Holger JankeHerbstliche Gedanken im Oktober von Pastor Holger Janke …

aus Kradblatt 10/16
von Pastor Holger Janke
www.bikershelpline.de

 

Rückblick & Weitblick im Oktober …

Holger JankeSchöne Bescherung, denke ich. Vor einer Woche lag ich noch am heißen Strand der Adria und ließ mir die italienische Sonne unter die norddeutsche Haut gehen und jetzt fängt es an zu schneien. Geht’s noch? Spätsommerurlaubswochen mit dem Motorrad südlich der Alpen klingen immer verführerisch – und waren es auch. Mal richtig „Leinen los“ und die Seele baumeln lassen. Nur das tun, was spontan in den Sinn kommt. Essen, baden, biken. Das Leben kann so schön (einfach) sein!

Als Krönung fahre ich mit meinem „motocicletta“ nicht über die Autobahn und durch irgendwelche dunkle, feuchte oder stickige Tunnel gen Norden, sondern auf kleinen Straßen; Serpentinen auf und ab. Wozu hat der liebe Gott diese wunderbaren Berge geschaffen? Doch nicht dafür, dass ich unten durchkrieche! Außerdem braucht ein Nordlicht Luft, Wind und Weitsicht. Also kraxle ich mit dem Zweirad auf die Höhen, die sich vor mir auftun. Welch eine Ästhetik der Schöpfung. Welch ein Abenteuer für die Benzin verseuchten Kurvengene. Bellisimo.

Mein Töff, wie die Schweizer das Kraftrad nennen, schraubt sich Windung um Windung höher. Es wird kühler und kühler. Oben ist es dann kalt!

RueckblickZuerst fühlte ich im Tal einen Hauch von Fön. Selbst die Sommermontur, die ich am Leibe trage, war mir zu warm. Im Sommerhandschuh schwitzten die Glied­maßen, die Kupplung, Bremse und Gas regulieren. Dann fing es an, leicht zu regnen. Welch eine Erfrischung! Die Gedanken kreisen: Soll ich mich jetzt regenfest anziehen oder jage ich weiter auf die kargen Höhen hinauf? Bevor ich mich entscheiden konnte anzuhalten, geht der Regen in Schnee über. Schöne Bescherung!

Fahren kann ich flott. Die Entscheidungen über meinen „dress code“ sind allerdings eindeutig zu langsam.
Als ich im Gasthof oben auf dem Pass sitze, lege ich mich erst einmal trocken, genieße heißen Kaffee und eine hitzige Suppe. Langsam wird mir wieder warm und ich komme ins Grübeln. Warum habe ich keine dicken Handschuhe mit? Wieso fahre ich Motorrad? Was mache ich eigentlich hier oben? Bin ich noch zu retten? Warum bin ich kein Italiener geworden? Bevor der liebe Gott mir eine Antwort schenkt, kommt die Rechnung.
„Die Zeit läuft und im Herbst wird es schneller dunkel als gedacht.“, erinnere ich mich. Die nette Kellnerin scheint meine mentale Krise zu erahnen und erzählt mir, dass oft im Tal Fön ist, wenn sich hier oben der Schnee rumtreibt. Auch wenn das wahrscheinlich nicht ganz wahr ist, sind diese Worte eine kluge pädagogische Taktik für verzweifelte Flachlandbiker in den Bergen und mir eine Motivation.

Ich ziehe tatkräftig meine gesamten Sommersachen an, knöpfe mich zu und sattle wieder auf. Meinem Motorrad scheint die kühle Lage egal, es springt gleich fröhlich an und rollt auf leicht verschneiter, regennasser, alpiner Passstraße bergab.

„Von nun ab geht es bergab!“, drängt sich ein Gedanke auf. Das war der Höhepunkt der Reise. Überhaupt ist die Saison vorbei. Was soll noch kommen, wenn ich wieder zu Hause bin? Natürlich hoffe ich auf einen „indian summer“ mit schönen Stunden auf dem Krad, aber mehr als ein Ausflug zwischen 10 und 16 Uhr ist im Herbst doch im hohen Norden nicht drin. Die anderen Stunden des Tages sind dunkel, nass und kalt. Wie im Tunnel. Da zieht es mich – ehrlich gesagt – mehr an den warmen Ofen, der so schön heimelig im Hause daherknistert. Die meisten Kradkollegen fahren doch maximal bis November. Überall sehe ich Saisonkennzeichen, denn auch das Material leidet unter dem Winter mit Frost, Eis und Streusalz. Mein Wintergespann fahre ich, wenn’s geht, nur noch auf verschneiter oder abgetrockneter Straße.

„War das auch dein ‚goldener Herbst‘?“, fragt mich ein sehr persönlicher Gedanke aufdringlich. „Wie lange willst du noch Motorrad fahren?“ Stunde der Wahrheit: nur ich, mein Motorrad, die Berge und diese Frage! Das Material scheint haltbarer als ich. Wie viele Jahre schaffe ich wohl noch, die Beine über die Bank zu schieben? Wie lange habe ich noch Kraft und Lust, mich Wind und Wetter auszusetzen, um mit offenem Visier auf große Fahrt zu gehen? Wann geht es mit mir bergab und auf die Zielgrade? Ich muss zugeben, dass die besten Zeiten gefahren sind. Wann ist es genug? Herbstliche Gedanken, die zum Fallen der bunten Blätter passen. Bunt sind die vielen Erinnerungen an die beeindruckenden Stunden mit dem knatternden Zweirad. Rauh und faltig ist die Haut geworden. Viel Zeit bleibt nicht. Es wird schneller dunkel im Herbst. Also nicht lange in Erinnerungen schwelgen, sondern rein in die Klamotten und ab auf den Bock. Bekanntlich spielt vorne die Musik!

Plötzlich ist kein Schnee mehr und der Regen hört auch auf. Es wird wieder warm. So wie vorausgesagt. Ich fahre begeistert nach Hause und bin voller guter Dinge. Was für ein Leben! Ich bin begeistert und hoffe, dass noch einige Zeit bleibt für ein paar schöne Fahrten.

Das Motorrad ist nicht für die Garage gebaut und ich scheine auch nicht für das heimelige Sofa konstruiert. Ich werde die kalte Jahreszeit nutzen, schöne Touren für die neue Saison zu planen. Die schönen Erinnerungen motivieren zum Weitblick. Der ist wichtig beim Fahren und im Leben.

P.S. Apropos Weitblick! In zwei Monaten weihnachtet es. Schon alles vorbereitet?
Schöne Bescherung.