aus bma 03/02

von Manfred Stephan

Es ist soweit: Meine erste mehrtägige Alleinreise steht bevor. Die Planung der Rheinland-Pfalz-Tour mit Abstecher zum Ténéré-Treffen hat mir Spaß gemacht und aufkommende Gedanken an eventuelle Langeweile oder sonstige Unzulänglichkeiten einer Alleinreise hatte ich verdrängt. Jetzt jedoch, kurz vor der Abfahrt, kommt dann plötzlich alles geballt: Zweifel, schlechtes Gewissen (schließlich bleiben Frau und Kind das erste Mal alleine zu Hause, während ich mich vergnüge) und vielleicht auch etwas Muffensausen vor der relativ großen Tour mit einem für mich neuen, aber eben doch älteren und unbekannten Motorrad. Schließlich bin ich keine Schraubernatur.
Aber – vollgepackt und teilweise mit extra gekaufter Ausrüstung – bleibt mir jetzt eigentlich nichts anderes mehr übrig, und ich starte meine 660er Ténére. Die 500 Kilometer Autobahn bis Blankenheim spule ich problemlos und trocken ab. Nach viereinhalb Stunden Fahrt verlasse ich mit schmerzendem Hinterteil, tauben Ohren und völlig betäubtem Unterleib die A1. Die letzten 70 Kilometer bis Bernkastell-Kues an der Mosel fahre ich auf der Landstraße.

 

Als ich am nächsten Morgen los fahre, strahlt mich die Sonne an. Nach einigen kleineren Einkäufen habe ich noch 20 DM Bares im Portemonnaie, was mich zunächst nicht weiter beunruhigt. Auf der Suche nach einer Tankstelle wird mir aber dann langsam etwas mulmig. Die gefahrenen Kilometer lassen darauf schließen, dass sich mein Tankinhalt langsam dem Ende neigt. Aufgrund des relativ starken Verkehrs hatte ich schon vorher vorsichtshalber auf Reserve gestellt, um nicht im fließenden Verkehr plötzlich einen „Stocker” zu bekommen.
Einige Orte weiter finde ich endlich eine Tanke. Dann der Schock: Beim Bezahlen muss ich feststellen, dass ich meine EC-Karte zu Hause vergessen habe. Mein Bargeld ist nunmehr auf die besagten 20 DM reduziert, und eine Kreditkarte besitze ich nicht. Nach einigem Hin und Her mit dem Tankwart kann ich schließlich mit einem Euroscheck bezahlen und fahre anschließend zur Bank, um dort eine Blitzüberweisung zu veranlassen. Die aber macht in einer Stunde zu und die Geldbeschaffung würde etwa ein bis zwei Stunden dauern. Warten oder Weiterfahren? Der Tank ist jetzt ja voll und 20 DM habe ich notfalls auch noch. Ich fahre also lieber los, um mir nicht die Tour zu vermasseln, und das Geld erst morgen abzuholen. Vielleicht kommt es heute eh nicht rechtzeitig bis Geschäftsschluss.
Der Tag soll mich in die Eifel führen. Geplant habe ich eine Strecke über Gerolstein, Bitburg, Prüm, Luxemburg und Trier. Schon jetzt habe ich Zweifel, dass ich dieses Pensum aufgrund der vergeudeten Zeit überhaupt schaffe. Der erste Ausflug führt mich zur Burg Arras. Sie wurde im 9./10. Jahrhundert erbaut und thront auf einem Felsen bei Alf. Besucher müssen sich allerdings auf einen 500 Meter langen ansteigenden Fußweg gefasst machen. Zu sehen gibt es eine kleine animierte Folterkammer, die ein wenig an das Hamburg Dungeon erinnert und etwas Gruselcharakter hat.
