aus bma 01/03

von Manfred Stephan

Manfred + KugelUnsere Tour wird kurz und knapp geplant: einmal getroffen, Zeitraum bestimmt, Fahrtroute festgelegt und ein grobes Ziel anvisiert: Mecklenburg-Vorpommern soll es diesmal sein. Wir wollen vier Tage lang die Insel Rügen und die Mecklenburger Seenplatte abfahren.
Los geht es sonntags bei strahlendem Sonnenschein. Vorgenommen haben wir uns eigentlich eine Route über die Autobahn Berlin – Hamburg bis zur Abfahrt Talkau und dann über Landstraßen nach Mölln und Ratzeburg bis zur A 20, Anschlussstelle Schönberg. Kugel, Berlin kundig, übernimmt mit seiner BMW RT 1100 die Führung. An der Anschlussstelle Glinde fällt auch mir dann auf, dass wir uns auf der verkehrten Autobahn 1 befinden und auf Lübeck zubewegen. Ganz verkehrt ist das für unsere Anreise zwar nicht, aber wir wollen den dichten Verkehr um Lübeck vermeiden. Glücklicherweise ist dort morgens um diese Uhrzeit kaum Verkehr und wir kommen schnell auf die neue A 20 Richtung Rostock – nur eben von der anderen Seite. Kilometerweit fahren wir, ohne das uns dort überhaupt mal ein Auto begegnet. Und das mitten in Deutschland!
Zum Zeitvertreib testet Kugel gelegentlich die Leistungsfähigkeit seiner BMW, während ich mich – vollgepackt mit Topcase, Gepäckrolle auf dem Sozius und dem hochgefalteten Tankrucksack – mit heftigen Seitenwinden herumschlagen muss. Als wir endlich von der Autobahn runter sind, steht uns ein scheinbar ewig dauernder Trip gut 100 Kilometer auf der vollgeproppten Landstraße (B 105) bis nach Rügen bevor.

 

In Stralsund angekommen sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Insel Rügen. Hier hat es geregnet und der Himmel sieht auch nicht gerade aus wie bei unserer Abfahrt. Wir steuern den erstbesten Campingplatz gleich am Anfang von Rügen in Alte Föhr an und bauen unser Zelt auf. Offensichtlich sind wir eine Attraktion, denn unsere Campingnachbarn schauen uns neugierig zu. Kaum sind wir fertig, fängt es auch schon an, wie aus Eimern zu schütten. Ein Anruf daheim bestätigt unsere Befürchtung: Zuhause ist bestes Grill- und Badewetter. Na toll! Es regnet die ganze Nacht in Strömen.
AlleeAm nächsten Morgen werden wir durch lautstarkes Krächzen einer Krähenkolonie geweckt, dafür strahlt aber wieder die Sonne. Nach dem Frühstück geht es los zum Jagdschloss Granitz. Auf dem Weg dahin geraten wir in einen unscheinbaren Stau. Mit unseren Motorrädern können wir vorsichtig an den haltenden Autos vorbeifahren und müssen feststellen, dass dieser Stau gut vier Kilometer lang ist. Wie wir später erfahren, gibt es nicht selten hier Wartenzeiten von anderthalb Stunden – und das morgens auf einer Landstraße!
Der Weg zum Schloss führt über die Deutsche Alleenstraße. Kilometerweit schlängelt sie sich an Feldern vorbei, und wir genießen die Fahrt unter meterhohen dichten Bäumen. Die freundliche Dame am Parkwächterhaus winkt uns durch und wir brauchen für das Parken nicht bezahlen. Eine Bimmelbahn fährt sechseinhalb Kilometer für 4,50 Euro hinauf zum Schloss. Die gut zweieinhalb Kilometer Fußweg bergauf wollen wir uns aber ersparen. Oben angekommen müssen wir feststellen, dass auch irgendwo ein offizieller Weg hier hinaufführt, mit dem wir das Schloss auch mit unseren Motorrädern besser und günstiger hätten erreichen können. Zu spät.
