aus Kradblatt 12/21, von Marcus Lacroix
Fahrdaten sammeln und auswerten
Moderne Motorräder, speziell der gehobeneren Klassen, bieten dem Fahrer unter dem Schlagwort „Connectivity“ mittlerweile nicht nur die Einbindung von Navigation & Kommunikation sondern eine Vielzahl weiterer Funktionen. Diese werden für gewöhnlich mit einer App auf dem Smartphone abgerufen.
Während sich manch alter Hase an diesem Punkt schüttelnd abwendet, bedauern andere eben diese fehlenden Funktionen bei ihren älteren oder auch nur wenige Jahre alten Maschinen. Die Entwicklung geht einfach zu schnell und nicht jeder wechselt alle zwei Jahre das Bike um auf dem neusten technischen Stand zu sein.
Hier setzen Nachrüstlösungen wie das Rideet One des italienischen Herstellers Solectric Italia S.r.l. an, kleine Computer in Blackboxen mit App-Anbindung, die es mittlerweile für unterschiedliche Ansprüche und Geldbeutel im Handel gibt. Allen Connectivity-Lösungen gemein ist, dass sie nach einer gewissen Zeit Folgekosten verursachen, da sie über eine eigenständige Anbindung ans GSM-Handynetz verfügen.
Kommen wir also zunächst zum Preis: Das Rideet One kostet als UVP 249 €. Das erste Jahr der Nutzung ist inklusive, danach fallen monatlich 4,90 € an (monatlich kündbar). Saisonfahrer können ihre Kosten also durch bedarfsgerechtes An- und Abmelden des Systems deckeln.
Für die knappen 250 € erhält man einen kleinen schwarzen Kasten mit zwei Kabeln (Plus + Minus), zwei Kabelbinder zur Montage und einen Schlüsselanhänger (Rideet One Key), der den Fahrer bei Annäherung ans Fahrzeug automatisch identifiziert.
Die Montage des Rideet One ist sehr einfach. Gemäß der Kurzanleitung lädt man erst die App für iOS oder Android und folgt dann den vorgegebenen Schritten bis zum Anschluss an die Batterie. Inkl. Aktivierung und Kalibrierung dauert das Ganze je nach Sitz der Batterie ca. eine halbe Stunde und ist von jedem zu bewältigen, der seine Batterie alleine ein- und ausbauen kann. Zur Montage der Box am Rahmenrohr liegen zwei Kabelbinder bei, ich habe sie allerdings mit einem Klebepad im Stauraum befestigt.
Alle Funktionen zu erfassen und auszuprobieren dauert dann länger. Das Rideet One Handbuch ist Online abrufbar und führt einen verständlich durch die Optionen.
Kern moderner Fahrassistenzsysteme ist eine sogenannte IMU (Inertial Measurement Unit = Trägheitsmesseinheit), ein Sensor, der verschiedene Achsausrichtungen überwacht. Im Fall des Rideet One sind es 9 Achsen, in denen Beschleunigungs- und Rotationskräfte gemessen werden. Hierüber kann nicht nur die Lage des Fahrzeugs sondern auch der Fahrzustand berechnet werden. Dazu kommen die GPS-Sensoren, die den Standort bestimmen. Aus dem Rennsport kennt man dafür den Begriff „Telemetriedaten“. Die Software in der App bereitet das Ganze dann für den Nutzer graphisch auf.
Das Rideet One zeichnet also nicht nur die gefahrenen Touren auf sondern es können zu jedem Streckenpunkt auch die Daten für Geschwindigkeit, Beschleunigung (Minuswerte beim Bremsen) und Schräglagenwinkel abgerufen werden. Die Daten kann man natürlich ganz profan zum „Schwanzvergleich“ heranziehen („Alter, meine war echt schräger als wie deine …“) oder aber auch zur Verbesserung der eigenen Fahrkünste – speziell, aber nicht nur, z. B. bei Fahrtrainings. Der ebenfalls vorhandene Drag-Modus, der automatisch die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h bzw. 0 auf 200 km/h dokumentiert, hat seinen Wert hingegen wohl eher am Stammtisch – allenfalls noch zur Überprüfung von Tuningmaßnahmen. Im Drag-Modus wird das Tracking unterbrochen und ein sehr guter Satellitenempfang ist zur Erfassung korrekter Daten nötig. Immerhin weiß ich jetzt, dass meine recht schwere und mit 53 PS nicht so reichlich motorisierte 750er X-ADV inkl. Koffer in 5,6 Sekunden von 0 auf 100 sprintet. Die 200 erreiche ich damit allenfalls im freien Fall.
Da die IMU auch kleine Bewegungen wahrnimmt, arbeitet das Rideet One super als Diebstahl- bzw. Bewegungsmelder. Die Funktion ist abschaltbar und es lassen sich auch „Geo-Fences“ – also „eingezäunte“ Gebiete – festlegen, in denen kein Alarm ausgelöst wird. Das macht z. B. Sinn, wenn die Maschine in der heimischen Garage gerne mal angerempelt wird. Andernfalls bekommt der Fahrzeugbesitzter direkt eine Nachricht mit einer Diebstahlwarnung aufs Smartphone. Über einen Livetracking-Modus kann er dann sein Fahrzeug verfolgen.
