schulungsmotorräder im Winterhalbjahr eingemottet würden. Okay, verstanden! Es war inzwischen Anfang Mai, so dass ich mir Chancen ausrechnete, auch die praktische Prüfung noch in diesem Jahr ablegen zu können.
Mit Feuereifer machte ich mich online ans Lernen der Theorie. Schwer fiel mir das nicht, denn die Lektionen sind vielseitig und verständlich aufgebaut und beinhalten Test-Prüfungen, für die ich allerdings manchmal mehrere Anläufe brauchte. Unbefriedigend lief es mit dem analogen Unterricht, den Pflichtstunden zur Theorie: für Motorradfahrer fanden diese nur vereinzelt statt, und es mussten teilweise weite Anfahrtswege hierfür in Kauf genommen werden, weil die Stunden in unterschiedlichen Filialen der Fahrschule gehalten wurden. Sobald ich mich hier einfand, hob sich der Altersdurchschnitt der Anwesenden erheblich. Erstaunte, manchmal geringschätzige Blicke trafen mich, was ich meist ignorierte. Irgendwann fragte mich ein Mitschüler grinsend, ob ich den „Idiotentest“ bestehen müsse. Er hatte geglaubt, ich sei hier aufgrund einer gerichtlich/polizeilichen Weisung nach einer MPU (=Medizinisch-Psychologische Untersuchung) im Unterricht. Tja, falsch gedacht!
Unerträglich langsam zogen sich die Unterrichtseinheiten den ganzen Sommer hindurch. Stets wurde meine Frage nach Prüfungszulassung abschlägig beantwortet. Mir war längst klar, dass ich in diesem Jahr kein Date mehr mit „meinem“ Fahrlehrer haben würde. Aber der wirkliche Hammer erfolgte wenige Tage vor der Theorieprüfung beim TÜV. Ein Anruf eben jener Mitarbeiterin der Fahrschule, die mir vor Monaten die Anmeldepapiere über den Tresen geschoben hatte. Ich könne den Termin beim TÜV wieder aus dem Kalender streichen. Im ersten Moment war ich sprachlos, dann folgte die Erklärung: Man habe festgestellt, dass ich meine B-Fahrerlaubnis ja vor 1980 erworben hatte. Ja, und? Nun, räusperte sie sich umständlich, bevor sie weitersprach: in dem Fall sei eine Theorieprüfung gar nicht erforderlich! Wie bitte??? Ich hatte also den ganzen Sommer mit vollkommen überflüssigen Theoriestunden verplempert und war noch kein einziges Mal auf einem Schulungsmotorrad gehockt! Wofür ist eigentlich eine Fahr-Schule da?
Das war aber noch nicht alles an unguten Nachrichten, die mir die Fahrschule mitzuteilen hatte. Fakt ist, dass man ab Datum der amtlich erteilten Genehmigung, den Führerschein machen zu dürfen, zunächst 12 Monate Zeit hat, die Theorieprüfung abzulegen. Danach wiederum darf man sich ein weiteres Jahr Zeit lassen, die praktische Prüfung zu machen. Teil eins, die Theorie entfiel ja bei mir. Nun aber wurde es zeitlich eng, ich würde es nicht mehr schaffen, innerhalb der Frist ab Zulassung den praktischen Unterricht und die finale Prüfung zu bewältigen, denn inzwischen war es Ende September! Dies aber, so machte ich deutlich, sah ich nicht als mein Problem an, denn: wer hatte die Sache versemmelt?
Nach einigem Hin- und Her kümmerte sich die Fahrschule um Fristverlängerung und bot mir als Entschädigung noch eine Frei-Fahrstunde an. Die neue Frist wurde ab dem Datum der ursprünglich anberaumten Theorieprüfung festgesetzt, das war der 2. Oktober. Es mache nun ja keinen Sinn mehr, im Oktober noch mit Fahrstunden anzufangen, denn Ende dieses Monats werden die Schulungsmotorräder in die Winterpause geschickt, hieß es nun von Seiten der Fahrschule. Außerdem gebe es ohnehin einen Mangel an Klasse-A-Fahrlehrern. Ja, toll!
Die Wut in meinem Bauch grummelte den ganzen Winter hindurch und verflüchtigte sich erst, als ich im folgenden Frühjahr zur ersten Fahrstunde „eingeladen“ wurde. Im Team der Fahrschule habe man darauf geachtet, dass der Fahrlehrer „altersmäßig“ zu mir passe. Dafür hatten sie extra einen Altgedienten aus dem Ruhestand geholt, also wirklich: sehr aufmerksam! Dieter, so nenne ich ihn hier mal, gab sich sehr aufgeschlossen und bemüht, mir eventuelle Ängste zu nehmen. Er meinte, Motorradfahren sei wie Radfahren, das verlerne man nie. Der Vorteil des Alters sei außerdem, schwadronierte er weiter, dass man vorsichtiger, also nicht mehr so draufgängerisch sei wie in jungen Jahren. Stimmt wohl, denn die Autobahnstunden liebte ich nicht besonders, wenn Dieter mich bei 130 km/h über das Headset aufforderte, „doch endlich mal Gas zu geben“. Das Hütchenfahren hingegen, also der Slalom mit Pylonen war im Slow-Motion-Modus ein Spaß für mich, bei schneller Geschwindigkeit gelang er mir jedoch weniger gut. Ich übte es mit aufgestellten Plastikbechern dann zusätzlich sonntags auf einem Supermarktparkplatz bis ich das Zusammenspiel von Kupplung, Gas und Bremse beherrschte. Bereitwillig hatte mein Mann mir dafür sein Motorrad zur Verfügung gestellt.