Das Jagdschloss Granitz befindet sich auf dem 107 Meter Tempelberg. Das kastellartige Schloss mit den vier Ecktürmen und dem 38 Meter hohen Mittelturm diente einer Putbuser Fürstenfamilie zu Repräsentationszwecken. 154 gusseiserne Stufen führen auf die Aussichtsplattform im Mittelturm. Bei klarer Sicht hat man bestimmt einen tollen Blick über Rügen. Heute ist es leider etwas trübe.
Wir besichtigen die Räumlichkeiten und eine dort dauerhaft ansässige Jagdausstellung. Kurze Zeit später starten wir wieder die Motoren und fahren Richtung Binz. Vom Jagdschloss aus, ist es nur ein Katzensprung. Wir überqueren den Bahnübergang des „Rasenden Rolands”. Diese Kleinbahn fährt seit mehr als 100 Jahren über die Insel. Damals forderten die Besitzer der großen Güter und Hoteliers der Insel eine Eisenbahn für den Transport ihrer Kartoffeln und Zuckerrüben bzw. zum Transport der Touristen in den verkehrsmäßig wenig erschlossenen Süden und Norden Rügens. Das gesamte Streckennetz war fast 97 Kilometer lang. Ende 1960 wurde der Betrieb bis auf die ca. 24 Kilometer lange Teilstrecke Göhren – Putbus, die heute noch zu touristischen Zwecken betrieben wird, eingestellt und 1975 zum Denkmal der Produktions- und Verkehrsgeschichte erklärt worden.
In Binz finden wir mit dem Motorrad kaum einen Parkplatz. Nachdem wir das Problem dann nach einigen Irrfahrten gemeistert haben, besichtigen wir die Seebrücke und spazieren die Promenade entlang. Alles ist vom Feinsten! Die Pflastersteine, die Laternen, die Straßen und auch die Bauwerke sind zwischenzeitlich zeitgemäß renoviert und restauriert. Es lebe der Solidaritätszuschlag! Als (West-) Besucher hat man jetzt also auch mal etwas davon.
Die Bauart und der Stil der Häuser erinnert ein wenig an Häuser aus New Orleans. Wirklich schön.
Die nächste Strecke führt uns über Sassnitz und Prora zu den Feuersteinfeldern bei Neu Mukran. Dieses Naturschutzgebiet in der „Schmalen Heide” ist einmalig in Europa und eine geologische Rarität. Nach Sturmfluten vor 3.000 bis 4.000 Jahren blieben unzählige Feuersteine an Land liegen und bildeten Geröllwälle, die teilweise bis zu einem Meter hoch geschichtet sind. Die Feuersteinfelder verlaufen etwa zwei Kilometer parallel zur Küste. Vom Parkplatz in Neu Mukran führen Wanderwege dorthin. Angesichts des 2,8 Kilometer langen bevorstehenden Fußmarsches, unserer hierfür nicht ausgelegten Bekleidung und des warmen Wetters, verzichten wir auf nähere Einzelheiten.
Kurz hinter Sassnitz steuern wir die Waldhalle an, ein Etablissement mit dem nahegelegenem Aussichtspunkt „Victoriasicht” an den Kreidefelsen. Hier befinden sich auch die Wissower Klinken, ein interessantes Gesteinsgebilde. Der Weg zur Waldhalle ist mit zweieinhalb Kilometern übelstem Kopfstein gepflastert. Mit meiner Ténéré habe ich zwar weniger Probleme als Kugel mit seiner BMW, aber auch mir bereitet das Fahren eher geringes Vergnügen, sodass wir zeitweise den parallel laufenden schotterigen Radweg benutzen, der zwar sehr eng, aber wesentlich angenehmer zu befahren ist.
Nach der schönen Aussicht beschließen wir beim Kaffeetrinken, unsere Tour nun doch nicht mehr an die Mecklenburger Seenplatte fortzusetzen und die restliche Zeit auf Rügen zu verbringen. Der missratene Anreisetag fehlt jetzt doch ein wenig in unserer Planung.
Wir drücken auf die Anlasser und fahren zurück ins südlich gelegene Sellin. Auf dem Weg wollen wir uns noch das ehemalige „KdF-Seebad Rügen” ansehen.
