aus bma 06/04

von Text & Fotos: Frank Sachau

Schleswig-Holstein Mit dem typisch norddeutschen „Moin, moin” begrüßt Schleswig-Holstein den Motorradwanderer auf seiner Tour zwischen Dithmarschen und Dänemark. Dort, wo das Land so flach ist, dass man schon Montags sehen kann, wer am Wochenende zum Kaffee kommt.
Ganz „sutje”, wie der Plattdeutsche das Wort „gemächlich” umschreibt, verlassen wir die Autobahn A7 bei Rendsburg und bringen unsere Motorräder auf den richtigen Kurs zur Westküste. Im hohen Gang führt unsere Route über die B 202 Richtung St. Peter-Ording. Zahlreiche Wasserläufe und Moore prägen die flache Landschaft. Bei Friedrichstadt, der alten Holländersiedlung, begegnen wir der Eider und der Treene. Auf ihnen haben die Wikinger ihre Drachenboote bis in die Nordsee gebracht, um den gefährlichen Weg um Skagen zu vermeiden. Den Landweg Haithabu – Treia legten die Boote auf hölzernen Rollen zurück.
Als erster Pausenstopp bietet sich der kleine Hafen von Tönning an. In Erwartung einer stolzen Bootsflotte stoppen wir am Hafenbecken die Maschinen. Doch Enttäuschung macht sich plötzlich breit. Als hätte jemand den Stöpsel aus der Badewanne gezogen, liegen die Boote auf einer ihrer Rumpfhälften im grauen Schlick. Das Wasser ist weg, wir haben Ebbe. Der Mond ist verantwortlich für den regelmäßigen Gezeitenwechsel im Wattenmeer – zweimal täglich kommt die Flut, zweimal am Tag fällt der Meeresboden trocken. Seit mehr als tausend Jahren befinden sich die Nordfriesen im ständigen Kampf gegen die Nordsee. „Lewer dot as Slav”, dieser Spruch zeugt vom Freiheitsdrang der Küstenbewohner, die keinem Herrn untertan sein wollten. Die Pflicht zum Deichbau war stärker als die Leibeigenschaft. „De nich will dieken, muss wieken” bedeutet nichts anderes, als Deiche bauen oder abhauen.

 

