aus Kradblatt 1/15
von Bernd Lakeberg

 

Petersburger Gold Wing-Fahrt
Erlebnistour hinter dem ehemals Eisernen Vorhang

 

Russlandreise-am-ZollGeschafft! Über mir ein strahlend blauer Himmel. Um mich herum die scheinbar endlose Weite der Ostsee. Die Wing steht sicher festgezurrt unter Deck. Ich liege völlig entspannt an Deck der Autofähre und versuche, das Erlebte der letzten vierzehn Tage zu verdauen. Ich versuche ein Resümee dieser ganz anderen Urlaubsfahrt nach Russland zu ziehen. Einer Reise, die bisher noch nie da gewesene Eindrücke hinterlassen hat. Einer Reise voller Höhepunkte in ein vollkommen fremdes, mir unbekanntes Land. Mit meiner Wing war ich in Russland, genauer in Sankt Petersburg. Noch im Nachhinein ein unglaublich tolles Gefühl und dieses gewisse Kribbeln ist auch jetzt noch auf dem Heimweg und hier auf der Fähre allzeit präsent.

Dabei fing alles ganz normal an. Mit der Gold Wing schnell von Oldenburg nach Rostock. Dort auf die wartende Fähre gefahren und schon 25 Stunden nach der Abfahrt ging es in Hanko, Finnland, von Bord. Wir drei Motorradfahrer waren die ersten, die von Bord fuhren und auch die ersten, die nur wenige Meter später ins Röhrchen pusten mussten. Restalkoholmessung. Gut, dass wir den Abend nicht zu lange ausgedehnt hatten. Die folgende Passkontrolle ging ruckzuck und ich war zum ersten Mal in meinem Leben in Finnland. Die Fahrt über Land verlief völlig problemlos. Auf gut ausgebauten und gut beschilderten Straßen ging es bei wenig Verkehrsaufkommen Richtung Helsinki. Die permanenten Geschwindigkeitsbeschränkungen (40, 60, 80, 100 km/h) auf den breiten, gut ausgebauten und meistens schnurgeraden Straßen fingen langsam an zu nerven. Die Fahrerei war recht eintönig und die auf den vielen Schildern versprochenen Elche haben sich auch nicht blicken lassen.

AuferstehungskircheMich hatte eine seltsame Unruhe gepackt. Und dieses erzwungene, lahme Dahindüddeln passte mir absolut nicht. Je weiter ich gen Osten fuhr, umso stärker wurde die Unruhe. Helsinki wurde deswegen auch schnell auf der äußeren Umgehungsautobahn umfahren und weiter ging es nach Kotka, ca. 60 Kilometer vor der russischen Grenze gelegen.

Nach einem kurzen Aufenthalt in dieser finnischen Stadt ging es am Sonntagmorgen im Konvoi mit 27 Gold Wings aus aller Herren Länder zur finnisch/russischen Grenze. Schon sieben Kilometer vor der eigentlichen Grenze ließ der LKW-Stau Schlimmes ahnen. Aber unser Leader, der russische Interrep des GWCR (Gold Wing Club Russia), Mikhail Soldadenkov, fuhr unbeirrt an der langen Warteschlange vorbei. Die Ausreise aus Finnland ging blitzschnell über die Bühne. Aber leider sollte es so nicht weitergehen.

Einige hundert Meter später der erste Halt. Mikhail zeigte den beiden netten Damen irgendwelche Formulare und schon ging es weiter zur eigentlichen Grenze. Hier wurde es militärisch. In Dreierreihen aufstellen, NO FOTOS, und dann eine ganze Zeit nichts.

Mikhail verschwand nach und nach in verschiedenen Büros und stieß nach geraumer Zeit wieder zu uns und verteilte die wichtigsten Formulare in doppelter Ausführung. Die Texte auf Englisch waren schnell vergriffen, übrig blieben Formulare in kyrillischer Schrift und russischer Sprache. Aber das war im Prinzip egal, denn Russisch sprach von uns sowieso niemand. Also wurden die Ziffern und Buchstaben überall an gleicher Stelle auf beiden Zetteln gemacht. Keine Ahnung, was ich hier ausgefüllt habe.

Danach ging es mit alle Mann in ein kleines Büro. Für unseren geplanten Aufenthalt mussten wir 104 Rubel (ca. 3,50 €) pro Person zahlen. Der Einfachheit halber war dieses Büro gleichzeitig Wechselstelle. Ein herrliches Durcheinander gab es, als einige an der nächsten Station, der eigentlichen Zollabfertigung, nicht den richtigen Beleg vorzeigen konnten. Sie meinten, dass die nette Dame im Geldwechselbüro gleich die zu zahlende Taxe beim Wechseln abgezogen hätte. Hatte sie aber nicht bei allen. Hatte ihr schließlich auch nicht jeder ausdrücklich gesagt.

