aus bma 9/11 – Lesererfahrung

von Wolfgang Kühn

Der gemeine Taurettling – oder was man mit der Mutter aller Dieselmotorräder so erlebt…

Royal Enfield Taurus DieselWie kam ich zu dem Teil? Irgendwann einmal las ich in einem Motorrad Katalog, in dem so ziemlich alle auf dem Markt erhältlichen Moppeds gelistet wurden, dass es ein Dieselmotorrad gibt. Auf dem Foto war das Teil knallrot abgebildet, mit gelbem Schriftzug. Irgendwie sah es archaisch aus und ich beschloss, darüber weitere Informationen einzuholen. Die technischen Daten lasen sich damals wie ein Anachronismus: 325 ccm, etwas über 6 PS, eine angebliche Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern und einem sagenhaften Verbrauch von 1,5 Litern Diesel.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich kein Internet, also bemühte ich die Telefonauskunft und fragte nach Enfieldhändlern in Bayern. Enfieldhändler in Bayern? Da gab es nicht viele und noch weniger, die eine Taurus, so nannte sich das Teil, zur Probefahrt im Laden stehen hatten.

Ich fragte also nach, erfuhr die Öffnungszeiten und dass ich jederzeit vorbeikommen kön­ne, um eine Probefahrt zu machen. Ich muss sagen ich bin da­mals aus verschiedenen Gründen mehr als 20 Jahre nicht mehr auf einem Zweirad ge­ses­sen, aber der Drang mich wieder auf zwei Rädern fort­­zubewegen wurde zum damaligen Zeitpunkt immer größer.

Royal Enfield Taurus DieselIch hab mir also Zeit genommen und bin zu dem Händler gefahren. Da stand das Gerät dann vor mir, viel schöner und älter aussehend, als auf den Fotos im Katalog, 99% Metall und nur unwesentliche Plastikanreicherungen, in einem dunklen Grünton lackiert. Ein Motorrad das rahmentechnisch und optisch zum damaligen Zeitpunkt seit über 50 Jahren nahezu unverändert in der Benzinversion gebaut wurde, in dessen Rahmen zuerst ein paar findige indische Bastler und Hinterhofwerkstätten einen Stationärdieselmotor mit ziemlichem Erfolg implantierten, so dass das Werk beschloss den Dieselmotor, einen Lombardini Lizenznachbau, auch serienmäßig anzubieten. Dies führte dazu, dass nahezu jede zehnte gebaute Enfield einen Dieselmotor hatte. Hierzu sollte noch erwähnt werden, dass Motor und Getriebe voneinander getrennt sind, was derartige Umbauten immens erleichtert.

Der Händler klärte mich erst einmal auf, dass dieses Ding rechtsgeschaltet ist, die Bremse links, erster Gang nach oben, alle anderen nach unten. Ich schätze, dass er diesen Spruch bestimmt schon tausendmal gesagt hatte. Ok, sollte ich hinbekommen und dann demonstrierte er mir das Startprozedere. Dekomprimieren unter Zuhilfenahme eines kleinen Hebels am Ventildeckel, langsam bis zu einem Klick (ein sehr leises und plötzliches Klick), nach unten treten, den Kickstarter wieder nach oben lassen und dann in einem gleichmäßigen, durchgehenden Schwung ganz – er betonte „ganz” – bis zum Anschlag durchtreten. Er zeigte mir es wie es aussieht und sagte nun solle ich es versuchen, es gelang mir natürlich nicht. Trampelte ich doch wie ein Stier gegen den Kickstarter und versuchte das ganze mit der Technik zu lösen, die ich von der XT 500 her kannte. Er demonstrierte mir es noch drei-, viermal oder öfter und irgendwann gelang es mir den Motor in Gang zu bekommen.

Ich wollte es noch einmal versuchen drehte den Schlüssel um die Zündung auszuschalten und das Triebwerk lief zu meinem Erstaunen weiter. Auch hier hatte dann der Händler Verständnis und zeigte mir einen kleinen Hebel am Lenker mit dem man das Triebwerk stilllegen konnte. Natürlich lachte er dabei „Selbstzünder“, die Umstehenden lachten natürlich auch, hatten sie es ja schon oft genug gesehen, wie ein Probefahrtling völlig verdutzt schaute, weil der Motor einfach weiterlief.

Enfield RusswolkeIch übte also noch etwas Starten, war jedes Mal fasziniert, wie die Maschine langsam Schwung aufnahm, um dann unter dem Ausstoß einer gigantischen Grobstaub-Rußwolke langsam vor sich hin zu tuckern begann und das ganze Gefährt in tanzende Auf- und Abbewegungen versetzte. Der Klang des Aggregats begeisterte mich sofort und lies schon jetzt meine Lippen in Richtung Ohren ziehen.

