aus bma 08/02

von Rainer Sander

Mit der Harley nach Russland? Diese Aussage rief bei den meisten Kollegen nur Kopfschütteln hervor. Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich die Empfehlung bekam, eine zusätzliche Lebensversicherung abzuschließen und meinem Moped schon einmal Goodbye zu sagen. Björn von der Harley-Davidson Breitenfelde GmbH hat sich vorgenommen, jedes Jahr über Pfingsten, eine besondere Tour anzubieten. Treffpunkt war Donnerstag vor Pfingsten auf der Aral-Tankstelle vor Puttgarden um vier Uhr morgens. Wir waren zu neunt, darunter zwei Frauen und zwei BMW-Fahrer.

 

Pünktlich fuhren wir um 4.15 Uhr auf die Fähre nach Rödby und nutzten die 45-minütige Überfahrt zum Frühstück. Gut gestärkt begaben wir uns dann auf die etwa 200 Kilometer durch Dänemark bis Helsingör. Ohne Wartezeit konnten wir auf die Fähre nach Helsingborg und starteten anschließend die größte Etappe des Tages zwischen den Fähren von Helsingborg nach Stockholm mit rund 550 Kilometern Länge. Gegen 16 Uhr erreichten wir die Stadtgrenze Stockholms. Allerdings brauchten wir aufgrund von Berufsverkehr und kleinen Orientierungsproblemen noch fast zwei Stunden, bis wir den richtigen Fähranleger für die Überfahrt nach Finnland fanden.
Am nächsten Morgen in Turku angekommen freute sich Björn, dass er endlich etwas zum Schrauben gefunden hatte: Bei einer Kawasaki war der Gaszug gerissen. Der schwedische Biker war sichtlich erleichtert, als Björn seinen gut sortierten Werkzeugkoffer auspackte und sich des Problems annahm. So fuhren wir mit rund einer Stunde Verspätung ab.

 

