aus Kradblatt 3/14
von Marcus Lacroix

 

Royal Enfield ContinentalManchen fällt es schwer, das zu glauben. „Nein, das ist kein perfekt restaurierter Oldtimer. Nein, wirklich nicht… Schauen Sie doch mal hier, eine moderne Einspritzanlage. Und dort, die Lambdasonde. Außerdem hat sie doch Scheibenbremsen vorne und hinten…“.

Andererseits, wenn man die neue Royal Enfield Continental GT 535 EFI näher betrachtet, ist sie doch irgendwie ein Oldtimer – trotz manch moderner Bauelemente. Ein langhubiger Einzylinder (87 mm Bohrung, 90 mm Hub = Langhuber) mit sich daraus ergebenden 535 ccm Hub­raum, der „nur“ 29,1 PS – man beachte die 0,1 in der Werksangabe – bei 5100 U/min leistet, ist heutzutage schon etwas anachronistisch. Aber das ist Enfield ja sowieso und das ist auch gut so!

Enfield Intermot 2012Besucher der Intermot 2012 in Köln werden sich sicher noch an die Con­tinental erinnern, die am Enfield-Stand für Aufmerksamkeit sorgte. Das Teil sah quasi aus, wie frisch vom Band. Nicht wie eine Studie. Die Classic- und Café-Racer-Welle nahm gerade Fahrt auf, Triumph war schon gut mit den Retros im Geschäft, Kawasaki mit der W 800 wieder dabei. Mittlerweile ist ja sogar BMW mit der R nineT auf den Zug aufgesprungen. Alle bauen sie tolle und funktionale Motorräder. Und jetzt kommt Enfield mit der Conti auch endlich rüber, nachdem sie der internationalen Presse 2013 stilecht beim Ace Cafe in Brighton präsentiert wurde.

Royal Enfield Continental CockpitSeit Januar steht sie bei den Händlern, erste Verträge wurden von Fans schon blanko unterschrieben.Unsere Probefahrtmaschine wurde uns trotz widriger Straßenverhältnisse vom Bad Zwischenahner Enfield Vertragshändler Sigfried „Sigi“ Noelle (www.royalenfield-badzwischenahn.de, Telefon 04403-1575) dankenswerter Weise für ein paar Tage zur Verfügung gestellt.

Der Vergleich mit der 2012er Intermot-Conti bringt kaum Überaschungen. Der Auspuff wich einem volumigeren, zulassungskonformen (und hässlicherem) Rohr und die gefrästen Lenkerendenspiegel, einfacheren Exemplaren. Das war’s auch schon und diese Teile gibt’s im originalen Enfield-Zubehörprogramm. Die sportlich anmutenden Federbeine mit Ausgleichsbehälter stammen von Paioli, die Einspritzung kommt von Keihin, Pirelli liefert den Sport Demon und die Brembo-Bremsanlage mit Stahlflexbremsleitungen weckt auch Vertrauen. Die ganze Maschine wirkt in sich stimmig und macht schon im Stand Lust auf’s Fahren.

Royal Enfield Continental linksDer Einzylinder springt auf Knopfdruck sofort an und läuft auch bei niedrigen Temperaturen gleich rund. Bei 1000 ­U­/m­i­n­­ tönt er schön einzylindrig ohne dabei laut zu sein. Wer möchte kann den Kolben auch per Kickstarter zur Arbeitsaufnahme bewegen. Das klappt – auch mit Einspritzanlage (hallo Kawa, hallo Triumph) – tatsächlich. Bei frostkaltem Motor brauchte es 10 Tritte, warm kommt er beim zweiten. Coole Sache, da fühlt sich Mann gleich noch etwas männlicher, wenn er eine Maschine mit Muskelkraft zum Leben erweckt. Kettensägen sind da auch ein dankbarer Hormonverstärker.

Der erste Gang rastet zuverlässig ein, die Kupplung braucht nur moderate Handkraft und mit wenig Gas geht’s vom Hof. Der Eintopf pulsiert spürbar, das Ganze aber immer in einem sehr angenehen Bereich. Die Sitzposition passt mir mit 176 cm ganz ausgezeichnet.Die Stummellenker liegen viel höher als man auf den ersten Blick realisiert, die Sitzbank ist gut gepolstert, der Kniewinkel nicht zu eng. Insgesamt ist man auch auf längeren Strecken gut aufgehoben, wobei die Conti GT natürlich kein Reisedampfer ist. Sie ist eher die Genussmaschine, die man sich neben ein eher nüchternes Allzweckmoped in die Garage stellt. Aber Männer, denkt dran: Mit Frauen macht man das besser nicht! Also nicht das in die Garage stellen, sondern die hübsche für’s Herz neben der Hausfrau!