1936 fand die Grundsteinlegung des ersten von insgesamt fünf an der Nord- und Ostseeküste geplanten „Seebäder der 20.000” in Prora auf Rügen statt. Ziel der Nationalsozialisten war es, für 20.000 „Volksgenossen” Unterbringungsmöglichkeiten für einen organisierten zehntägigen Pauschalurlaub mit Betreuung zu schaffen. Weiterhin sollten Zimmer mit Meeresausblick sowie eine Festhalle für 20.000 Menschen entstehen.
Der Entwurf des Kölner Architekten Clemens Klotz sah einen zentralen Festplatz mit Festhalle und nach beiden Seiten parallel zum Strand liegenden vier Kilometer langen Gebäudereihen vor. Der Bau der ersten Wellenschwimmbäder Europas, ein Aussichtsturm sowie Seebrücken zum Anlegen von KdF-Urlauberschiffen sollten den „Kraft durch Freude-Totalurlaub” vervollkommnen.
Auf der Pariser Weltausstellung 1937 erhielt der Entwurf von Klotz einen Grand Prix. Mit Kriegsbeginn 1939 wurden die Arbeiten auf der riesigen Großbaustelle stillgelegt. Nach 1945 wurden Teile des rohbaufertigen KdF-Seebades demontiert und Abschnitte des Nordflügels von sowjetischen Truppen gesprengt.
In den 50er-Jahren übernahm die NVA der DDR das riesige Areal und baute es zu einem Militärstandort aus. Etwa 10.000 Soldaten und Offiziere waren ständig bis zur Auflösung 1990 in Prora kaserniert. Teile des Südabschnittes dienten als nicht-öffentlich zugängliches NVA-Erholungsheim für Offiziere.
Ein Parkplatzschild in Prora weist uns den Weg zu einer Ruine. Wir folgen dem Weg und landen nach kurzem Offroad-Einsatz direkt vor einer verklinkerten Bauruine. Merkwürdig, irgendwie hatte ich das von Fotos her anders in Erinnerung. Außerdem ist die Ruine sehr kurz. Da aber Bäume und ein Zaun die weitere Sicht in die Tiefe versperren, gehen wir davon aus, das es sich hier nur um Reste des KdF-Seebades handelt und man den übrigen langen Teil des Gebäudes einfach nur nicht sehen kann. Nach kurzem Fotoshooting fahren wir weiter. Später sollte sich meine Ahnung bestätigen, dass es sich nicht um Teile des interessanteren Südkomplexes handelte, sondern offensichtlich nur um die Ruinen des Nordflügels. Reingefallen.
In Sellin angekommen begrüßt uns eine zum Strand führende Straßenpromenade und am Ende ein Ausblick auf die tiefergelegene Ostsee mit der bekannten Seebrücke. Hier führt uns ein im Hang eingelassener Fahrstuhl direkt an den breiten Strand.
Seebrücke von SellinDie Seebrücke von Sellin wurde erbaut, weil die ankommenden Gäste früher von den großen Bäderdampfern von den Selliner Fischern ausgebootet wurden. Bei ruhiger See war das ein nettes Erlebnis, bei stürmischer See jedoch sehr gefährlich. So wiederholten sich bei diesen Ausbootungsaktionen Unfälle mit tödlichem Ausgang. Anlass genug, eine Anlegebrücke bauen zu lassen. Leider stellte sich die Seebrücke schon bald als Sorgenkind dar. Es traten wiederholt Sturm- und Eisschäden auf. Eine Sturmflut im Jahre 1971 zerstörte die Strandpromenade fast völlig. Die Seebrücke wurde gesperrt und 1978 vollständig abgerissen. Das Wahrzeichen Sellins war dahin.
Im Jahre 1992 wurde der Grundstein für eine neue – in zeitgemäßer Bauweise – errichtete Seebrücke gelegt. Sellin hat somit sein „altes” Wahrzeichen wieder.
Am Campingplatz dann die Überraschung: Unsere nette Nachbarin hat uns zwei Stühle, einen Tisch mit Tischdecke sowie einen Aschenbecher neben unser Zelt gestellt. Sie konnte das Elend nicht mit ansehen, wie wir zwei uns im Zelt mit Kochen und Essen abplagen. Ich muss zugeben, mit diesem Zubehör ist das Zelten doch um einiges komfortabler. Zum Abendessen gönnen wir uns ein 3-Gänge-Menu: Tomatencremesuppe und Ravioli aus der Dose und zum Abschluss eine Tafel Schokolade.
