aus bma 08/00

von Claus Ehrich

Das Lesen dieses Blattes animiert manchmal, selbst zur „Feder“ zu greifen. In meinem Fall war es der Artikel „Wenn der Vater mit dem Sohne…“ in der Ausgabe 9/99. Zwischen den ersten Zeilen des Artikels klingt es, als wäre nur noch eine Steigerung möglich: „Wenn der Vater mit seiner erwachsenen Tochter…“. Ich hatte in jenem Sommer das höchste Glück, mit meiner Tochter auf dem Motorrad durch Schottland zu touren. Und von dieser Reise berichte ich hier.
Die Idee zu dieser Reise reifte wohl bald ein ganzes Jahr in uns, wobei auch das Ziel nicht von vornherein feststand. Letztendlich gaben zwei Dinge den Ausschlag: 1. die problemlose Anreise von Hamburg nach Newcastle für uns Norddeutsche, 2. die Sehnsucht meiner Tochter nach der Farbe Grün, die in Schottland wesentlich häufiger vertreten ist als in ihrer derzeitigen Wohngegend – der Schweiz!
So lagen zu Weihnachten Reiseführer und Straßenkarte (Michelin) von Schottland neben Regenkombi und Tankrucksack unter dem Tannenbaum. Da meine Tochter zu dem Zeitpunkt kein eigenes Motorrad besaß, musste eines beschafft werden. Das Glück war uns in der Weise hold, dass ein Arbeitskollege uns wegen eigener Abwesenheit seine kleine Suzi (GN 250) zur Verfügung stellte. Und um es gleich vorweg zu sagen: Diese kleine Maschine erwies sich als ein ausgesprochen wendiger Klettermaxe, der sich hinter großen und schweren Maschinen nicht zu verstecken braucht.

 

Übernachtet und gekocht werden sollte in Jugendherbergen. Für alle, die eine Karte zur Hand haben, der Reiseverlauf an Hand der Schlafstätten: Broadmedows (Nähe Galashields/Selkirk), Newton Stewart (Galloway Forest), Ayr (Atlantikküste, Firth of Clyde), Inveraray, Loch Lochy (am Großen Graben Richtung Loch Nes, Uig auf Skye, Carbisdale Castle (nördlich von Inverness), Inverness, Braemar (mitten in den Highlands), Coldingham (Nordseeküste, Nähe Berwick-upon-Tweed).
In Newcastle angekommen, gab es kein Halten mehr. Die doch recht zahlreichen Biker lösten ihre Maschinen von der Schiffswand, wobei gleich erwähnt werden muss, dass die Art der „Befestigung“ nur für eine ruhige See geeignet ist! Die Motoren wurden gestartet, der Schiffsbauch dröhnte und ab ging’s ins Licht und in die ersten Kreisverkehre (roundabouts), in die natürlich links hineingefahren werden muss. Die Verkehrsführung und Beschilderung sind großartig, das Linksfahren ist eigentlich kein Problem, das Grüßen unter Motorradfahrern schon eher. Problematisch wird es manchmal beim Einfädeln in den fließenden Verkehr, darum: 1. erstmal gucken, wo die anderen Verkehrsteilnehmer hinfahren und 2. niemals Parkplätze oder Tankstellen auf der rechten Straßenseite anfahren. Die Aussicht, rechts weiterzufahren ist sonst sehr groß. Doch wir haben die Schotten als ausgesprochen rücksichtsvolle Fahrer empfunden, ganz anders als wir es von Deutschen leider gewohnt sind.
Zurück zur Reise, die wir nach circa 10 Meilen in der Regenkombi fortsetzen mussten. In Coldstream, im ersten schottischen Pub hinter der „Grenze“, gab es heißen Tee, und wir begannen, das „Rauspellen“ aus der Regenkombi zu üben. Die erste Jugendherberge, die wir anliefen, war sehr klein und wird im Sommer zeitweise von Aushilfsherbergseltern betreut. Der Herbergsvater Ken be- grüßte uns freudig, wir waren die einzigen Gäste. Sofort wurde der Kamin angezündet und die Herbergsmutter stellte er mit den Worten vor: „And this is meine Freundin!“. Das war sie auch für uns, denn sie half uns bei der Planung der nächsten Tage; man muss ja nicht jede Burg(ruine) besichtigen.