Irgendwann kam dann der Tag, an dem Dieter mir bescheinigte, „prüfungsreif“ zu sein. Vorfreude und Aufregung hielten sich die Waage, als ich mich am Prüfungstag morgens pünktlich am verabredeten Treffpunkt einfand. Eigentlich unnötig, zu erwähnen, dass ich von den vier anwesenden Motorradprüflingen die mit Abstand älteste war, und übrigens auch die einzige weibliche Teilnehmerin. Meine und Dieters Geduld wurden auf eine harte Probe gestellt, denn der TÜV-Prüfer, ein junger Mann von vielleicht 35 Jahren, setzte mich ganz ans Ende seiner Liste. Es war kurz nach 11 Uhr, als er schließlich mit dem dritten Prüfling an den Treffpunkt zurückkam und uns zurief, er müsse jetzt erst mal eine Pause machen und Kaffee trinken gehen. Es war dann schließlich fast 12 Uhr mittags, als er zurückkam. Dieter gab ihm meine Unterlagen, der Prüfer inspizierte insbesondere meinen Personalausweis sehr genau, sah mich dann von oben bis unten an und sagte diesen Satz: „Sie wollen also in Ihrem Alter noch den Motorradführerschein machen?“ Mir lag eine flapsige Antwort auf der Zunge, aber die hielt ich zurück und antwortete stattdessen mit einem deutlichen „Ja!“. Doch der Prüfer hatte es mit seinen Worten geschafft, meine durch Nervosität ohnehin angekratzte Selbstsicherheit noch mehr zu schmälern.
Die Prüfungsfahrt ging quer durch die Stadt. Auf Haupt- und Nebenstraßen mit Rechts-vor-Links-Regelung, auf zweispuriger Straße mit Überholvorgang und schließlich weiter bis zu einem Gelände, wo ich die Grundfahraufgaben vorführen musste. Alles bis auf das schnelle Slalomfahren klappte, zunächst vergaß ich den Schulterblick, dann erwischte ich in der Wiederholung den letzten Leitkegel, und beim dritten Mal warf ich gleich zwei davon um. Dieters Stirn legte sich immer mehr in Falten und mein Mut sank. Auf der Rückfahrt sammelte ich weitere Fehlerpunkte, die mir der Prüfer am Schluss vorhielt: ein Mal überschritt ich die Geschwindigkeit (ohne es zu merken) und zuletzt übersah ich wohl eine Fußgängerin, die die Straße überqueren wollte. Naja, um es kurz zu machen: ich war durchgefallen!
Nach weiteren Fahrstunden und erneuter Wartezeit, nicht nur wegen Dieters Urlaub, sondern weil Prüfungstermine rar und andere Schüler „vorher an der Reihe“ waren, konnte ich schließlich Ende August noch einmal antreten. Inzwischen war ich bereits stolze Besitzerin eines eigenen Motorrades, denn ich hatte keinen Zweifel daran, dass es mir gelingen würde, den A-Schein zu bekommen. Dieses Mal war der Prüfer ein Mann etwa meines Alters, aufgeschlossen und zugewandt. Er begrüßte Dieter und mich freundlich und plauderte locker, dass es ihm eine Freude sei, mich zu prüfen! Das war mal eine Ansage, nicht zu vergleichen mit der seines Kollegen Monate zuvor! Die Prüfungsfahrt dauerte dann keine halbe Stunde inklusive aller Grundfahraufgaben und am Ende gratulierte mir der sympathische Mensch und wünschte mir viel Freude beim Motorradfahren.
Heute spielt es keine Rolle mehr, dass ich ein „Spätzünder“ in Sachen Motorradführerschein war. Geringschätzigkeit erfahre ich allenfalls, und dies äußerst selten, beim Vergleichen des Hubraums meiner 250er mit anderen Maschinen. Aber hey? Kommt es darauf an? Nicht bei mir! Auch wenn ich bei Bergfahrten oder beim Überholen langsamerer Verkehrsteilnehmer ab und zu von mehr Power träume: Ich genieße die Ausfahrten mit der Kawasaki „Estrella“ und meinem Mann an der Seite. Auf Geschwindigkeit bin ich nicht aus, eher auf schöne Strecken, egal ob in unserer Region oder anderswo in Europa.
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Kommentare
Ein Kommentar zu “Spätzünder …”
Erstmal,die Estella ist eine feine Maschine.Diese Fahrschule ist schon etwas seltsam.Die Prüfer sind eben Menschen mit Eigenarten.Damit muss man wohl leider leben.Einer so,der ändere so.Am Ende ist’s gut ausgegangen.Dies schreibt ein ehemaliger Fahrlehrer im Ruhestand.Viel Freude.