MC-TreffenAlso zurück, anstellen und warten – wem Anstellen schwer fällt, der lernt das in Russland – und den hoffentlich richtigen Beleg ergattern und dann bei der anschließenden Zollabfertigung wiederum… – genau – wieder anstellen und wieder warten!

Ich mach es kurz. Die Wartezeit war verdammt lang. Erst mehr als fünf Stunden später hatte es der letzte Winger geschafft und konnte von den Wartenden an der drei Kilometer hinter der Grenze liegenden, modernen Tankstelle mit Beifall empfangen werden.

Auf den jetzt folgenden 200 Kilometern durch ein riesiges, zusammenhängendes Waldgebiet machte sich ein erleichtertes Hochgefühl breit. Ich fahre mit meiner Wing durch Russland. Einfach irre. Noch vor wenigen Jahren bin ich nicht einmal auf einen solchen Gedanken gekommen. Aber jetzt, im Jahre 2006, machen es die Auswirkungen von Gorbatschow, Perestroika und Glasnost möglich.
Die Straße ist gut zu befahren. Immer wieder machen Baustellen deutlich: Hier bewegt sich was. Die viel gepriesene Aufbruchstimmung ist schon jetzt deutlich zu spüren.

BurnoutUnd dann Sankt Petersburg. Früher schon mal als Petrograd und dann als Leningrad bekannt. Mittlerweile eine Metropole, die vor ca. 300 Jahren nach einer Vision Zar Peter des Großen am Reißbrett entstand und zur glänzenden Hauptstadt des Zarenreiches gemacht werden sollte.

Das heutige Sankt Petersburg ist inzwischen zur großen Kulturmetropole geworden. Museen, Paläste, Kirchen, Kathedralen und Klöster, z. T. noch aus der Zarenzeit, glitzernde Shoppingmeilen, prachtvolle Theater und Konzertsäle wie sie auch in westeuropäischen Hauptstädten wie Berlin, Paris oder London zu finden sind, warten auf unzählige Besucher aus aller Welt. Neben diesen teilweise von der UNESCO unter Schutz gestellten Kulturgütern gibt es aber auch ganz anderes zu entdecken. Stille Winkel, in denen der interessierte Besucher auf den Spuren Puschkins oder Dostojewskis wandeln kann. Unzählige, seelenlose, riesige, marode Plattenbauten stehen neben gewaltigen, modernen Wohnsilos und bieten Wohnraum für die mehr als sechs Millionen Einwohner zählende Stadt.

Die heimliche Hauptstadt Russlands. Die Märchenwelt der Zarenfamilie Stroganoff. Das so oft als Venedig des Nordens bezeichnete Juwel, ist eine faszinierende Stadt voller Gegensätze.

zwei-SchlachtschiffeUnvorstellbarer Reichtum lebt neben brutaler Armut und Perspektivlosigkeit. Arme, offensichtlich hungernde Menschen im Dostojewski Viertel (Heumarkt) suchen verschämt nach Lebensmittelresten in Mülltonnen. Neureiche Angeber in riesigen Stretchlimousinen am Newskij Prospekt protzen ungehemmt mit ihrem Reichtum. Der geschniegelte Yuppi im gepimpten Porsche Cayenne, der geschäftig Laptop und Handy gleichzeitig bedient, verkörpert rücksichtslos das Glaubensbekenntnis dieser Stadt: Schaut alle her, ich bin reich, ich bin toll, ich bin der Größte.

Es ist unglaublich, wie lebendig und animierend diese Stadt dabei auf den Besucher wirkt. Schon nach zwei Tagen Sankt Petersburg bewegen wir uns völlig normal in diesem Menschenstrom. Auch die anfänglichen Bedenken vor dem Verkehrschaos sind nicht mehr da. Wir fahren mit unseren Wings mitten durch und in Sankt Petersburg herum, wie in jeder anderen europäischen Großstadt auch. Und eine Fahrt mit der U-Bahn gelingt dank eines einfachen Bedienungssystems problemlos. Beeindruckend die Fahrt auf Rolltreppen in den teilweise 100 Meter tiefen Untergrund. Die U-Bahn-Stationen sind ausgesprochen sauber. Keine Graffitis, keine Zigarettenstummel, Kaugummis, Trink- und Essbecher. Alles ist picobello sauber.