Als wir den Abend dann noch mit einem Bier beschließen wollen, bestätigen sich unsere Beobachtungen vom Vortag: Nachdem die übrigen Camper uns am Tag zuvor noch etwas erstaunt begutachtet haben, trauen sich jetzt einige der Gäste an uns ran. Wir stehen Rede und Antwort über Motorräder und Herkunft und lassen Geschichten aus alten Kriegstagen über uns ergehen. Das frisch Gezapfte nehmen wir in einem idyllischen Eiscafé und anschließend in einer Hafenkneipe zu uns, jeweils mit Blick über den Sund nach Stralsund und auf die dortige Werfthalle ein, die – je nach Belichtung – in verschiedenen Farben erscheint. Faszinierend!
Felsstrand am Kap ArkonaAm nächsten Tag ist das Wetter etwas trübe, aber trocken. Ziel ist Kap Arkona, der nördlichste Zipfel Deutschlands. Wir befahren die Insel diesmal über die westliche Route und müssen kurz mit der Wittenberger Fähre übersetzten. Direkt in die Ortschaft kommen wir mit unseren Motorrädern nicht und fahren von einem großen Parkplatz mit einer kleinen Bahn dorthin. Wir wagen uns die rund 270 Stufen an den felsigen Strand und wieder hinauf und schlendern anschließend etwa zweieinhalb Kilometer weiter in das Fischerdörfchen Veitt, in dem es nur 13 Häuser mit 22 Einwohnern gibt. Nett ist es da schon, allerdings touristisch auch gleich ausgeschlachtet mit Souveniershopps, Imbissen und was man sonst so üblicherweise findet.
Auf der Weiterfahrt kommen wir über die Schabe, eine schmale Landzuge, die sich zwischen dem Jassmunder Bodden und der Ostsee befindet. Sie führt etliche Kilometer durch einen wunderschönen und idyllischen Kiefernwald. Kurz vor dem Königsstuhl dann noch eine unangenehme fahrerische Einlage: Eine kilometerlange neu gemachte Straße mit zentimeterdickem Rollsplitt lässt meine Ténéré hin- und herschwimmen, während Kugel offensichtlich weniger Probleme hat.
Der 117 Meter hohe Königsstuhl befindet sich im Nationalpark Jassmund auf der gleichnamigen Halbinsel. Zur Aussichtsplattform auf dem berühmten Kreidefelsen gibt es nur eine Pendelbusverbindung. Andere Fahrzeuge sind unerwünscht. Kaum angekommen sehen wir schon, dass hier wieder dichter Nebel herrscht und wir beschließen, uns den Euro Eintritt für den Felsen zu schenken.
Unser nächstes Ziel ist Sassnitz, wo wir am Vortag bereits durchgekommen sind, aber nicht angehalten haben. Der Ort ist für seinen Hafen berühmt, der uns als Norddeutsche und Nah-Hamburger jedoch nicht so umhauen kann.
Am nächsten Tag treten wir die Heimreise an und schlängeln uns wieder die rund 100 Kilometer über die Landstraße, bevor wir in Rostock auf die Autobahn stoßen und Richtung Lübeck fahren. Wieder habe ich arge Probleme mit dem Seitenwind. Diesmal allerdings klappt die Ausfahrt so, wie wir die Hinfahrt eigentlich schon geplant hatten und wir fahren über Landstraßen und durch schöne Alleen in Richtung Ratzeburg und Mölln.
Auf dem restlichen Stück Autobahn Richtung Hamburg fängt es stark an zu regnen und das Regenwasser läuft innerhalb meines Visiers in den Helm hinein. Ich kann fast nichts mehr sehen und fahre einem langsamen Lkw hinterher. Später muss ich dann feststellen, dass sich mein neues Visier an einer Seite des Helmes etwas gelöst hat.
Nach gut sechs Stunden Heimreise sind wir uns einig – das „neue” Rügen ist allemal sehenswert. Drei Tage sind allerdings ein wenig kurz, wenn man die Insel ausgiebig erkunden will. Und die Tour an die Mecklenburger Seenplatte werden wir halt ein anderes Mal nachholen.