Einer Rideet-Presseinfo zufolge, über die wir erst auf das System aufmerksam wurden, kam diese Funktion einer Kundin des Berliner Motorradhändlers AVP zugute: „ […] Als die Berliner Bikerin den Diebstahl ihres Motorrads bemerkte, konnte sie mit der Hilfe von Rideet binnen kürzester Zeit die aktuellen Ortungsdaten an die Polizei übermitteln. Nach nur 3–4 Stunden konnte die Polizei in einer Scheune in Gluchowo/Polen das Bike der Berlinerin beschlagnahmen und entdeckte nebenbei drei weitere gestohlene Motorräder, die ebenfalls von der Polizei vor Ort konfisziert wurden und an ihre Besitzer zurückgegeben werden.“ Da hat sich der Einbau doch direkt gelohnt.
Eine weitere Funktion ist die Unfallerkennung: Sensoren lösen bei einem Unfall SMS-Notfallnachrichten an definierte Notfallkontakte sowie an Rideet One User in der Nähe aus, um im Ernstfall schneller Hilfe an den Unfallort zu dirigieren. Medizinische Zusatzdaten (z. B. Bluter, Allergien o. ä.) lassen sich auf Wunsch vorher festlegen und werden zusammen mit den Standortdaten verschickt. Aber Vorsicht: die Unfallerkennung ist aktuell noch KEIN echter Notruf. Notrufe per SMS sind bisher nur in Baden Württemberg anerkannt, es gibt keine bundeseinheitliche SMS-Notrufnummer! Eine echte Notruffunktion zu öffentlichen Rettungsdiensten ist in Planung. Da Rideet One sich einfach über das Smartphone updaten lässt, sind weitere Funktionen und Verbesserungen für die Zukunft möglich.
Dass die Entwickler bei Solectric engagiert sind, zeigte sich u.a. in der schnellen und kompetenten Beantwortung meiner Fragen und dem Interesse an konstruktiver Kritik.
So lassen sich Stand 11/21 die Tourdaten aus der Rideet App nur als CSV-Datei exportieren, die neben der Route viele weitere Telemetriedaten enthält. Das ist praktisch, wenn man die Daten in Videos (z. B. über Dashware, www.
dashware.net) einblenden möchte. Das Konvertieren in Navi/App-gängige GPX- oder KML-Dateien braucht aber zusätzliche händische Vorarbeit, damit Online-Konverter wie z.B. www.miconv.com damit klar-kommen. Weniger computeraffine User sind da schnell überfordert.
Rideet auf Nachfrage dazu: „Wir haben auf Basis Ihrer Rückmeldung nun entschieden, den Nutzern zukünftig zwei Optionen beim Export anzubieten: CSV-Datei mit allen Daten (z.B. für Videointegration) sowie direkt eine GPX-Datei, nur mit den Koordinaten der Tour. Das erleichtert sicher die Handhabung. Das Update ist geplant für Dezember. Unabhängig davon arbeiten wir bereits an einer Funktion, dass Touren/Strecken in der App direkt mit Freunden zum Nachfahren geteilt werden können. Diese Funktion soll im Januar veröffentlicht werden.“ Das ist doch mal eine klare Ansage!
Die Funktion, gefahrene Touren direkt über Social Media zu teilen, soll ebenfalls bis Ende des Jahres implementiert werden.
Die Bedienung per Sprachassistent ist derzeit auf Alexa beschränkt.
Aufgrund ihrer Größe werden die Telemetriedaten des Rideet One übrigens nicht direkt in die Cloud gesendet. Zur weiteren Bearbeitung baut die Blackbox mit dem Smartphone eine WLAN-Verbindung auf, der Download ist dann schnell erledigt. Die eigenen Fahrdaten lassen sich so lokal speichern.
Die Rideet App zeigt, außer dem Standort, auch die Batteriespannung an. Ein Feature, das für Wenigfahrer und Wintereinlagerer interessant ist.
Darüber hinaus lassen sich sämtliche Wartungen der Maschine über die App managen, an die man – wie auch an den HU-Termin und ggf. das Saisonkennzeichen – fristgerecht erinnert wird. Für viele Modelle ruft Rideet nach Einrichtung alle relevanten technischen Daten, Serviceintervalle und Arbeiten ab. Füllmengen, Anzugdrehmomente, Ventilspielmaße und einiges mehr werden einem angezeigt.
Verfügt man über mehrere Motorräder, lassen sich diese gesammelt in der „Garage“ der App managen. Zur Aufzeichnung der Telemetriedaten ist aber für jede Maschine ein eigenes Rideet One erforderlich.
Fazit: für alle, die Spaß am Motorradfahren UND am Umgang mit moderner Technik, Apps und Daten haben, ist das Rideet One eine coole Sache.
Erhältlich ist das Rideet One im Motorrad-Fachhandel, der ggf. auch direkt den Einbau übernehmen kann, bei Louis und POLO sowie direkt bei Rideet unter www.rideet.com.
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