Schleswig-HolsteinAntike Land- und Seekarten belegen, dass der damalige Küstenverlauf ein ganz anderer war. Bei unzähligen Sturmfluten riss der „Blanke Hans” immer wieder Land mit sich, der Ruf nach Küstenschutz und Landgewinnung wurde laut. Die 18 Kirchen der Halbinsel Eiderstedt geben Auskunft über die Verzweiflung der Bevölkerung und deren Hoffen auf höhere Mächte. Die Pastoren hatten es nicht immer leicht mit ihren Alkohol liebenden Schäfchen. Ein Geistlicher erließ ein striktes Verbot. Die Friesen, gar nicht dumm, mischten sich Rum in ihren Kaffee, darauf kam ein Sahnehäubchen, um den Geruch zu verdecken. Doch eines Tages er-wischte der Pastor eine solche Tasse, trank und rief aus: „Ihr Pharisäer”. Das Getränk hatte seinen Namen. Hier die Rezeptur: 1/2 Tasse starker Kaffee, drei Stück Zucker, ein großes Schnapsglas Rum und obendrauf süße Schlagsahne. Aber – es folgt der erhobene Zeigefinger – nicht während der Fahrt trinken!
In den Jahren 1362, 1634, 1825 und 1962 strömte das Meerwasser in gigantischen Sturmfluten bis tief ins Land. Doch erst höhere Deiche und Unmengen Stahlbeton konnten der Nordsee Paroli bieten. Der imposanteste Schutzbau ist das Eidersperrwerk. Riesige Tore, die Siele, kontrollieren Ebbe und Flut, und verhindern seit 1973 das „Absaufen” der tief liegenden Landesteile. Als beliebter Motorradfahrertreffpunkt gilt der Kiosk am Südportal. Freie Parkplätze und rustikale Bänke laden zum Benzingespräch bei einer Tasse Kaffee ein. Den Panoramablick aufs Sperrwerk und das Katinger Watt gibt’s gratis.
Die vielen Köge, eingedeichtes Marschland, verhindern den Blick auf die Nordsee. Erst von der Deichkrone aus lässt sich der Nationalpark Wattenmeer mit seinen grauen Wassermassen betrachten. Die Einheimischen verulken gerne die Touristen mit der Mär vom Deichschaf, das mit unterschiedlich langen Beinen besser an den Deichschrägen laufen kann.
Zur Halbinsel Eiderstedt gehören der populäre Badeort St. Peter-Ording mit seinem schönen Sandstrand und draußen auf der Sandbank die urigen Stelzenhäuser, die bei Flut trockene Füße garantieren. Über allerkleinste verwinkelte Straßen mogeln wir uns bis an den Deich am Nordweststrand der Halbinsel, erklimmen die Höhe, erschrecken ein paar Schafe, und erfreuen uns am Anblick des rot-weiß geringelten Leuchtturms von Westerhever. Das von zwei Häuschen umgebene Seezeichen ist in der gesamten Bundesrepublik bekannt, denn das nordfriesische Leuchtfeuer macht mit in der Fernsehwerbung für das ostfriesische Jever-Pilsener. „Achtern Diek”, also hinterm Deich, tasten wir uns an-schließend bis nach Uelvesbüll vor, um über Tönning nach Wesselburen zu gelangen.
Eider-Sperrwerk Der ständig präsente Wind zerrt an unseren Bikes, bis wir in Büsum eintreffen. Wir folgen der Ausschilderung „Hafen”. Von hier aus starten die Ausflugsschiffe zur Fahrt nach Helgoland. Wir wollen aber nicht zur bekannten Insel in der Deutschen Bucht, sondern steuern eine der zahlreichen Fischbuden an und kaufen uns eine Tüte Nordseekrabben. Fingerfertigkeit und Geduld sind nötig, die kleinen Delikatessen aus ihren Chitinpanzern zu „pulen”. Gestärkt umrunden wir die Meldorfer Bucht. Unzählige kleine und große Windräder säumen die Straßen. In den achtziger Jahren wurde in Dithmarschen der „Growian” gebaut. Hinter diesem Kunstwort verbirgt sich eine als Versuchsprojekt errichtete „Großwindanlage”, deren Überreste heute als Museumsstücke zu bewundern sind. Schleswig-Holstein, das Land im Wind, schöpft riesige Energiemengen einfach aus der Luft – sogenannte Windparks versorgen die Region umweltfreundlich mit Strom. Doch nun zurück zu den kleinen Lebewesen im Meer. Das „Gold der Nordsee” wird von der größten Krabbenkutterflotte Norddeutschlands gefangen, die in Friedrichskoog ihren Heimathafen hat. In der Dunkelheit ziehen die Kutter ihre Schleppnetze durchs Wattenmeer, um die nachtaktiven Krabben zu fangen. Noch an Bord werden sie gekocht und laufen dabei typisch rot an. Ein Blick ins Lexikon verwirrt – Krabben sind Garnelen und gehören zur Familie der Krebse!
Über ganz andere, wesentlich größere Meeresbewohner freuen wir uns gleich nebenan. In der Seehund-aufzuchtsstation werden von ihren Müttern verlassene Seehundbabys, die sogenannten „Heuler” aufgezogen und später ausgewildert. Die eleganten Schwimmer werden dann sicherlich mit den gleichen Worten verabschiedet, wie wir: „Kiek mol wedder in” – schau mal wieder vorbei! Tschüs!

REISEINFO:

Unterkunft:
Landgasthof Lüders
Das Motto, den Norden „Erfahren”, hat sich die Familie Lüders auf die Fahne geschrieben. Wohnen unterm Reetdach, in angenehmer Atmosphäre. Regionale Küche. Auch Tagestouren ins Alte Land oder Ostfriesland möglich. Die Wirtsleute fahren selbst und geben gerne Tourentipps. Vergünstigungen für Motorradfahrer, u.a. DZ mit Frühstück, Du/WC und TV ab 60 Euro. Garage kostenlos.
Landgasthof Lüders, Humsterdorf 15, 25599 Wewelsfleth, Tel. 04829-1801, Fax 04829-901679, www.Landgasthof-Lueders.de

Literatur / Karten:
Baedecker Reiseführer „Schleswig-Holstein”. 320 Seiten, Farbbilder, Karten. Ideales Tankrucksackformat, inklusive Straßenkarte 1 : 200.000. ISBN 3-89525-906-3, 15,95 Euro.
HB Bildatlas, Band 159 Nordseeküste/Schleswig-Holstein. 120 Seiten, Farbbilder, Karten. ISBN 3-616- 06259-4, 8,50 Euro.
Motorrad Powerkarten „Deutschland”, Blatt 1 und 3, Good Vibrations Verlag. 12 Blätter einschließlich Tourerguide im Schuber, Maßstab 1 : 300.000, nahezu unkaputtbar, Preis 31 Euro. ISBN 3-932157-50-8. Die Karten sind im Buchhandel, im Motorradzubehörhandel oder unter www.tourershop.de erhältlich.

Informationen:
Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein GmbH, Walkerdamm 17, 24103 Kiel, Fon 01805/600604, Fax 01805/ 600644 www.sh-tourismus.de