Am nächsten Morgen fuhren wir durch ein Tal (Glen), das bei Sonnenschein zauberhaft sein muss: dunkelviolette Heide, der Rest sattgrün, darauf grasende Schafe und zwischendrin der Grey Mare’s Tail Waterfall. Auch die Straßen – ein Traum für jeden Motorradfahrer, aber das sollte noch viel besser werden. Südlich von Dumfries stießen wir zum ersten Mal an den Atlantik, nachdem wir zuvor die Ruine der Sweet Heart Abbey besichtigt hatten. In der dachlosen Kathedrale aus rotem Sandstein befand sich ein Traum von einem Teppich: grünes, kurzgeschorenes Gras.
Bei Rockcliffs blickte die Sonne durch die Wolken, so dass ich meinte, auf die Regenkombi verzichten zu können. Die letzten Meilen durch den Galloway Forest Park belehrten mich dann eines besseren! Aber darauf sind die Herbergen mit Trockenräumen eingerichtet.
Ich will Euch nun nicht mit jedem Detail langweilen und stelle deshalb einige schöne Strecken vor sowie Dinge, die vielleicht für Nachahmer wichtig sein könnten.
Wir setzten westlich von Glasgow mit der Fähre nach Dunoon über. Nördlich von Dunoon verläuft eine wunderschöne grüne Strecke über die A880 zurück zur A815. Der Südhang vermittelt den Eindruck, man sei am Mittelmeer. Die Straße mündet in eine single-track-road, die dann über eine leichte Höhe führt. Einfach toll, zumal die Straßen – wie eigentlich überall – in einem sehr guten Zustand sind. Der Belag aber ist sehr rauh und kostet Gummi! Man kann es kaum glauben, aber das Lied „Mull of Kintyre“ von Paul McCartney begleitete uns sofort, weil es einfach die Stimmung wiedergibt. Du fährst auf dem Motorrad und singst, brüllst, summst dieses Lied ins Visier. Sowas habe ich noch nie erlebt.
Von Inveraray machten wir mit zwei BMW-Freaks einen Tagesausflug nach Kintyre und natürlich auch zur Mull. An der Ostküste ging’s runter – die ganze Strecke ist eine Achterbahn, Motorradlust pur! In Campbeltown trauten wir unseren Augen nicht: hier wachsen Palmen! An der Mull schien die Sonne und gab den Blick frei bis nach Irland, there was no „mist, rolling in from the sea“, wie Paul singt. Aber das erlebten wir auch noch.
Immer wieder landeten wir auf diesen einspurigen Straßen, auf die wirklich nur ein Auto passt und die nicht selten für Caravans und Wohnmobile gesperrt sind. Aber das ist es ja, was wir Biker suchen.
Nördlich von Inveraray (das Castle dort sieht aus wie in Disneyland) führt eine schmale Straße 40 Kilometer entlang dem Loch Awe durch Moore und Wälder. Neben der Piste lag ein Wohnmobil aus Augsburg – im Morast versunken. Ob die das wohl wieder flott bekommen haben? Ringsum üppigste Vegetation, ähnlich wie im Regenwald. Ja, und den Rest des Tages fuhren wir im Regen. Von Oban und Fort Williams haben wir praktisch nichts gesehen. Doch es sollte unser letzter Regentag sein!
Am folgenden Tag fuhren wir mit trockenen Klamotten Richtung Skye, vorbei an Eilean Dunon Castle. Wir berichten nicht von innen, denn… Hier muss mal kurz was zum Geld gesagt werden: Schottland ist teuer. Zum einen wegen des ungünstigen Kurses (1£ sind etwa 3 DM), und zum anderen bekommt man nicht den Gegenwert. Eintrittspreise (12 – 21 DM/Person) sowie die Übernachtungspreise in den Hostels (im Schnitt 27 DM/Person) sind horrend. Eilean Dunon Castle war jedenfalls auch von außen schön und weiter ging es Richtung Skye.
