aus bma 05/00

von Klaus Herder

Kein Feuerwerk, kein Trockeneisnebel, keine halbnackten Models – einfach nichts. Fast nichts, denn die Präsentation der Sachs Roadster 650 verläuft zwar völlig unspektakulär und sehr einfach, deswegen aber nicht weniger interessant. Ort des Geschehens ist das Nürnberger Centrum für Industriekultur, genauer gesagt das dort ansässige Motorradmuseum. Inmitten von Ardie, Mars und Co. feiert der fränkische Motorradbau Wiederaufer- stehung. In den zwanziger Jahren gab es in und um Nürnberg rund 50 Motorradhersteller. Mit der wankelmütigen Hercules W 2000 („Staub- sauger”) lief 1975 das vorerst letzte echte Motorrad von einem Nürberger Band.
Fürs Comeback sollte eigentlich die Ende 1998 als Prototyp vorgestellte Roadster 800 sorgen. Doch die kleine Schwester ist schneller: Statt des vom Suzuki VX 800-Twin angetriebenen Motorrads steht nun der 650er-Single vor der versammelten Journalistenschar.

 

Dem ziemlich aufgeregten Entwicklungschef Hartmut Huhn, eigentlich ein ganz ruhiger, bescheidener Zeitgenosse, merkt man den Stolz auf die Roadster 650 deutlich an: „Von der Idee bis zur Fertigstellung der Roadster 650 hat unser siebenköpfiges Entwicklungsteam nur zwölf Monate gebraucht. Die Japaner benötigen ohne Motor 26 Monate, bei BMW dauert das fünf Jahre.”
Zuerst einmal haben die Nürnberger recht geschickt kombiniert und machen daraus auch gar keinen Hehl. Der luft-/ölgekühlte Einzylindermotor kommt von Suzuki und treibt in ähnlicher Form die XF 650 Freewind an. Die Vorderradgabel liefert Paioli, und den Auspuff fertigt Lafranconi – beides namhafte italienische Zulieferer. Der Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr ist zwar eine Eigenkonstruktion, gefertigt wird das Teil aber bei MT in Italien. Dort lassen unter anderem auch Aprilia, Ducati und Moto Guzzi schweißen. Und da man gerade auf Einkaufstour war, wurden auch gleich Schalter und Hebel sowie die Bremsanlage (Grimeca) in Italien geordert. Im eigenen Konzern entdeckten die Nürnberger auch noch ein paar Puzzleteile: Federbeine von Sachs-Boge.
Die Roadster 650 ist nun aber kein seelenloses Sammelsurium irgendwelcher Zulieferteile geworden. Die Techniker um Hartmut Huhn taten es nämlich guten Köchen gleich und verfeinerten die Zutaten, woraus in der Kombination etwas völlig Neues entstand. Der Vierventil-Single leistet in der Suzuki-Originalversion nur 48 PS und bläst seine Abgase ungefiltert ins Freie. Sachs verpasste dem Eintopf ein Sekundärluftsys-tem, einen Doppelvergaser und vor allem das besagte Lafranconi-Megaphon. Die erstaunlich frei und kernig tönende Tüte ist denn auch hauptverantwortlich für die Leistungssteigerung auf volle 50 PS. Eine 34-PS-Version ist ebenfalls zu bekommen. Das Drosseln/Entdrosseln erfolgt über die Vergaserschieber und ist in knapp zehn Minuten erledigt.
Der Rahmen ist ebenfalls kein 08/15-Teil, sondern dank extra breiter Schwingenlagerung und ellenlanger Schwinge ein Musterbeispiel für Stabilität gebenden und trotzdem leichten Metallbau. Schade nur, dass die hässlichen Schweißnähte offensichtlich von Frau Bratbecker oder einem nahen Verwandten verbrochen wurden. Der Stabilität tut’s keinen Abbruch, doch das Auge fährt bekanntlich mit. Für den Sehnerv gibt es aber auch überaus erfreuliche Details. Zum Beispiel eloxierte Leichtmetallfelgen, die mit Edelstahlspeichen und Leichtmetall-Radnaben kombiniert sind. Stahlflexleitungen vorn und hinten sind serienmäßig, und der 20 Liter fassende und knieschluss- freundlich abgerundete Nylon-Tank kann nicht verbeulen oder rosten.
