aus bma 6/10

Text & Fotos Frank Sachau

Sauerland-Tour_1Mit der forschen Behauptung „Land der tausend Berge“ haben die Werbestrategen des Sauerlandes den Mund ziemlich voll genommen, denke ich, als unsere kleine Gruppe Kurs auf das Rothaargebirge nimmt. Schauen wir mal!

In die richtige Poposition rutschen unsere Allerwertesten ganz von alleine auf der 3-Sterne-Etappe vom Fredeburger Land durch die Saalhauser Berge bis nach Schmallenberg. Runde Kurven, klasse Teer, weite Blicke übers Land und malerische Weiler, die den Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ scheinbar täglich neu untereinander ausfechten. Durchs relativ enge Lennetal pfeilen wir auf der B 236 nach Lennestadt, wo wir am Ortsrand auf die Ausschilderung Bilstein achten.

Sauerland-Tour_2Auf dem Weg dorthin treffen wir auf die stark gewundene, schmale, aber gepflegte Stichstraße durch den Mischwald hinauf zum Aussichtsturm Hohe Bracht in 620 Meter Höhe. Seit mehr als 70 Jahren ragt das schlanke Bauwerk in den Sauerlandhimmel und beschert uns ein begeisterndes Rundum-Panorama. Bevor wir uns auf den Weg zum zweiten Hochpunkt unserer Tour machen, schlürfen wir noch einen Pott Kaffee im angeschlossenen Café. Um nach Benolpe zu gelangen, tasten wir uns auf zernarbtem Teer durch einen dunklen Forst. Die folgende Strecke vom nahen Kirchhundem in Richtung Bad Berleburg kommt anfangs zahm und relativ flach daher, geht dann aber ohne Vorwarnung ans Eingemachte. Der Anstieg zum Rhein-Weser-Turm hat voralpinen Charakter und weckt die Lust auf den sauberen Strich.

Mit dem Erreichen des Parkplatzes unterhalb des Turms haben wir den Kamm des Rothaargebirges erreicht. Auf dem rund 700 Meter hohen Westerberg verläuft die Wasserscheide, die dem hölzernen Aussichtspunkt seinen Namen gab: Westlich von uns fließt der Niederschlag in den Rhein, östlich in die Weser. 1932 wurde die Konstruktion in Rekordzeit errichtet. Und weil wir die sieben Etagen hinauf zu den Aussichtsfenstern auch in Rekordzeit geschafft haben, gönnen wir uns anschließend die zünftige Turmjause mit Pfefferbeißer, Räucherschinken, Gurken, Speck und Zwiebeln. Mit vollem Bauch geht’s bergab – und wie! Unten im Tal treffen wir auf die Eder, die bis nach Bad Berleburg mit der Straße auf Tuchfühlung geht.

 

Auf der B 480 streben wir nordwärts Richtung Winterberg. Aber nicht lange, denn bei Dödesberg folgen wir dem Lauf der Odeborn. Eine tolle Mopedstrecke, die landschaftlich in der ersten Liga spielt. Felder, Wiesen und Wälder säumen unseren Weg, auf den Koppeln grasen Kühe, Schafe und Pferde, die sich aber nicht vom Brummen unserer Motoren ablenken lassen. Wir kommen in Züschen raus, biegen links ab und kurven steil bergan nach Winterberg, dem beliebtesten Wintersportgebiet des Hochsauerlandes. Für unser weiteres Vorankommen wählen wir die Nebenstrecke über Silbach am Namenlosbach entlang, stoßen dann, politisch völlig unkorrekt, auf die Neger im gleichnamigen Tal, und erreichen mit der Ruhr zusammen Olsberg, unsere nordöstliche Wendemarke.

Sauerland-Tour_3Auf unserem Weg zurück ins Rothaargebirge kommen wir am Freizeitpark Fort Fun Abenteuerland vorbei. Doch wozu sollen wir Geld für Eintrittskarten verschwenden, wenn wir hier die Achterbahn kostenlos vor die Vorderräder geworfen bekommen? Bei Altenfeld treffen wir auf die Hochsauerland-Höhenstraße, der wir in einem großen Bogen gegen den Uhrzeigersinn bis kurz vor Schmallenberg folgen. Wieder erliegen wir dem Reiz der kleinen Landstraßen und büxen nach Holthausen aus. Im Ortskern, am Schieferbergbaumuseum, entdecken wir die Plastik der Bergmannskuh. Sie erinnert an noch gar nicht so lange zurückliegende Zeiten, als Ziegenhaltung das Überleben der sozial schwachen Bergmannsfamilien sicherte.