Über eine neue Brücke (Brückenzoll £2,90/Motorrad) ging es auf die Insel, wo wir gleich zu unserem Mittagskaffee in ein Restaurant einkehrten. An dieser Stelle ein paar Anmerkungen zu unserem Ernährungsplan: Alle Herbergen haben members kitchens, was bedeutet, dass keine Mahlzeit angeboten wird. So haben wir uns morgens und abends (warm) selbst verpflegt. Tagsüber gab es Obst und mittags heißen Kaffee oder Tee. In diesem Restaurant auf Skye wurde zeitgenössische schottische folkmusic gespielt (CD). Auch hier wieder das gleiche Gefühl: Die Musik passt hierher. Es ist so wie mit Wein, der im Anbaugebiet völlig anders (sprich: besser) schmeckt als zu Hause.
Skye ist eine atemberaubende, wilde Insel, auf der man wohl geboren sein muss, um überleben zu können. Wir haben die Insel komplett umrundet. Wasser in jeder nur denkbaren Form: Wasserfälle, Moore, Seen, schlängelde Flüsse, Quellen, Sümpfe und ringsherum das Meer.
Der nächste Tag war wieder ein Highlight für uns Motorradfahrer. Runter von der Insel ging es weiter in nordwestliche Richtung um das Loch Carron herum. Auf circa 5 Kilometer Länge stieg die einspurige Straße auf beinahe 700m an, um auf der Rückseite genauso schnell – nur kurvenreicher – wieder auf NN abzufallen.Und das alles bei strahlendem Sonnenschein, so dass wir uns in der Bucht von Applecross zum erstenmal mit T-Shirts in die Sonne legen konnten.
Die Weiterfahrt ging zunächst nach Norden, dann am Loch Torridon entlang bis nach Torridon. Das war eine der schönsten Passagen überhaupt. Dort, wo wir vom Atlantik Abschied nehmen mussten, begleiteten uns Berge, die von 0 auf über 1000 m anstiegen. Einfach toll für Norddeutsche, die die Harburger Berge für schier unüberwindliche Bollwerke der Natur halten.
Am Ende des Tages hatten wir im Hostel in Strathpeffer gebucht. Als wir gegen 19 Uhr nach unserer längsten Tagestour dort ankamen, empfing uns der einzige unhöfliche Herbergsvater und schickte uns einfach wieder weg, ohne auch nur Hilfe anzubieten. Dank Handy konnten wir auf Carbisdale Castle umbuchen. Eine weitere Stunde Fahrt im schnell kühler werdenen Abend führte uns zu einer nie gesehenen Herberge. Es handelt sich dabei um einen kompletten Herrensitz mit getäfelten Wänden, erlesenen Möbeln, tollen Stuckdecken und Unmengen an Originalgemälden und Marmorskulpturen. Hier parkten auch circa 20 Motorräder vor der Tür, so dass es schnell viel zu erzählen gab.
Einige Anmerkungen zu den hostels in Schottland sollen nicht fehlen. Es gibt sie in den Preisklassen von £6,50 bis £13,00. Alle haben eine self-cookers- (oder auch members-) kitchen und werden (mit einer Ausnahme) von durchweg freundlichen und hilfsbereiten Herbergseltern geführt. Fast alle Herbergen sind mit PC’s vernetzt. So konnten wir morgens unser nächstes Quartier buchen und bezahlen. Selbst dort waren noch Umbuchungen möglich, es wurde alles sehr flexibel gehandhabt. Per Camping zu reisen, ist wohl nur etwas für Hartgesottene. Wir waren abends froh, uns aufwärmen zu können und dankbar, wenn unsere Klamotten morgens wieder trocken waren.
Rein nach Inverness (Loch Ness) fuhr ich schon auf dem Gewebe meines Hinterreifens. Da gerade ein Feiertag und die Herberge belegt war, gab es zur Abwechslung mal „Bed & Breakfast”. Wir kamen bei sehr netten Leuten für 17 £ pro Person unter. Und das würde ich bei einer erneuten Reise des öfteren tun.
Die Highlands gen Süden fanden wir nicht so faszinierend (bergige Lüneburger Heide), was aber kein allgemeingültiges Urteil sein soll. In Edinburgh konnten wir kaum die vielen Menschen ertragen und fuhren, jeder ein Knöllchen für falsches Parken in der Tasche, auf Umwegen wieder zurück nach Coldingham / St. Abb’s Head.
Nach beinahe 3.000 Kilometern fielen wir uns in Newcastle um den Hals, und ein stolzer Vater und seine erwachsene Tochter hatten das Gefühl, ganz viel für ihre Beziehung getan zu haben.