erste-Reihe-beruehmte-AmerikanerUnvorstellbar die nackten Zahlen der Sehenswürdigkeiten dieser Stadt: Mehr als dreihundert Museen, Theater, Konzertsäle, Kirchen, Paläste, Parks und berühmte Brücken warten auf Besucher. Einzigartig auf der ganzen Welt die gewaltige Kunstsammlung der Eremitage mit über drei Millionen Ausstellungsstücken in den Prachtsälen des Winterpalastes. Großartig und imposant der vor dem Winterpalast gelegene Schlossplatz mit der Alexander-Säule. Unvergleichlich die herrlichen Ausblicke von der Kuppel der Isaakskathedrale auf die goldene Turmspitze der Admiralität, auf den Dekabristen-Platz und auf das Reiterdenkmal von Zar Peter dem Großen.
Unglaublich die äußere Schönheit und die innere Pracht der Auferstehungs- oder auch Erlöserkirche am Gribojedow-Kanal. Über 25 Jahre währten allein die Bauarbeiten an dieser Kathedrale. Mehr als 20 unterschiedliche Gesteinsarten wurden allein im Innenraum auf einer Fläche von gut 7000 Quadratmetern zu unglaublichen Mosaiken verarbeitet. Und diese wichtigen Sehenswürdigkeiten sind bequem zu Fuß zu erreichen. Ein Highlight jagt das nächste. Allein eine Aufzählung der wichtigsten Kulturgüter von Sankt Petersburg würde den Rahmen einer Reisereportage sprengen.

So sei abschließend nur noch auf die vielen Flüsse und Kanäle, die Sankt Petersburg durchziehen und auf die entsprechend kunstvollen Brücken mit prächtigen Verzierungen hingewiesen.

PetersburgAber auch außerhalb der Stadt finden sich sehenswerte Bauten und Denkmäler. Absolut unglaublich der zur Schau gestellte, scheinbar unermessliche Reichtum der Zaren und der von Kaiserin Katharina. Ihre Schlösser, Sommerresidenzen, Landsitze und Paläste, diese unglaubliche Pracht kann man nicht beschreiben. In diesem Zusammenhang sei nur der Hinweis auf den Katharinenpalast in Zarskoje Selo und auf den Peterhof mit seinen Fontänen und Kaskaden stellvertretend für vieles Sehenswerte genannt. Das alles muss man sich einfach mal ansehen. Eine deutsche Touristin vor dem Sommerpalast. „Ich habe das da drinnen nicht mehr ausgehalten. Das ganze Gold. Das erdrückt mich total. Mir ist richtig schwindelig.“

Gut beraten ist sicherlich der Tourist, der nach dem Motto handelt: Weniger ist mehr. Denn ansehen kann mich sich im normalen Urlaub eh nur einen kleinen Bruchteil der einmaligen Sehenswürdigkeiten. Besser ist es dann schon, sich im Vorfeld zu Hause soweit zu informieren, dass man sich persönliche Prioritäten setzt. Sonst könnte es einem leicht so ergehen, wie einem Touristen aus Dresden: „Ich bin jetzt schon den dritten Tag im Winterpalast und habe noch nicht einmal die Hälfte der großen Eremitage geschafft.“ Na ja, dafür sah er aber ganz schön geschafft aus.

SchlossbesichtigungDie acht Tage Sankt Petersburg verfliegen im Zeitraffertempo. Und leider stehen wir viel zu schnell wieder an der russisch/finnischen Grenze. Diesmal haben wir Glück. Es ist wenig los. Alle Papiere sind vollständig. Nach nur dreißig Minuten sind wir durch. Leider hat heute der finnische Grenzbeamte wohl so recht keine Lust. Aber nach weiteren dreißig Minuten liegt auch dieser Grenzübergang hinter uns. Unsere kleine, aus sechs Leuten bestehende Gruppe, löst sich auf. Jeder hat seinen Heimweg unterschiedlich geplant.

All das zieht jetzt wieder vor meinem geistigen Auge vorüber, während mich die Autofähre nach Deutschland bringt. So richtig fassen kann ich das Erlebte noch gar nicht. Das braucht wohl noch etwas an Zeit, diese vielen unterschiedlichen Eindrücke zu verarbeiten. Und dabei habe ich nur einen winzigen Bruchteil von diesem riesigen und faszinierenden Land gesehen. Und erst jetzt, auf der Fähre, fällt mir auf, dass ich von „Mütterchen Russland“ eigentlich fast gar nichts gesehen habe. Zu vielfältig und beeindruckend waren die Eindrücke der Kulturmetropole Sankt Petersburg.