Mit der Sorpe tingeln wir gemütlich an einem Skulpturenpark und mehreren Forellenteichen vorbei nach Niedersorpe, reißen dann den Gasgriff auf und werden über Mittelsorpe und Obersorpe in Richtung Kahler Asten katapultiert. Der dritte anfahrbare Hochpunkt unserer Tour liegt auf dem zweithöchsten Gipfel des Sauerlandes (841 m), der durch die Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes bekannt geworden ist. Der Astenturm ist der Senior des Türme-Trios, er wurde schon im 19. Jahrhundert eröffnet. An schönen Tagen kommen die Motorradfahrer von weit her, um den herrlichen Blick über das Sauerland zu genießen.

Die Terrasse des Berggasthofs ist dann immer brechend voll. Ganz in der Nähe gluckert Nordrhein-Westfalens höchstgelegene Quelle, hier entspringt die Lenne, die später zum größten Nebenfluss der Ruhr anschwellen wird. Nicht nur das Quellwasser sucht seinen Weg bergab, auch wir gleiten in fließenden Bewegungen durch unzählige Kurven talwärts: Auf der Wahnsinns-Motorradstrecke Hochsauerland-Höhenstraße hinunter nach Gleidorf und anschließend durch das weite Tal der Leisse nach Reiste. Schöner Gruß an die Werbetexter – von wegen Land der tausend Berge. Es sind viel mehr! Und es ist ein offenes Geheimnis, dass die von westlichen Winden herangeführten feuchten Luftmassen sich gerade an diesen Mittelgebirgszügen abregnen. Woher sollten sonst die Wassermengen stammen, die von großen und kleinen Flüssen zu den Stauseen transportiert werden und dort der Energiegewinnung und Trinkwasserversorgung dienen?

Sauerland-Tour_4Der letzte Schluck Frühstückskaffee hat kaum den Adamsapfel passiert, da treiben wir unsere Maschinen auch schon in den verkehrsarmen Naturpark Homert. Einer jener Bergrücken, der die bleigrauen Wolken am Bauch kitzelt, bis sie sich vor Lachen ausschütten. Zusammen mit dem Salweybach schlängeln wir uns zwischen den Gipfeln Homert und Hasenknick hindurch, am Dörfchen Kuckuck vorbei in Richtung Finnentrop. Biegen jedoch vorher ab und gelangen auf einer gewundenen Landstraße nach Sankt Claas im landschaftlich überzeugenden Repetal. Mit schlechtem Gewissen, weil politisch inkorrekt, wedeln wir über Oberneger und Unterneger an den Südzipfel des zerklüfteten Biggesees im Naturpark Ebbegebirge. Die hiesigen, über 600 Meter hohen Berge machen manch fetter Regenwolken das Leben schwer und zwingen zur Entschlackung. Durch Olpe gelangen wir an das westliche Ufer der Talsperre, die in den Jahren 1956 bis 1965 entstand. Die aufgestaute Wasserfläche ist so groß, dass sich gleich zwei Fahrgastschiffe, die MS Bigge und die MS Westfalen darauf tummeln.

Ein paar Gasstöße später erreichen wir Finnentrop, wo die Bigge in die Lenne mündet, die dem Lennebergland ihren Namen aufdrückt. Doch vorerst kehren wir für ein kurzes Kurvenintermezzo noch einmal zurück in den Naturpark Homert: Die schmalen Teerbänder der menschenleeren Region um das Nest mit dem suboptimalen Namen Faulebutter zwingen unsere Reifenflanken zur verstärkten Mitarbeit. Mit beginnender Industrialisierung wuchs der Energie- und Wasserbedarf des aufblühenden nahen Ruhrgebietes. Zu Kaisers Zeiten wurden die ersten, vergleichsweise kleinen Talsperren errichtet, mit der Aufrüstung zum Zweiten Weltkrieg bedurfte es schon mächtigerer Stauseen. Und die Wirtschaftswunderjahre der Nachkriegszeit wären ohne weitere und größere Wasserspeicher undenkbar gewesen. Zusammen mit der Sorpe erreichen wir den gleichnamigen See, der um 1930 entstand und in die Größenklasse „Medium“ fällt.