Die Sachs-Ingenieure hatten beruflich seit vielen Jahren nichts mehr mit großen Motorräder zu tun. Das entpuppt sich nun als echter Vorteil, denn die Roadster ist so einfach, so praxisgerecht gemacht, wie es eigentlich nur Maschinen sein können, die aus einer Zeit stammen, als der tägliche Weg zur Arbeit oder die Urlaubstour mit zwei Personen und Gepäck zum normalen Motorradfahrerleben gehörten. So gibt’s neben dem Seiten- natürlich auch einen Hauptständer serienmäßig. Fußrasten und Lenker liegen für eine tourensportlich-bequeme Sitzposition goldrichtig, und die Sitzbank ist angenehm straff gepolstert sowie breit und vor allem lang genug, um dauerhaft auch zwei Personen ordentlich Platz zu bieten. Dazu passend sind die Sozius-Fußrasten auch nicht auf Ohrläppchenhöhe, sondern schön weit unten montiert. Bevor wir es vergessen: Abblend- und Fernlicht strahlen hervorragend, die Spiegel geben exzellente Rücksicht, und die Ölstandskontrolle ist dank Schauglas ein Kinderspiel. Kette spannen? Dank genauer Markierungen an der Schwinge kein Problem. Die Sachs Roadster 650 darf übrigens 210 Kilogramm zuladen (BMW F 650 ST: 172 Kilo). Noch Fragen zur Alltagstauglichkeit?
Gestartet wird elektrisch. Der von einer Ausgleichswelle beruhigte Single springt spontan an, benötigt dann aber relativ lange die Choke-Unterstützung. Die Arbeit im Fünfganggetriebe geht japanisch-leicht vom Fuß. Ist der Einzylinder erst mal auf Temperatur gebracht, nimmt er ab 2000 U/min ruckfrei Gas an. Kräftig Zug gibt’s ab 3000 Touren, Um 5000 U/min schalten ruhigere Charaktere. Wer’s sportlicher mag, dreht bis zur Nenndrehzahl von 6800 U/min. Das maximale Drehmoment von durchaus üppigen 57 Nm liegt 600 Umdrehungen früher an. Der Motor ist ein Alleskönner. Wer gern bummelt, kann mit ihm untertourig cruisen. Papageienkombi-Träger genießen seine Drehfreudigkeit und die spontane Gasannahme. Etwas Besseres als der Suzuki-Single konnte Sachs motormäßig eigentlich nicht passieren. Rund 170 km/h Spitze sind klassenüblich. Knapp unter fünf Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 und glatte sechs Sekunden für die Durchzugsübung von 60 auf 100 km/h sind sogar spitzenmäßig.
Dabei hilft der Roadster 650 natürlich auch ihre extrem geringe Masse von vollgetankt gerade mal 170 Kilogramm. Die einzylindrigen Wettbewerber schleppen fast alle 20 Kilogramm oder noch mehr Zusatzgewicht. Der Benzinverbrauch liegt im Schnitt bei klassenüblichen 5,5 Litern Normal auf 100 Kilometern – und das bei durchaus flotter Fahrweise.
Das Sachs-Fahrwerk hat mit Masse und Motorleistung keinerlei Probleme. Dem Spieltrieb des Fahrers kommen nur die in der Federvorspannung fünffach verstellbaren Federbeine entgegen. An der Gabel lässt sich nichts verändern. Muss auch nicht, denn die Grundabstimmung ist goldrichtig: sportlich straff, dabei aber nicht unkomfortabel. Bei der Besohlung im üppigen Format 120/70-17 vorn und 160/60-17 hinten griffen die Nürnberger auf Pirelli-Gummis (Dragon MTR 23) zurück. Dieser Italo-Klebstoff erlaubt wunderbare Schräglagen, denen kein Bauteil störend im Wege steht. Die Sachs Roadster giert geradezu nach wilden Kurvenkombinationen, läuft aber auch bei Topspeed auf der Autobahn unbeeindruckt stur geradeaus. Die Grimeca-Vierkolbenzange nimmt die vordere 320-Millimeter-Scheibe gut dosierbar und auf Wunsch sehr heftig zwischen die Beläge, das 220-Millimeter-Pendant im Hinterrad gewährt solide Unterstützung.
Die Sachs Roadster 650 gibt es in Aubergine, Blau oder Schwarz für 12.490 Mark bei einem der 150 Sachs-Händler. Die Suzuki-Organspenderin kostet 1200 Mark weniger, potente Zwei- und Vierzylinder gibt’s bereits fürs gleiche Geld. Die Sachs Roadster ist ein rundherum gelungenes Motorrad, doch sie wird eine Randerscheinung bleiben. Das ist gut für Menschen, die ein Motorrad haben wollen, das nicht an jeder Ecke steht und trotzdem funktioniert. Und das ist auch die realistische Einschätzung der so wunderbar entspannt agierenden Verantwortlichen in Nürnberg. Sachs-Boss Rob van der Linden: „Sachs kann als kleiner Anbieter nur Nischenmodelle anbieten. Unser Ziel für das Jahr 2000 sind 1000 verkaufte Roadster 650.” Das sollte machbar sein, denn die Roadster ist einfach gut.