aus Kradblatt 6/23
Text: Marina Becker
Fotos: Thomas Krämer, Carmen Zornmüller und Torsten Thimm, ELSA

Lavendel und mehr …

Lavendel und Mohn, nicht nur dabei geht das Herz in Südfrankreich auf …
Lavendel und Mohn, nicht nur dabei geht das Herz in Südfrankreich auf …


A
m Abend eines sehr warmen Junitages treffen wir nach und nach bei Vanessa und Sigi in Valréas ein, einer Papstenklave in der Drôme, die aber zum Département Vaucluse gehört. Hier im Herzen der Provence haben die beiden Belgier vor 15 Jahren ihr neues Zuhause gefunden und einen alten Bauernhof von 1827 in mühevoller Arbeit und mit Liebe zum Detail zur „Maison d’Anvers“ verwandelt. 

Traumstraßen & Traumlandschaften
Traumstraßen & Traumlandschaften

Thomas, Carmen und Torsten sind mit dabei. Jochen von Endurofun Tours ist der Tourguide, der sich bestens auch ohne „elektronischen Schnickschnack“ zurechtfindet. Von hier starten wir zu einer fünftägigen Tour mit ca. 20 Stunden reiner Fahrzeit und ungefähr 770 km, die von den Tourismusverbänden der Region PACA (= Provence-Alpes-Côte d’Azur) organisiert wurde.

Sigi freut sich deutsch mit uns sprechen zu können, das er autodidakt erlernt hat und leider nicht so oft anwenden kann wie er es sich wünscht. Die beiden empfangen uns wie alte Freunde mit einem kühlen belgischen Bier, gutem belgischen Rock und einer frischen Dorade, die wir später mit regionalen Weinen genießen dürfen. Wir fühlen uns wohl und sind beinahe traurig, als wir am nächsten Morgen weiterfahren. 

Lavendeltraum. Nach einigen Kilometern müssen wir aber schon wieder anhalten. Obwohl ich seit fast drei Jahren selber im Süden Frankreichs wohne, habe ich bis dahin noch kein Lavendelfeld gesehen! Zugegeben, ich wohne nicht in einer für Lavendel bekannten Gegend, sondern im wilden Lozère, das klimatisch und geologisch überhaupt nicht geeignet ist Lavendel anzubauen. Nach ein paar Fotos müssen wir weiter, weil wir in Puyméras im „Institut de la Truffe“ erwartet werden.

Bargème
Bargème

Trüffelparadies. Hier erwartet mich eine große Überraschung! Bisher war mir Trüffel nur aus der Leberwurst bekannt, in der ich davon aber nichts gemerkt habe. Schon der erste Schritt ins Innere des Verkaufsraums war eine olfaktorische Sensation! Christopher, der Chef des Unternehmens, berichtet uns mit Begeisterung bei einer Führung von der Ernte und Verarbeitung der feinen Pilze. Zwei junge Mitarbeiterinnen opfern gut gelaunt ihre Mittagspause um uns kleine Leckereien mit den im Geschäft erhältlichen Produkten zuzubereiten. Und sie haben ihr Ziel erreicht. Ich bin angefixt! Auch jetzt, fast ein Jahr nach dieser Reise, kann ich mir nicht mehr vorstellen z. B. Salat immer ohne das gute Trüffelöl zu genießen! Am liebsten will ich noch lange dortbleiben und Trüffel schlemmen – dann aber fällt mein Blick auf mein Motorrad, das draußen vor der Tür geparkt ist und ich sehe die Sonne hoch am Himmel stehen. 

Erschreckende Schönheit. Die nächste Nacht werden wir in Sisteron verbringen. Dorthin gelangen wir über Sault, von wo aus man einen fantastischen Blick auf den Mont Ventoux (1909 Meter) hat, nach La­garde d’Apt, wo wir das „Observatoire Sirene“ besuchen. 

Erschreckend - alte Atomraketen-Silos
Erschreckend – alte Atomraketen-Silos

Auf dem Plateau d’Albion herrscht eine (für mich) bedrückende Atmos­phäre. Hier waren zu Zeiten des Kalten Krieges Atomraketen stationiert. 