Sauerland-Tour_5Unsere Pneus sirren über die regennasse Promenade des stark gewundenen, westlichen Ufers. Da kommt ein Schnellimbiss gerade recht. Bei einem Pott Kaffee lässt sich die weitere Etappe planen und ganz nebenbei können wir auf die Sonne warten, die sich im Kampf mit den grauen Wolken nicht wirklich durchsetzen kann. Querfeldein geht’s dann nach Arnsberg, der alten Hauptstadt des Herzogtums Westfalen, historisches Eingangstor ins Sauerland, dem „Land der tausend Berge“. Ebenso viele Bäume prägen den weitläufigen Naturpark Arnsberger Wald, an dessen Nordwestrand sich der Möhnestausee vor uns ausbreitet. Um einen besseren Überblick zu erhalten, rauschen wir aber erst einmal auf der B 229 bis zur Kreuzung mit der quer verlaufenden B 516. Hier steht der 18 Meter hohe Bismarckturm Delecke, dessen Bau im Jahre 1912 begonnen, aber erst zwanzig Jahre später vollendet wurde. Dieser besondere Aussichtspunkt ist während der Motorradsaison an Sonn- und Feiertagen geöffnet und bietet nicht nur unserer bunten Truppe ein beeindruckendes Panorama. Der XXL-Wasserspeicher hat schon über hundert Dienstjahre auf dem Buckel und wird auch gerne als Westfälisches Meer bezeichnet. Verschiedene Brücken lassen uns von Ufer zu Ufer springen, freundlich winken wir dabei dem vorüberziehenden Fahrgastschiff MS Möhnesee zu, dessen Kapitän prompt das Schiffshorn erschallen lässt.

Eine verwinkelte Landstraße nimmt uns mit in den dunklen Forst, führt uns an den Kahlenbergsköpfen und der bekannten Bilsteinhöhle vorbei bis zur Königin der Biere, besser gesagt an den reich verzierten Braukessel vor der Warsteiner Brauerei. Was nur wenige wissen: Die Gerstensaftproduktion ist im Sauerland weit verbreitet. Egal, ob kleiner Familienbetrieb oder großer Konzern, man kann stolz auf eine lange und meisterliche Tradition zurückblicken. Wir queren die Ruhr, die am südlichen Rand des Arnsberger Waldes mäandert, und erreichen den Hennesee.

Sauerland-Tour_6Geschmeidig wie ein lange getragener Lederhandschuh schmiegt sich die Uferstraße an das Wasserreservoir, das sich vor gut 50 Jahren einem Face-Lifting unterziehen musste und eine neue Sperrmauer spendiert bekam. Unterwegs konnten wir uns am Anblick einiger Kitesurfer erfreuen, die vom kräftigen Wind getrieben, von einer Schaumkrone zur nächsten sprangen. Doch nun sehnen wir uns nach anderen Schaumkronen: Die auf einem frisch gezapften Pils – natürlich aus dem Sauerland. Prost!

 

Reiseinfo:

Das Sauerland liegt östlich des Ruhrgebietes und gehört zum Rheinischen Schiefergebirge. Bekannte Wasserläufe, wie Ruhr und Eder, haben sich zwischen die bewaldeten, bis zu 850 Meter hohen Bergrücken gedrängt, malerische Kleinstädte verlocken zur Rast. Das Ebbegebirge, der Homert, das Lennebergland und der Arnsberger Wald sind landschaftlich reizvolle Erholungsgebiete, die ein dichtes Straßennetz sowohl für Anfänger, als auch für alte Hasen bereit halten.

Literatur und Karten:

Sauerland – Andreas Hülsmann. Sauerland ist Motorradland. Die zehn schönsten Routen durch das Land der tausend Berge bietet der handliche und informative Reiseführer aus dem Highlights-Verlag. 96 Seiten, ca. 50 Farbfotos, ISBN: 3933385164, Preis 11,90 Euro.

Motorrad Powerkarten „Mittel- und Westdeutschland“, Good Vibrations Verlag, 8 laminierte Blätter, Maßstab 1 : 250.000, nahezu unkaputtbar, ISBN 9783937418216, Preis 19,90 Euro.

Informationen:

Sauerland-Tourismus e.V.
Johannes-Hummel-Weg 1
57392 Schmallenberg
Fon 02974 96980
www.sauerland.com

Motorradtreffs:

Nirgendwo sonst scheint es mehr Treffpunkte zu geben, als im Sauerland. Ob wilder Treff an der Staumauer, am betagten Imbisswagen, im gemütlichen Biergarten oder im gepflegten Eiscafé – ein Biker bleibt selten allein. Also einfach drauf los fahren und offen für Benzingespräche sein.