aus bma 06/02
von Uwe Schönemann
Kreta, die über 250 Kilometer lange Insel im östlichen Mittelmeer, rühmt sich der Geburtsort des Göttervaters Zeus zu sein. Berühmt ist auch der Palast von Knossos, das mehr als 3.500 Jahre alte Überbleibsel der Minoischen Kultur. Auch behauptet die Insel von sich die Wiege der Europäischen Kultur zu sein.
1996 war ich beruflich zehn Wochen auf Kreta. Dabei erkundete ich mit meinem ETZ-Gespann einen Teil der Insel, lernte abseits allen Tourismus Land und Leute kennen und hielt Kontakt. Im letzten Jahr war es wieder soweit. Ich durfte, so hat es die Familie erlaubt, eine Woche nach Kreta. Der Plan war schnell gefasst, ich wollte mit einem Charterflieger nach Chania. In einem kleinen Dorf in der Nähe wohnte ich bei einem Freund. Von dort aus besuchte ich meine Bekannten, und vor allen Dingen wollte ich Motorrad fahren.
Auf Kreta waren die Temperaturen so bei 20 bis 25 Grad, der Himmel war leicht bewölkt. Insgesamt also ideales Motorradwetter. Ich suchte gleich am ersten Tag einen Motorradverleih in Chania. Die Saison hatte jetzt, im April, noch nicht richtig angefangen, so war die Auswahl an Maschinen nicht groß. Ich lieh mir einen 180er Leonardo-Roller, für entspannte Urlaubstouren gar keine schlechte Wahl.
Zuerst musste ich mich an den Stadtverkehr in Chania gewöhnen. Es wimmelte wie im Ameisenhaufen, aber das vermeintliche Chaos funktionierte. Die Griechen fahren zwar flott, aber unterm Strich rücksichtsvoller als wir Deutschen. Sie passen aufeinander auf, dem anderen Verkehrsteilnehmer, wird eine Lücke gelassen. Motorräder und Roller können sich durch das zum Teil stockende Gewühl der Autos schlängeln, ohne dass einer absichtlich dicht macht. Das Durchwuseln der Zweiräder durch den Autoverkehr wird als selbstverständlich hingenommen, weil fast alle Autofahrer auch ein Moped, Motorrad oder einen Roller besitzen. Denn der Zweck heiligt die Mittel: das Auto dient zum Transport und das Zweirad zum schnellen Ankommen oder zur Fahrt in die enge Altstadt.
Beim Parken sollte man allerdings aufpassen, die Polizei jagt mit Inbrunst Falschparker und das kostet locker 40 bis 50 Euro. Im Gegensatz dazu sieht die Polizei gelassen zu, wenn es bei Rot über die Ampel geht. Solange nichts von rechts oder links kommt, fahren die Einheimischen vorsichtig über die Kreuzung. Die, die Grün bekommen, fahren daher ganz vorsichtig an und rollen auf die Kreuzung zu. Solange nichts passiert ist alles „endaxy” (in Ordnung), wie die Griechen sagen. Auch wenn zwei oder drei Leute auf dem Motorrad sitzen, oder das Licht oder sonst was nicht funktioniert, stört das hier nicht. Kreta scheint in dieser Beziehung ein glückliches Inselchen. Wie gesagt Toleranz, Rücksicht, Gelassenheit und die etwas verhaltenere Fahrweise bringen Erleichterungen im täglichen Straßenverkehr. Nicht verschweigen will ich die trotzdem sehr hohe Zahl der Unfalltoten in Griechenland, kaum jemand hat einen Helm auf oder trägt Schutzbekleidung.
Nach kurzer Zeit hatte ich mich wieder an den Verkehr gewöhnt und wuselte flott durch Chania. Es machte einfach Spaß! Den ersten Nachmittag beendete ich mit einem Stadtbummel. Viele verfallene Häuser sind nutzbar gemacht worden und verschönern die Altstadt. Sie ist malerisch und die Geschäfte sind nicht auf den üblichen Touristennepp ausgelegt. Die Stadt lebt noch wesentlich von ihrer eigenen Wirtschaft.