Noch immer existieren die meterdicken Betonbehälter, in denen sie darauf warteten, gestartet zu werden. Die Atmosphäre ist hier besonders klar und fast frei von Lichtverschmutzung, weshalb sich dieser Platz hervorragend als Observatorium eignet. Übrigens können sich hier auch Privatpersonen für die Beobachtung von Himmelskörpern anmelden.

Porte de Provence. Unser nächstes Ziel ist das „Tor zur Provence“, Sisteron.

Wir entscheiden uns für den Weg dorthin für die Montagne de Lure (1825 Meter), die kleine Schwester des Mont Ventoux-Massivs, mit dem sie gemeinsam zu der Bergkette gehört, die die Haute-Provence von der Drôme-Provençale trennt. 

Wir passieren die Strecke nachdem eine Gewitterzelle abgezogen ist. 

Herrliche, leere, kurvige Straßen und spektakuläre Aussichten erwarten uns hier. Wir sind ganz aus dem Häuschen, weil das Licht nach einem Gewitter noch einmal doppelt so schön ist. Deswegen müssen wir auch mehrere Stopps einlegen um uns sattzusehen, was uns aber nicht gelingt, weil wir uns irgendwann auf den Weg ins Hotel machen müssen.

Sisteron ist ein Pflichtstopp, wenn man die Route Napoléon befährt. Die beeindruckende Zitadelle, die in der heutigen Form seit Ende des 16. Jahrhunderts besteht, existierte bereits in der Antike als Befestigung.

Bilderbuch-Atmosphäre. Kleine, feine Straßen, die uns zu einer Aussichtsplattform führen, von der aus man eine tolle Sicht auf die Landschaft hat, führen uns in den Ort Bras-d’Asse, wo wir unseren Flüssigkeitshaushalt in einer Bar mit einer sehr freundlichen und kommunikativen Bedienung regulieren. Dabei fällt mir auf, dass die Schraube meiner Auspuffhalterung sich verabschiedet hat. Glücklicherweise gibt es im Ort eine Autowerkstatt, in der mir ein Mechaniker ohne viele Worte die Halterung mit einer neuen Schraube befestigt. Er erwartet kein Geld dafür, aber als ich ihm etwas für die Kaffeekasse gebe, lächelt er mich breit an. 

Auf dem Plateau de Valensole mit seinen mit Mohnblumen gespickten Lavendelfeldern ist noch nicht viel los. Die Blüte hat gerade erst begonnen und das typische Violett ist noch nicht sehr kräftig. Ab Anfang Juli wird es hier deutlich voller. 

Wir erreichen Moustiers-Sainte-Marie, das mit Recht einen Platz auf der Liste mit Frankreichs schönsten Dörfern hat und im Sommer von Touristen stark frequentiert wird. Moustiers hat 700 Einwohner, in der Saison verdoppeln bis verdreifachen die Besucher das aber locker. Ich bin ganz hingerissen! Es ist ein wunderschöner, alter Ort mit einer Mischung aus kleinen Gassen, alten Gebäuden (z. B. einer katholischen Pfarrkirche aus dem 12. Jahrhundert) kleinen Geschäften und auch gastronomisch kommt man hier nicht zu kurz.

Gorges du Verdon. Am nächsten Morgen starten wir zu einem echten Highlight unserer Reise, das dem einen oder anderen schon bekannt ist: Wir fahren entlang der Verdonschlucht, die ein atemberaubendes Panorama bietet, sodass wir immer wieder anhalten müssen um zu staunen und zu fotografieren.

Eine Schiefer-Schildkröte von ELSA
Eine Schiefer-Schildkröte von ELSA

Kunst, Kultur und Architektur. Unser Weg führt uns nach Trigance, ein kleiner Ort, der auf 800 Metern Höhe mit seinen rund 200 Einwohnern auch den Beinamen „Tor des Verdon“ hat. Hier treffen wir auf Frédéric Lanore vom Dracénie Provence Verdon Tourisme, der uns nun ein wenig begleitet und uns mit viel Herzblut die Umgebung mit ihren Höhepunkten zeigt. Er fährt mit dem Auto vorweg und weist einen recht sportlichen Fahrstil auf, was uns sehr entgegen kommt. 

Über den Mont Lachens (1715 Meter) führt er uns zu einem weiteren Ort auf der Liste der schönsten Dörfer Frankreichs: Bargème. Der höchstgelegene Ort im Département Var ist eine Ansammlung von hochmittelalterlichen Gebäuden, die sich um die imposante Burgruine der Familie Pontevès scharen, die während der Hugenottenkriege jedoch reichlich Federn lassen musste. 