Die Straßen in Finnland sind sehr gut und es war sonnig. So waren wir trotz ausgiebiger Pausen am Mittag an der finnisch-russischen Grenze. Obwohl gut vorbereitet, brauchten wir gute zwei Stunden, bis wir alle Formalitäten mit den Russen hinter uns gebracht hatten. 40 Kilometer hinter der russischen Grenze begrüßte uns Sergei (der Präsident des St.Petersburger Motorradclubs „Werewolf”) mit seinem Kollegen Olek und führte uns in unser Hotel nach St. Petersburg. Obwohl auch in Russland zumindest die Europastraßen gut asphaltiert sind, sahen wir in St.Petersburg aus wie die Schweine, da die Randstreifen nicht befestigt sind, die Lkw netterweise immer Platz gemacht hatten und somit Sand ohne Ende aufgewirbelt wurde. Gegen 19 Uhr Ortszeit konnten wir unsere Maschinen vor dem Hotel in einem eigens für uns aufgebauten Verschlag aus Metallgittern auf dem bewachten Parkplatz einschließen.
Am nächsten Morgen ging es mit deutschsprachiger Führung in einem Kleinbus auf Stadtrundfahrt. Dolmetscherin Katja erklärte uns dabei die geschichtlichen Hintergründe und Bauwerke in perfektem Deutsch. Die wirklich wunderschönen und imposanten Gebäude sind zum Teil restauriert, einige aber auch in schlechtem Zustand und ein wenig Farbe würde hier und dort schon Wunder wirken. Besichtigt wurden unter anderem der Winterpalast, die Eremitage, in der eine der weltgrößten Kunstsammlungen zu besichtigen ist, sowie die Peter- und Pauls-Festung (St. Petersburgs ältestes Gebäude), in der die Sarkophage der Zaren-Familie untergebracht sind.
Die Liste der Sehenswürdigkeiten ist lang, und man braucht weit mehr als zwei Tage, um diese phantastische Stadt mit ihren beeindruckenden Bauwerken zu erkunden. Die Straßenbahnen können z.T. nur Schrittempo fahren, da die Schienen in einem desolaten Zustand sind und eine höhere Geschwindigkeit, bei Versätzen von einigen Zentimetern in der Höhe und auch seitlich zum Entgleisen führen würde. Leider fehlte uns auch die Zeit für eine Fahrt mit der Metro, die zu den tiefsten weltweit gehören soll.
Die sozialen Unterschiede in Russland sind riesengroß: So erzählt uns Katja mit strahlenden Augen, dass sie mit ihrer dreiköpfigen Familie jetzt 20 statt vorher zehn Quadratmeter in einer Wohngemeinschaft zur Verfügung hat, während Olek im nächsten Satz sein im Bau befindliches 400 Quadratmeter großes Haus erwähnt. Nach einem kurzen Zwischenstopp am Hotel holte uns ein Taxi zum Abendbrot und Feiern ins Vereinslokal des Biker Clubs „Werewolf” ab, wo uns neben gutem Essen, Livemusik und Striptease auch Wodka und Whiskey bis zum Abwinken geboten wurde. Abgerundet wurde der Abend von einer Gesangseinlage des Sängers der Rockgruppe „Puschkings”, der uns stimmgewaltig von seinem Können überzeugte. Die russischen Kollegen trugen zwar zum großen Teil HD-Klamotten und hatten ihre Räumlichkeiten entsprechend geschmückt, gefahren wurden aber Japaner von der Hayabusa bis zur Royal Star. Reichlich beschenkt wurden wir an diesen Abend von unseren großzügigen Gastgebern mit Video- und Musikkassetten.
Am Sonntagmorgen waren wir mit einem Filmteam zu Videoaufnahmen mit Polizeiführung durch die Stadt verabredet. Einige Werewölfe begleiteten uns dabei mit Motorrädern und Pkw. Die Polizei vorweg, fuhren wir in Begleitung des Kamerawagens (der Kameramann saß im geöffneten Kofferraum und bekam bei jedem Schlagloch im Takt den Kofferraumdeckel auf den Kopf) im gemäßigten Tempo durch die Innenstadt. Nachdem die Dreharbeiten an der Küste des Finnischen Meerbusens beendet waren, übernahmen die Werewölfe die Führung der Tour. Wir beschlossen, in die 40 Kilometer entfernte Sommerresidenz Alexander des Großen, dem Petershof, zu fahren. Was folgte, lässt sich kaum in Worte fassen: Eine Kolonne mit einem Pkw vorweg, in der Mitte etwa 14 Motorräder und zum Abschluss ein zweiter Pkw, pflügte sich regelrecht durch die Automassen, über gullydeckelgroße Schlaglöcher, einige Zentimeter hochstehende Bahnschienen und aufgeplatzten Asphalt. Und das Ganze mit halsbrecherischen Geschwindigkeiten zwischen 120 und 140 km/h (in der Innenstadt wohlgemerkt).
Nach Besichtigung des traumhaften Sommergartens (den selbst einer der St. Petersburger Kollegen zum ersten Mal besuchte) machten wir uns auf den Rückweg. Diesmal allerdings ohne vorweg fahrenden Pkw, wodurch wir uns noch besser durch den Verkehr schlängeln konnten. Nebenbei gesagt, steht an fast jeder Kreuzung ein Polizeiwagen und hält Verkehrssünder an, jedoch war es nicht möglich festzustellen, was denn in Russland eine Verkehrssünde ist. Wir blieben jedenfalls trotz unserer Fahrweise verschont. Ausgerechnet Björn ging uns aus der Mitte des Konvois verloren, fand aber dank eines Taxifahrers pünktlich zum Essen wieder Heim.Nach dem exzellenten Essen wartete auf der Newa unser Schiff, mit dem wir eine Stadtrundfahrt auf Wasserseite machen wollten. Die Newa ist circa 70 Kilometer lang. Der Fluss fließt zu mehr als der Hälfte durch St.Petersburg. Nachts werden alle Verbindungsbrücken in der Stadt für die Großschifffahrt für einige Stunden geöffnet, so dass es nicht mehr möglich ist, die Newa zu überqueren. Auf dem Schiff gab es neben einer wunderschönen Stadtansicht selbstverständlich auch das schon bekannte Programm: reichlich Essen, Trinken und gute Laune.
Da es der letzte gemeinsame Abend vor unserer Abreise war, wurden auch einige Abschlussreden gehalten. Sergei betonte noch einmal, dass jeder Biker, organisiert oder nicht, bei ihnen willkommen ist. Nach der Bootsfahrt lud er uns noch in sein Vereinslokal auf einen Absacker ein. Da wir uns den berühmten „weißen Nächten” näherten, konnte man selbst um 23 Uhr noch ohne Blitz fotografieren, und auch morgens wurde es entsprechend früh hell.
Die Rückreise gestaltete sich ähnlich problemlos wie die Anreise, lediglich einmal hatten uns die Russen mit der Radarpistole aus einem Wäldchen heraus mit 115 km/h erwischt (erlaubt waren 90), es aber dank Björns exzellenter Zeichensprache bei einer Verwarnung belassen.
Da einer aus unserer Mitte eine russische Urkunde verloren hatte, brauchten wir für die Ausreise noch einmal rund anderthalb Stunden, was uns die erste Runde Drinks auf der Fähre nach Stockholm sicherte. Björn vertrieb sich derweil die Zeit damit, einen russischen Transporter zu zerlegen, da der Fahrer seinen Schlüssel abgebrochen hatte.
Die Rückfahrt durch Schweden fiel uns doch schwerer als die Hintour. Das Wochenende und die weißen (kurzen) Nächte hatten deutliche Spuren bei uns hinterlassen und bei dem einen oder anderen machte sich die Müdigkeit bemerkbar. Da wir keinen Zeitdruck mehr hatten, erhöhten wir die Sequenzen der Pausen und hatten gegen 21 Uhr in Puttgarden wieder deutschen Boden unter den Rädern.
Insgesamt haben wir in sechs Tagen über 3.100 unfall- und ausfallfreie Kilometer abgerissen und dabei zusammen rund 1700 Liter Superbenzin durch die Vergaser bzw. Einspritzanlagen gepumpt.