Mein nächstes Ziel führt mich durch eine kurvige und bewaldete Strecke nach Bad Bertlich, wo ich mir die Elfengrotte anschauen möchte eine Höhle aus Basaltlava mit einem kleinen Wasserfall nebenan. Das Gestein der Höhle ist käseartig durchlöchert, daher wird diese Grotte auch „Käse-Grotte” genannt. Nach kurzer Suche stelle ich fest, dass auch sie nur zu Fuß erreichbar ist. Nach zehn Minuten beschließe ich, aufgrund der bedrohlich dicken Wolken über mir und der fortgeschrittenen Stunde den Fußmarsch abzubrechen und die Fahrt fortzusetzen.
Der Weg bringt mich über die verlassenen, kurvigen und hügeligen Landstraßen der Vulkaneifel vorbei an verschiedenen Maaren. Maare sind Seen, die vor Tausenden von Jahren durch Gas- eruptionen und Wasserdampfexplosionen ent- standen sind, die Unmengen von Gestein in die Luft schleuderten und so riesige Löcher in die Erdoberfläche rissen, die sich dann im Lauf der Zeit mit Wasser füllten. Die Maare werden auch „Die Augen der Vulkaneifel” genannt und von oben gesehen sieht es auch beinahe so aus. Leider sieht man die meisten Maare nur von Nahem. Wenn man es nicht genau weiß, dass es sich um ein Maar handelt, könnte man als Unwissender meinen, es sei einfach nur ein ganz normaler See. Am 74 Meter tiefen Pulvermaar mache ich einen Fotostopp, der sich schon allein wegen der üppigen und abwechslungsreichen Vegetation am Maarrand lohnt. Ich umrunde verschiedene Maare, wie das Pulvermaar, das Schalkenmaar und das Tote Maar und viele andere.
Der Weg nach Gerolstein zu den Eis- und Tropfsteinhöhlen ist ein Genuss. Kurven, Kehren, Hügel und Berge, eben ganz anders als bei uns im Norden. Plötzlich fällt mir ein, dass ich ja nur noch 20 DM habe und in den Höhlen natürlich Eintritt bezahlen muss. Ein Blick auf meinen Tacho bringt weitere Ernüchterung: schon 120 Kilometer gefahren – und zurück muss ich auch noch! Ich verzichte auf die Besichtigung und setze meine Tour durch die Eifel bzw. Teile des Hundsrück fort. Der Weg führt mich wieder über die scheinbar extra für Motorradfahrer angelegten Landstraßen – auf Berge mit kleinen Serpentinen und Kurven, die durch üppig bewaldete Wälder am Straßenrand beflankt sind. Ich genieße die Fahrt in heftigen Schräglagen und mit einigen Fußrastenaufsetzern.
Nach der Burg „Bertrada” in Mürlenbach steuere ich Wallenborn an. Hier findet man den wallenden Born, den sogenannten „Brubbel”. Es ist eine Art Geysir, der nach einer Ruhezeit von etwa 35 Minuten rund 20 Minuten lang „brubbelnd” Gase an die Oberfläche entlässt. Doch die Leute stehen alle vor einem Zaun. Ausgerechnet heute werden Instandhaltungsarbeiten durchgeführt. Vom „Brubbel” selbst ist absolut nichts zu sehen.
Nach wiederum kurzer Fahrt begrüßt mich die Stadt Manderscheid. Das Wort „Stadt” macht mich zunächst etwas stutzig, da dieser Ort auf meiner Karte nur sehr klein verzeichnet ist. Aber ich werde eines Besseren belehrt und fahre durch ein idyllisches kleines Städtchen. Hier gibt es die Ober- und die Niederburg. Die Oberburg steht etwas höher auf einem Felsen und wurde 973 erstmals erwähnt. Die Niederburg wurde 1147 errichtet, liegt tiefer im Tal und sieht aus wie aus einem Ritterfilm.