Aber das ist noch nicht alles. Wir lernen Elsa kennen, eine Künstlerin, die hier lebt und arbeitet. In ihrem Atelier lässt sie ihrer Kreativität und ihrer Begabung freien Lauf. Aus rohen Schieferblöcken werden hier unglaublich fein gearbeitete Skulpturen. Häufig finden Ausstellungen auf ihrem Gelände und in ihren Räumlichkeiten statt. Dafür müssen dann eben hin und wieder ihre Möbel ausgelagert werden. Elsa ist auf jeden Fall einen Besuch wert!

Jean-Paul zeigt uns Handwerkskunst aus Leder
Jean-Paul zeigt uns Handwerkskunst aus Leder

Später fahren wir zurück nach Trigance, machen jedoch eine Unterbrechung in Comps-sur-Artuby, wo wir auf der Terrasse einer Bar einen leckeren Sirup trinken. Zufällig treffe ich direkt gegenüber in einem kleinen Laden für Kunstgewerbe eine Bekannte. Sie ist auch Künstlerin mit einem Atelier in Trigance, das an ihr Wohnhaus angrenzt. Vor über 30 Jahren hat sie Deutschland den Rücken gekehrt und sich dort niedergelassen. Auch sie stellt Skulpturen her und hat schon des Öfteren mit Elsa zusammengearbeitet. Wir verabreden ein gemeinsames Essen am Abend.

Frédéric erzählt uns von einem Mann, der drei Gehminuten entfernt Leder bearbeitet. Wir horchen auf. Das passt noch in unser Programm. 

Als wir an dem geöffneten Geschäft ankommen, ist es verlassen. Ein Schild vor dem Eingang klärt uns auf: „Bin gleich zurück“ steht darauf. Angst vor Dieben hat er scheinbar nicht. Ein Blick ins Innere macht uns noch neugieriger als wir ohnehin schon sind. Wir beschließen ihm etwas Zeit zu geben und wiederzukommen. Später treffen wir ihn an. Jean-Paul ist ein echtes Unikum und passt in seine Zunft wie Popo auf Eimer. Er zeigt und erklärt uns was er dort tut. Was man bei ihm kauft, das hält ein Leben lang, versichert er mir. Und ich glaube ihm. Seine Arbeiten sehen sehr solide aus. 

Prinzessinnenfeeling. Die Nacht verbringen wir im „Château de Trigance“, wo wir auch die Künstlerin Christel wiedertreffen, mit der wir einen langen, lustigen Abend beiausgezeichnetem Essen und hervorragendem Wein verbringen. 

Besuch im Museum
Besuch im Museum

Das eindrucksvolle Bauwerk, dessen Errichtung im 11. Jahrhundert begonnen wurde, verfügt über richtige Prinzessinnengemächer. Auch wenn das Bad sehr modern ist, fühle ich mich wie im Märchen. Der Blick ins Tal des Jabron am nächsten Morgen ist unbeschreiblich. Das müsst ihr euch selber ansehen. Nach dem Frühstück treffen wir wieder auf den gut gelaunten Frédéric, der mit uns nach Salernes fährt, wo wir Matthias besuchen, der dort mit seiner Sophie eine Poterie betreibt. Wir sehen ihm zu, wie er mit flinken Fingern erst Ton zu Tassen formt und dann seine Gitarre im Gipsy-Style zum Klingen bringt. 

Unterwegs zeigt er uns noch den Ort Châteaudouble mit seinen zwei Schlössern, der durch seine Kieselsteinpflasterwege und seine Häuser aus dem 18. Jahrhundert mit ihren Gewölbepassagen besticht. Dann bringt er uns noch nach Villecroze, das für seine Tuffsteinklippen bekannt ist, in denen sich zahlreiche Tropf­stein­höhlen mit bis zu sieben Meter hohen Sälen befinden. In der Parkanlage stehen viele Bänke zum Verweilen, Familien kommen hierher um Picknicks zu machen und das Rauschen eines Wasserfalls ist allgegenwärtig. Wir setzen uns auf eine Bank und genießen schweigend.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen mit Frédéric in Salernes im „Le Resto de la Cuisine des Halles“, das tolle Leckereien für uns bereit, verabschieden wir uns von ihm und machen uns auf zur nächsten Station.