Royal Enfield Continental BordwerkzeugZurück zur Continental: Das Leergewicht von 184 Kilogramm lässt sich nicht wegdiskutieren. Für so ein kleines Motorrad ist das ’ne ganze Menge Holz. Dazu kommen noch die 13,5 Liter Sprit, die der formschöne Tank bunkert. Nimmt man den Seitendeckel ab, hinter dem sich neben der Elektrik ein rudimentäres Bordwerkzeug versteckt, findet man auch den Grund für das Gewicht: die Enfield ist aus dem Vollen geschnitzt! Im Seitendeckel könnte man Würstchen braten, einen Hautständer braucht man am Café Racer eher selten, der überflüssige Aufbockgriff könnte als Panzer-Abschleppöse dienen, zwei dicke Hupen mit massiven Haltern braucht zumindest am Motorrad kein Mensch und selbst am Rücklicht findet man fast mehr Metall als an manchem Baumarkt-Roller. Für Bastler also eine tolle Abspeck-Basis.

Im Fahrbetrieb und auch beim Rangieren fällt das Gewicht dann aber gar nicht so ins Gewicht. Klar könnte man mit knapp 30 PS ein leichteres Motorrad schneller

beschleunigen, aber mal ehrlich – bei so einem Oldie macht das Beschleunigen nicht den eigentlichen Reiz beim Fahren aus, oder? 

Royal Enfield Continental Tankdeckel

Mit der Continental GT lässt es sich vorzüglich über norddeutsche Landstraßen schwingen. Im Bereich von 90 bis 110 km/h fühlen sich Mann und Maschine sehr wohl. Der Einzylinder massiert wohlig, die Bremsen funktionieren gut, ohne Anfänger oder Gelegenheitsfahrer zu überfordern – mit anderen Belägen könnte man mehr Biss erreichen.

Das Fahrwerk ist für einen 70 kg Fahrer eher straff abgestimmt, geht aber auch auf schlechten Straßen noch in Ordnung. Der von Harris in Großbritannien entwickelte Doppelschleifenrahmen ist stabil und die Maschine durch die Fahrwerksgeometrie und die Pirelli Sport Demon handlich aber nicht nervös.Spitze soll die Conti angeblich 135 km/h ereichen, ausprobiert habe ich es nicht. Sie ist recht lang übersetzt – vermutlich aus zulassungstechnischen Gründen – und wirkt dadurch oberhalb von 120 km/h etwas zäh. Persönlich würde ich sie für den Landstraßeneinsatz etwas kürzer übersetzen, was dank Kettenantrieb ja kein Problem ist. Und wann hat der TÜV bei euch jemals die Zähne gezählt?

Royal Enfield ContinentalDie Schräglagenfreiheit haben wir nicht ausgetestet, denn bei einstelligen Temperaturen und fett gepökelten Straßen ist doch etwas Vorsicht geboten. Rein optisch geschätzt, dürfte sie für den Einsatzzweck aber allemal ausreichend sein.Freude kommt an der Zapfsäule auf, denn der Spritverbrauch lag bei beiden Betankungen unter 4 Liter auf 100 Kilometern. Da kann man auch als Vielfahrer mit leben. Ein sehr liebevoll gemachtes Detail ist übrigens der Tankdeckel. Und auch die einlackierten Aufkleber am Tank gefallen.

Lange Rede kurzer Sinn: wer auf klassische Einzylinder und/oder Café Racer steht, wer einen technisch überschaubaren „Oldie“ mit garantierter Ersatzteilversorgung und einem guten Händlernetz sucht der sollte die Royal Enfield Continental GT 535 EFI unbedingt mal zur Probe fahren. Natürlich gibt es bei anderen Marken mehr Technik für’s Geld, aber wenn der Funke überspringt, sind die 6.490 Euro (+185,- NK) gut angelegt.Sehr empfehlenswert ist übrigens auch das Royal Enfield Forum im Internet: www.royal-enfield-forum.de.