Auf der Rückfahrt durch die nach wie vor herrliche Landschaft regnet es heftig. Dazu gesellt sich starker Wind – teilweise mit orkanartigen Böen, so dass ich und mit imposanter Schräglage auf gerader Stecke, mit Tempo 40 km/h über die Autobahn gondel. Kaum habe ich mein Motorrad wieder in Bernkastell-Kues abgestellt, hört der Wolkenbruch schlag- artig auf und die Sonne strahlt mich an. Klasse!
Da mein Benzinvorrat noch einen kleinen Abstecher erlaubt, schaue ich mir noch die Burgruine Landshut in Bernkastell-Kues an. Traumhafte Straßen führen über serpentinartige Strecken auf einen Parkplatz oberhalb der Burgruine. Auf dem Fußweg zur Burg eröffnet sich ein wunderschönes Panorama über das Moseltal. Ausgerechnet jetzt gibt auch noch der Fotoapparat den Dienst auf.
Zurück im Zelt bricht mir zu guter Letzt an meiner „Frustflasche” Wein auch noch der Korken ab.
Der nächste Tag beginnt, wie der letzte aufgehört hat: mit Pech. Nachdem mich mein Wecker im Stich gelassen hat, kaufe ich mir eine Quick- snap-Kamera und hole mein Geld bei der Bank ab. Mit zweieinhalb Stunden Verspätung geht es los. Der Weg führt die Mosel entlang. Über wunderschöne Serpentinen und kurvige Wege geht es über Zell, Merl, Sensheim und Altstrimming nach Treis zur Burg Eltz.
Nachdem ich mein Besichtigungsticket gelöst habe, die Burg aber noch nicht sehen kann, verweist mich die Dame an der Kasse auf den Weg um einen Berg herum in einen Wald. Nachdem der Weg immer länger und unwegsamer wird, vermute ich schon, mich verlaufen zu haben. Doch nach einer halben Stunde bin ich am Ziel. Die Burg Eltz schaut von ihrem Felsen zu mir herab. Bei der Größe ist es kaum zu glauben, dass man die Burg erst sehen kann, wenn man direkt davor steht.
Ich schließe mich einer Führung an und nach fast zwei Stunden plane ich bei einer Tasse Kaffee und strahlendem Sonnenschein meine neue Tour. Dass ich mal wieder meine geplante Strecke nicht fahren kann, war mir eigentlich schon zu Beginn des Tages klar. Bis zum Rhein, dann den Rhein runter und über Rüdesheim zurück, das wäre reine Hetzerei. Dafür bin ich nicht hergekommen. Da ich ja nun weiß, was für schöne Strecken es hier gibt, wähle ich einfach eine Alternativroute und genieße die Kurven, Kehren, Serpentinen Wälder und Felder des Hundsrück.
Beim Zwischenstopp auf einem einsamen und unbefestigten Feldweg sinkt mein Seitenständer tief in den Boden ein, sodass meine Ténéré kopfüber an einem leichten Hang umfällt. In dieser verlassenen Gegend eine mittlere Katastrophe, da hier weit und breit kein Mensch zu sehen ist, der mit helfen könnte, die Ténéré wieder hinzustellen. Nach einigen erfolglosen Versuchen schaffe ich es dann doch, mit letzter Kraft das Moped wieder aufzurichten. Völlig entkräftet und mit schlotternden Knien setze ich die Fahrt fort.
Zurück im Zelt plane ich meinen letzten Tourentag. Es soll in den Pfälzer Wald gehen. Da ich mich bei der bisherigen Planung heftig mit den Entfernungen und dem Zeitaufwand verkalkuliert habe, frage ich mich, ob ich nicht gleich den Weg nach Hause antreten soll. Von Bernkastell-Kues bis Kaiserslautern und dann noch weiter nach Süden bis Annweiler? Anschließend wieder Richtung Norden nach Worms zum Ténéré-Treffen? Da eine Nacht schlafen und am Samstag nach Hause? Lohnt das? Was schaffe ich, ohne zu rasen? Da morgen Freitag und somit die Autobahn sicherlich brechend voll ist, außerdem schlechtes, für Samstag allerdings wieder gutes Wetter angesagt ist, beschließe ich – nach einigen Bechern Wein – die Tour wie geplant zu beenden, aber auf weiträumige Abstecher zu verzichten.