Die Menschen registrieren hier, wer sich Zeit lässt und echtes Interresse hat, und wer nur von Sehenswüdigkeit zu Sehenswürdigkeit hetzt. Ich hatte mir deshalb abgewöhnt, meine Touren genau vorzuplanen, sondern mir nur ungefähr ausgeguckt, wo ich an diesem oder jenem Tag hin wollte. So hielt ich immer wieder spontan an, wo es mir gefiel. Manchmal ging ich einfach in einem kleinen Dorf in ein Kafenion, die es überall gibt, und wobei sich nicht selten sich auch ein Gespräch auf deutsch, englisch oder auch mit Händen und Füßen entwickelte. Kafenions sind kleine, sehr einfache Kaffeehäuser, in denen sich die Dorfbewohner zum Schnack treffen.
Am dritten Tag machte ich mich zur ersten großen Tour auf. Ich wollte nach Omalos und nach Sougia an der Südküste. Um dort hin zu kommen musste ich eimal von Nord nach Süd quer durch die Insel, Berge und Serpentinen befahren. Jenseits der Soudabucht ragten die im April noch schneebedeckten weißen Berge, die Korvat Ontoury, prächtig auf. Nach ein paar Kilometern ging es bergab nach Chania. Von einer Stelle der Straße bot sich ein toller Blick über den alten venezianischen Hafen und die Altstadt.
Auf dem Lande blühten neben der Straße die Orangenbäume, die Blüten verströmten einen intensiven unbeschreiblichen Duft. Das Kilo Orangen kostete um die 30 Cent. Ich besuchte mehrere Dörfer, in denen die Kirchen überall schön bunt und gepflegt hervorstachen.
Allmählich wurde es bergiger, die Kurven enger und die Orangenhaine blieben im Tal zurück. Einer neuer Geruch machte sich breit. In den Olivenbeständen roch es jetzt im April zum Teil faulig, da in dieser Zeit die alten Blätter gesammelt und zu Dünger verarbeitet werden. Der Leonardo lief auf den engen Straßen zwischen 30 und 60 km/h. In Serpentinen schraubte sich die Straße immer höher an steilen Hängen und schroffen Felsen entlang. Leitplanken, die vor Absturz bewahrten, gab es nicht. Ziegen und Schafe grasten neben der Straße und hatten die Straße mit ihren Hinterlassenschaften gepflastert. Manchmal weigerte sich ein Tier auch, Platz zu machen, so dass ich drum herum fahren musste.
Hier in den Bergen roch es nach Thymian und Oregano. Links und rechts in der Ferne leuchteten Kirchen hervor. Ich kam durch die Ortschaft Lokki, die auf einem Kamm gelegen eine fantastische Aussicht bot, auf der einen Seite der Blick aufs Meer, auf der anderen der Blick auf die weiter ansteigenden Berge.
Weiter ging es Richtung Omalos. Je höher ich kam, desto mehr Ziegen begegnete ich an und auf der Straße. Das Fahren erforderte erhöhte Aufmerksamkeit, der Belag wechselte häufig, vor allem in Kurven. Nach vielen tollen Serpentinen erreichte ich die Hochebene von Omalos mit der Samaria-Schlucht. Der Blick in die längste Schlucht Europas mit den hoch und steil aufragenden Felswänden war atemberaubend. Auf den Gipfeln, die die Schlucht einrahmen, lag noch Schnee.
Der Weg führte mich über die Hochebene von Omalos durch Bergdörfer bis die Straße nach Sougia zur Südküste abfiel. Teilweise war die in schönen Kurven geschwunge Straße sehr gut ausgebaut und die Aussicht überwältigend. Die letzten zehn Kilometer ging es beständig in Kurven und Serpentinen bergab bis zum Strand von Sougia.
Die Südküste ist ganz anders beschaffen als die Nordküste. Felswände fallen hier hunderte Meter schroff und senkrecht zum Meer hinab, zwischen den Felswänden liegt an einem schwarzen Steinstrand Sougia. Der kleine Ort ist geprägt von Ferienappartements und Tavernen, insgesamt scheint der Ort, an dem verdächtig viel deutsch gesprochen wird, sehr vom Tourismus bestimmt zu sein. Wie ich hörte, ist Sougia auch ein Platz für deutsche Aussteiger.