Nachdem du es nun einigermaßen schaffst, das Gerät anzuwerfen, darfst du auch losfahren, sagte der Händler zu mir und bläute mir noch einmal ein: Schaltung rechts, erster nach oben, alle anderen nach unten. War natürlich klar, dass ich wie so viele vor und auch nach mir, nicht im ersten Gang anfuhr. Der Dieselmotor dankte es mit einem radikalen Abfall der ohnehin schon niedrigen Drehzahl und Bocksprüngen. „Das ist der zweite Gang”, versuchte der Händler das Geräusch des Motorrades zu übertönen und im Nachhinein weiß ich, dass ich mich in eine lange Reihe der Zweitergang­anfahrer einreihen durfte, ebenso wie ich zu denjenigen gehörte, die verzweifelt versucht haben mit dem Gangschalthebel zu bremsen.

Mit einem lauten Klack ging es dann in den dritten und vierten Gang. Zum Problem wurde es dann, den Leerlauf zu finden, was zwar mit dem vorhandenen Leerlauffinder – ein geniales Teil übrigens – ein Leichtes gewesen wäre, aber ich wartete verzweifelt auf das grüne Leerlauflämpchen im Tacho, welches natürlich nicht existierte. Ich fand also den Leerlauf nicht, was der Motor diesmal mit Stillstand quittierte. Nun musste sich das Gelernte bewähren, was na­türlich in meiner Auf­re­gung und da­mal­igen Nervosität nicht auf Anhieb gelang.

Diesel FahrfreudeEndlich lief das Aggregat wieder, ich fuhr an und versuchte mich mit diesem archaischen Gerät so gut es damals ging vertraut zu machen. Ich hatte das Gefühl, jeden einzelnen Kolbenhub zu spüren, in den Spiegeln sah ich vibrationsbedingt nichts mehr, weil diese mit der ganzen Maschine mitschwangen und ich beschleunigte (heute nenne ich es Fahrtaufnehmen) das Gefährt. Die Tachonadel stieg und endete erst bei 110 km/h! 80? Was soll das? Das Teil fährt doch hundert! Gefühlt waren es 165zwodrittel km/h. Heute weiß ich natürlich, dass die Tachos indischer Fertigung eine ziemliche Serienstreuung haben und es mit der Genauigkeit nicht so arg genau nehmen. Ich hörte das Gefährt, ich spürte das Gefährt ich fühlte mich um 50 Jahre zurückversetzt und mein Grinsen wurde immer breiter. Ich denke, es machte fast einen grenzdebilen Eindruck für außenstehende Beobachter.

Das war es, dieses Mopped wollte ich, nichts anderes. Ich bin ungefähr eine Stunde lang umhergefahren und als ich zurückkam, unterschrieb ich den Kaufvertrag. Allerdings wurde mir eröffnet, dass ich nicht sofort meine Taurus mitnehmen durfte, sondern mich noch mindestens 3 Wochen gedulden müsse – sie wäre grade auf dem Weg nach Deutschland und es gäbe sie nur in dem grün, britisch racing green. Amüsante Namensgebung für eines der langsamsten Motorräder der Welt.

Ich habe dann sofort auf einen Schwingsattel, andere Blinker und ein anderes Rücklicht umrüsten lassen. Dreieinhalb Wochen später war es soweit und ich durfte mein Gefährt in Empfang nehmen. Die 500 Kilometer bis zum ersten Service hatte ich in zwei Tagen runtergespult und erntete erst einmal des Händlers Erstaunen.

Innerhalb sehr kurzer Zeit musste ich jedoch feststellen, dass die etwas über 6 Diesel-PS und der Lügenbarontacho nichts daran änderten, die Überholmanöver von Schnellläufertraktoren auf der Landstraße in ein Himmelfahrtskommando ausarten zu lassen. Ich erfuhr von einem Kipphebeltuning für den Motor erstand dieses und erlebte einen für die Taurus unglaublichen Leistungsschub. Grinsend konnte ich nun die Schnellläufer überholen.

Royal-Enfield-Taurus-Diesel_BastelstundeIch benutzte und benutze das Gefährt, um damit in die Arbeit zu fahren und bin inzwischen über 45000 km damit unterwegs gewesen. Das Grinsen habe ich immer noch und bis auf einige Abschüttler von unnützem Zeug wie Hupen, Blinkern, Nummernschildern, durchgerüttelten Tanks, gerissenen Schutzblechstreben, bin ich bis jetzt immer noch dort angekommen wo ich hinwollte. Meinen Nachhauseweg vom Arbeitsplatz nutzte ich meist dazu, mir bis dato völlig unbekannte Strecken zu entdecken und die „Umwegsgerade” mit breitem Grinsen zur Perfektion zu führen.