Nach kurzer Fahrt durch einen Teil des Pfälzer Waldes – durch das Karlstal, vorbei an der Karlstalschlucht – erreiche ich kurz vor Mittag das „Johanniskreuz“, den Motorradtreffpunkt der Region. Um sicher zu gehen, ob ich denn hier auch wirklich richtig bin, frage ich im anliegenden Café noch einmal nach, da um diese Zeit natürlich kein motorradfahrender Mensch anwesend ist. Nur einige Banner und Zettel mit Kleinanzeigen an den umliegenden Bäumen lassen erahnen, dass hier ansonsten am Wochenende der Teufel los ist. Und ich hatte so gehofft, hier mal mit einigen Leuten über die Herkunft meines Nummernschildes zu fachsimpeln.
Die nächste Station ist Annweiler mit der Trifels. Es folgt eine etwa 25 Kilometer lange Kurvenorgie, die größtenteils bergab verläuft. Nicht nur die Kurven, sondern auch die Einsamkeit des Waldes ist hier – zumindest um diese Uhrzeit – faszinierend. Allerdings warnen diverse Schilder speziell Motorradfahrer, hier sinnig zu fahren. In der Tat kann ich mir vorstellen, dass hier einige Übermütige nicht nur schnell die Kontrolle über ihr Motorrad, sondern auch schnell das Leben verlieren.
Die frühe Uhrzeit und meine Tourenkarte laden mich dazu ein, nun doch noch über die Landstraßen einige Umwege durch den Pfälzer Wald zu fahren, bevor ich bei Neustadt an der Wein- straße auf die Autobahn stoße und mich zum 15. Internationalen Ténéré- und Enduro-Treffen in Worms-Pfeddershein aufmache.
Im Ort angekommen erkundige ich mich an einer Tankstelle nach dem Ténéré-Treffen: Schulterzucken. Tolle Organisation, denke ich. Wo sind die versprochenen Schilder? Und wo sind überhaupt Motorräder, geschweige denn Enduros oder Ténérés? Ist das überhaupt heute? Dann kommt mir endlich eine Ténéré entgegen. Schnell umgedreht und hinterher. Vielleicht weiß der Fahrer ja mehr. An einer Tankstelle treffe ich schließlich Michael mit seiner Ur-Ténéré. Da er schon letztes Jahr da gewesen ist und den Weg kennt, fahren wir gemeinsam zum Treffpunkt. Dort treffen wir auf Markus mit seiner Super-Ténéré und Dietrich mit einer Transalp. Sie sind sich auch nicht sicher, ob das Treffen heute stattfindet, da eigentlich ab 13 Uhr jemand da sein sollte, der Platz aber völlig verlassen ist.
Wir reden etwas Benzin bis dann um 15 Uhr endlich jemand von der Organisation kommt. Nachdem wir unsere Zelte aufgeschlagen haben, füllt sich auch langsam der Platz mit Zelten. Am Abend wird er „wegen Überfüllung geschlossen” und einige müssen außerhalb des vorgesehenen Platzes ihr Quartier aufschlagen.
Das Treffen selbst ist recht angenehm. Leider muss ich am Samstag früh mein Zelt abbauen. Trotzdem lohnt sich auch der eine Abend, da ich jede Menge nette Leute kennenlerne, die ich auch gerne wieder treffen möchte.
Die Rückfahrt verläuft zum Glück ohne nennenswerte Ereignisse. Nach sechseinhalb Stunden bin ich wieder zu Hause – merkwürdigerweise ohne schmerzendes Hinterteil oder betäubten Unterleib, aber nach wie vor mit tauben Ohren von den Windgeräuschen.
Eins steht fest: Die nächste längere Tour mache ich nur noch mit Ohropax und Tourenscheibe!