Kurzes Fazit: Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich wieder einmal gezeigt: Man sollte sich auf keinen Fall von irgendwelchen „Schlaumeiern“ im Vorfeld beunruhigen lassen. Hinfahren und sich selber ein Bild machen. Nur das zählt. Nur keine falsche Scheu!
Do Swidanija Russia – Ich werde mit Sicherheit wiederkommen!

 

REISEINFO: Diese Reise fand bereits im August 2006 statt. Mittlerweile haben sich aber verschiedene Veränderungen ergeben, nicht nur durch die angespannte politische Lage aufgrund des Ukraine-Konflikts.
Wir raten dringend dazu an, sich über aktuelle Bestimmungen nicht nur bei der Vorplanung sondern auch noch mal direkt vor Reiseantritt zu informieren. Hier kann z.B. der ADAC weiterhelfen.

Devisen: Der Wechselkurs des Rubel beträgt aktuell (17.12.2014) z.B. 1 Euro zu 85,9 Rubel. Zum Zeitpunkt der Reise bekam man für einen Euro nur 33 Rubel! In den Medien wird von einem Kaufrausch der Russen berichtet, die durch Anschaffung von Sachwerten dem Kursverfall begegnen wollen. Die drastische Leitzinsanhebung der russischen Zentralbank führte bisher nicht zum gewünschten Erfolg.

Fähre: Die von Bernd genutzte 25-Stunden-Fährverbindung von Rost–ock nach Hanko gibt es so mittlerweile nicht mehr, allerdings laufen verschiedene Reedereien von Rostock aus mit RoRo-Fähren Helsinki an und eine Linie nach Hanko besteht weiterhin. Hier kann auch ein Reisebüro bei der Buchung helfen.

Entfernung/Strecke: Streckenlänge ca. 4000 km, gefahrene Kilometer ca. 2200. Für die gesamte Tour sollte man mindestens 14 Tage, besser drei Wochen, Zeit zur Verfügung haben. Aus Zeitgründen wurde der geplante Rückweg über Tallinn, Riga, Klaipeda und dann mit der Fähre nach Rostock verworfen.

Übernachten: Hotelzimmer kosteten 2006 ab ca. 50 €/ÜF aufwärts. Es ist aber kein Problem, Hotels für das Drei- und Mehrfache zu finden.

Camping: Camping Motel Olgino,
Sankt Petersburg, ca. 10 €
Primorskoye Highway E18
Sankt Petersburg, Russia, 197229,
Telefon: +7(812) 633 0205
Internet: www.hotel-olgino.ru/hotel-
olgino.nsf/en/Camp
E-mail: reservation@hotel-olgino.ru

Essen/Trinken: In Sankt Petersburg gibt es von Fast Food, über typisch russische Hausmannskost bis hin zum Edelmenü alles, was das Herz begehrt. Auch hier gilt wie überall: Je exklusiver, desto teurer. Sankt Petersburg ist keine „billige“ Stadt.

Benzinkosten: Tanken ist vergleichsweise günstig. Durchschnittspreis ca. 65 Cent/Liter (Stand August 2006). An den zahlreichen Tankstellen muss fast immer mit Rubel bezahlt werden.

Telefonieren: Der Empfang ist sehr gut. Gesprächskosten fürs Handy bewegen sich in astronomischen Höhen.
Straßen: Die Hauptstraßen nach Sankt Petersburg, die Straßen in der Stadt und in den Randgebieten sind überwiegend richtig gut, häufig vierspurig. Es gibt allerdings viele Baustellen. Seit September 2006 gilt für die Autobahn: Ring frei um Sankt Petersburg.

Das Fahren in der Metropole ist ähnlich wie in jeder anderen Großstadt. Allerdings werden zwei Fahrspuren durchaus in der Rushhour von vier bis fünf Fahrzeugen gleichzeitig und irgendwie nebeneinander benutzt. Eine vorausschauende, aber durchaus zügige Fahrweise ist zum Weiterkommen erforderlich. Außerhalb der Stadt enden Nebenstraßen abseits von der Hauptstraße schnell und gehen meistens übergangslos in unbefestigte, mit der Gold Wing nicht zu befahrende Wege, über.

Besonderheit: Überall säumen Polizeiposten den Weg. Wenn man den verschiedenen Medien glauben darf, werden Touristen häufig willkürlich zur Seite gewunken und mit deutlichen Sanktionen belegt. Wir haben den Rat unseres Taxifahrers befolgt: Immer wenn ein Polizeiposten in Sicht ist, ganz interessiert zur anderen Seite schauen und weiterfahren. Kombiniert mit einer entsprechend rücksichtsvollen Fahrweise gab es für uns keine Probleme. Viele Russen nutzen Dashcams für Verkehrsaufzeichnungen.