Inzwischen, da mein Händler und damit natürlich auch seine Werkstatt ziemlich weit weg von mir ist, konnte ich mithilfe eines Laptops einer Webcam, Skype und einigen sehr hilfreichen & freundlichen Leuten aus dem Enfieldforum lernen, die wichtigsten Reparaturen und Wartungsarbeiten selbst durchzuführen. Auch konnte ich erst kürzlich einen 435er Motor recht günstig erstehen und habe diesen erfolgreich in meine Taurus implantiert. Dieses Aggregat hat nun satte 10 PS und 110 ccm mehr als der original Taurusantrieb, damit sind nun echte 90-95 km/h möglich.

Ich muss natürlich erwähnen, dass dieser 435er inzwischen auch schon von anderen Motoren abgelöst wurde, welche nicht so exorbitant rütteln und inzwischen wesentlich „modernere“ Diesel Motorräder existieren. Andererseits hat die Taurus ihre Extremtourtauglichkeit bewiesen, fuhren Bekannte von mir z.B. nach Wladiwostok oder auch innerhalb weniger Wochen 16000 km durch ganz Europa. Auch Kilometerstände jenseits der 150000 ohne größere Ausfälle sind mir bekannt. Mein 325er Motor funktionierte bis zu seinem Ausbau absolut tadellos und fristet jetzt ein konserviertes Dasein.

Ich für meinen Fall würde mir heute keine Taurus mehr kaufen, da die mit dem 325er Motor im Normalfall 65-70 km/h erreichbaren Höchstgeschwindigkeiten vielleicht in Indien zeitgemäß sind, aber hier in Deutschland wird man definitiv von der Straße geblasen. Nur im Stadtverkehr kann man einigermaßen mitschwimmen, wenn man die Schmach verkraftet von jedem neueren 50er Roller an der Ampel hergebrannt zu werden (was allerdings auch mit den neueren Motoren der Fall ist, aber da muss man drüberstehen). Sinnvoller sind meiner Meinung nach teurere, moderne Diesel wie sie z.B. von Horst Beckedorf und Jochen Sommer gebaut werden, der inzwischen eine zweite Generation Sommerdiesel anbietet, welche vom Rahmen über Schutzbleche und Motor komplett in Europa hergestellt und zusammengebaut wird, die Euro 3 Norm erfüllt und somit den sogenannten „indischen Om- und Jameifaktor” bei der Produktion ausmerzt.

Royal Enfield Taurus DieselIm Laufe der Jahre ist mir aufgefallen, dass die Geschwindigkeit der Taurus permanent überschätzt wird. Manche Auto-, Lkw- und auch Motorradfahrer können es sich einfach nicht vorstellen, dass ein Gefährt, dass wie ein Motorrad aussieht, nicht so schnell wie ein heutiges Motorrad fährt. Es entstanden durchaus gefährliche Situationen, weil ein Pkw Fahrer an einer Kreuzung wartete und wartete und wartete, bis die Ungeduld siegte und er mir letztendlich die Vorfahrt nahm. Auch Autobahnen habe ich bisher tunlichst vermieden. Ich war insgesamt viermal auf Autobahnen, davon dreimal in Begleitung anderer Enfields und einmal aus Versehen. Mit dem 435er Motor wird sich das sicher ändern, wenn ich mal schnell von A nach B kommen möchte – erlaubt er mit den 90–95 km/h doch ein Mitschwimmen auf Lkw-Niveau.

Desweiteren möchte ich erwähnen, dass die Spezies der Dieselfahrer wahre Eisenärsche und Extremtourer hervorbringt. Ein Dieselmotorrad ist zwar heute noch ein Exot, was aber deren Eigner nicht daran hindert wahre Gewalttouren zu bewältigen, bzw. das Mopped als unterhaltstechnisch sehr günstiges Nutzkrad zu verwenden. Belaufen sich doch die Kosten für Steuer und Versicherung weit unter 100 Doppel­mark/Jahr (=Euro, d. Red.), und bei einem Verbrauch von maximal 2,5 Litern auf 100 km kommt man mit einer Tankfüllung durchaus 500 km weit.

Abschließend möchte ich erwähnen, dass man für ein Dieselmotorrad definitiv reif sein muss. Man muss sich auf das Entschleunigen einlassen können und die total andere Motorcharakteristik annehmen und verinnerlichen können. Schafft man dies, belohnt einen ein Dieselmotorrad mit einer fast meditativen Fahrkultur, einem extrem anderen Wahrnehmen der Landschaft um einen herum und einem „Diesestraßekennichjanochgarnicht-Faktor”. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder man liebt dieses Motorrad oder man hasst es. Ich durfte Straßen finden, die so gut wie gar nicht befahren sind, auch nicht von anderen Motorradfahrern. Ich bin zum gnadenlosen Vollgasfahrer geworden und ich ertappe mich jedes Mal, wenn ich von der Maschine absteige mit diesem breiten, nahezu grenzdebilen, verzücktem, entrücktem, breiten Grinsen im Gesicht.