Le Moulin en Provence. Wir finden die ehemalige Ölmühle, die im 12. Jahrhundert von den Templern erbaut wurde und heute zum Hotel umgebaut ist, nur schwer. Sie liegt 12 km entfernt von Aix-en-Provence am Fuße des Montagne St. Victoire. Als wir an einem Parkplatz anhalten um uns neu zu orientieren, hält ein altes, zerbeultes Auto neben uns an und ein freundlicher älterer Herr fragt mich, ob wir die „Moulin en Provence“ suchen. Erfreut fahren wir hinter dem Mann her, der, wie sich herausstellt, der Besitzer des Hotels ist. Er hatte uns schon erwartet und wollte einmal schauen, wo wir bleiben. Wir verbringen einen gemütlichen Abend in familiärer Atmosphäre mit gutem Essen in einer idyllischen Umgebung mit einem liebevoll angelegten park­ähnlichen Garten. Hier lässt es sich aushalten …

Motor- und Olivenöl. Dann ist schon der nächste Morgen da und es geht weiter. Unser letzter Fahrtag bricht an und führt uns über wunderbar kurvige Sträßchen in Richtung Cadenet zur „Bastide du Laval“, einer Ölmühle. Hier wird uns die Produktion der Öle direkt an den verschiedenen Stationen nähergebracht. Mit einer Flasche feinstem Olivenöl im Gepäck geht es weiter nach Carvaillon zu „Renaissance Motorcycles“, wo alte Motorräder wieder flottgemacht und verkauft werden. 

Ausklang mit Weinprobe. Abschließend fahren wir über Gordes im regionalen Naturpark Luberon vorbei am Zisterzienserkloster „Notre-Dame de Sénanque“ aus dem 12. Jahrhundert zurück nach Valréas, wo wir schon von Sigi und Vanessa mit einem kühlen Getränk zurückerwartet werden. 

Zum Essen gehen wir heute aus und genießen in einem Restaurant in Valréas bei einer Weinprobe regionale Tropfen, die uns zu jedem Gang serviert werden.

Zufrieden lehne ich mich zurück und bedaure, dass die Reise schon fast wieder vorbei ist. Es war eine tolle Tour mit tollen Menschen, vielen interessanten und lehrreichen Stationen, unglaublich schönen Landschaften und natürlich kurvenreichen Straßen. Südfrankreich ist nicht ohne Grund meine Wahlheimat.

Montagne de Lure nach dem Gewitter
Montagne de Lure nach dem Gewitter

Streckenführung: Valréas – Vinsobres – Puyméras – Sault – Lagarde d’Apt – Banon – Saint-Étienne-les-Orgues – Montagne de Lure – Sisteron – Digne-les-Bains – Plateau de Valensole – Puimoisson – Sainte Croix du Verdon – Moustiers-Sainte-Marie – Castellane – Mont Lachens – Bargème – Trigance – Salernes – Saint-Antonin-sur-Bayon – Cadenet – Cavaillon – Valréas 

Tourguide:
Jochen Ehlers, endurofuntours.com

Übernachtung & Essen:
Valréas: Maison d’Anvers, maisondanvers.fr;
Sisteron: Le Patio de Sophie –lepatiodesophie-sisteron.com;
Moustiers-Sainte-Marie: La Bonne Auberge – bonne-auberge-moustiers.com;
Trigance: Château de Trigance – chateau-de-trigance.fr;
Salernes: La cuisine des halles »Le Resto« – zu finden bei facebook;
Saint-Antonin-sur-Bayon: Le Moulin en Provence – lemoulinenprovence.com;
Richerenches: Restaurant L’Escapade – alescapade.com 

Links zu Sehenswürdigkeiten:

  • Das Trüffelinstitut „Maison Plantin“, truffe-plantin.com 
  • Observatorium „Observatoire Sirene“, obs.sirene.com
  • Citadelle de Sisteron – citadelledesisteron.fr 
  • ELSA SCULPTEUR – elsa-sculpteur.com 
  • Christel Schlierkamp Sculptures – christel-schlierkamp.com 
  • Poterie – matthiasetsophie.com 
  • Ölmühle Bastide du Laval – bastidedulaval.com 
  • Renaissance Motorcycle – renaissance-motorcycle.com