Ich schraubte mich weiter den Berg hoch, fuhr durch wunderbare Kurven und allerlei Blüten- und Gewürzgerüche zum nächsten Dorf Rodovani. 400 Höhenmeter verteilten sich auf zehn Kilometer. Neben der Größe der Insel beeindruckete mich, dass ich hier im Mittelmeerklima alpin Motorrad… – tschuldigung, Roller fahren konnte. Omalos liegt immerhin fast 1.110 Meter hoch. Durch weitere Bergdörfer fuhr ich weiter von Kehre zu Kehre.
Gut ausgebaute Straßenabschnitte wechselten sich urplötzlich mit schlechtestem Feldwegbelag ab. Der Ausbau ist ein Förderprogramm der EU. Das ist gut für die Kreter, die im Inselinneren noch sehr rückständig leben müssen, aber schlecht für Motorradfahrer, die bei ihrer Wanderung auch erfahren möchten, wofür zum Beispiel eine Enduro ein gutes Fahrwerk hat.
Auf 800 Metern Höhe rollerte ich durch Temenia, Platanes und Prodomi, alles Bergdörfer, die von Oliven und anderen landwirtschaftlichen Produkten leben. Schließlich erreichte ich nach serpentinen- und kurvenreicher Strecke Palechora. Die kleine Hafenstadt an der Südküste Kretas wurde auf einer Landzunge gebaut, an deren Südende ein Fährhafen liegt. Am Westufer der Halbinsel zieht sich eine große und schöne Badebucht hin, im Osten befindet sich die Altstadt mit einigen schönen Tavernen und Blick auf Fischerboote. Auf einer Anhöhe südlich der Altstadt stehen die Ruinen des Kastelli Selinou, von dort hatte ich eine sehr gute Aussicht über die Stadt, den Hafen und die Badebucht.
Wegen der fortgeschrittenen Zeit beschloss ich, die Hauptstrecke über Kantanos und Maleme Richtung Nordküste ohne Pause zu nehmen. Dank des Straßenausbaus konnte ich einige Teilstücke mit 80 km/h und mehr unter die Räder nehmen. Bisher waren ja max. 60 km/h angesagt gewesen.
Ich erreichte schließlich die Küstenstraße Platanos nach Chania. Hier liegen einige Ortschaften, die gute Hotels bieten. Die Orte findet man in fast jedem Katalog, z.B. Maleme, Gerani, Platanias und Agia Marina. Diese Bade- und Touristenorte besitzen sehr schöne romantische alte Dorf- und Stadtkerne. Auch die Strände sind nicht zu verachten. Bäume am Strand spenden Schatten, und wo Schatten ist findet man Strandtavernen. Dort lässt sich im Sommer die große Hitze bei kühlen Getränken gut aushalten, denn wer im Sommer kommt, der muss mit Temperaturen um 40°C rechnen. Wer sich dennoch dann zu einer längeren Motorradtour aufrafft, wird den Kontrast zwischen den verdorrten Küstenregionen und den grünen Tälern im Landesinnern sehr erfrischend finden. Durch die alten Ortsteile führen die Straßen aber nicht. Um sie zu sehen, muss man schon vom direkten Weg abweichen und eine Rast einlegen. Fahren ist meistens nicht möglich, denn die für Esel ausgelegten Gassen bieten auch für Motorräder keinen Platz.
Auch im Hochsommer bin ich mit Freunden auf Kreta Touren gefahren. Wir sind immer sehr früh ohne Frühstück losgefahren und gegen 10 Uhr meistens dann irgendwo eingekehrt. Die Mittagszeit haben wir müden Biker irgendwo am Strand verdöst und gegen 16 Uhr traten wir dann den Rückweg an, um uns die Hitze auf dem Bock zu ersparen.
Soweit zum sentimentalen Rückblick auf meine Sommererlebnisse auf Kreta. Zurück zur Tour: ich schlängelte mich durch die abends volle Stadt Chania und erreichte nach zwölf Stunden und gut 200 Kilometern Fahrstrecke meine Unterkunft.
Chania bietet viele kleine Hotels von sehr gut bis zu … naja. Ich kann das direkt am Stadtstrand liegende Hotel „FRINI” empfehlen. Es ist zwar recht einfach und hat keine Klimaanlage, ist aber sehr sauber und bietet gutes Essen. Die Wirtin hat viele Jahre in Deutschland gelebt, außerdem betreibt die Familie noch einen Auto- und Motorradverleih. Die Adresse: Akti Papanikoli 30, Chania, Telefon 0030-821-90176 und 96047; Fax: 76498.
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