aus Kradblatt 2/14
von Ricky Lowag

Rennleitung #110Die Einsatzzentrale der Rennleitung#110 ist eine kleine Garage mit Nebenraum in der Kraichgaugemeinde Östringen. Zentral zwischen Schwäbischem und Pfälzer Wald, dem Oden- und Schwarzwald und damit im Epizentrum der süddeutschen Motorradszene. Hier drehen sich die Gedanken von „Rennkommissar“ Rick Lowag – der ja auch schon des öfteren Fahrberichte für’s Kradblatt verfasste – immer wieder um das sportliche Motorradfahren; wie man schwere Unfälle reduzieren, aber auch das Image der Sportbiker in der Öffentlichkeit aufpolieren kann. Nicht von Amtswegen, sondern rein privat. Ohne Auftrag seiner Vorgesetzten und nur in der Freizeit. Vor nunmehr drei Jahren hatte er die Idee zu diesem Präventionsprojekt und mit Peter Göb, einem Polizeikollegen aus Hessen, einen Gleichgesinnten gefunden.
Gemeinsam kauften sie sich eine silberne BMW S 1000 RR, das Superbike, das kurz zuvor noch mit Leistungswerten von 200 PS bei 200 Kilogramm aufhorchen hatte lassen. Aber eben auch eines der ersten Motorräder, das dem Leistungswahn ein adäquates Sicherheitspaket aus Antiblockierbremse und Traktionskontrolle gegenüberstellte.
 
Rennleitung #110 im EinsatzWas lag da näher, als der silbernen BMW mit blauer Folie einen Polizeilook zu verpassen. Ein Superbike, das wie ein Streifenfahrzeug aussehen sollte. Eine Kommunikationsbrücke zwischen Polizist und Motorradfahrer – zwei Persönlichkeitsstrukturen, die sich nicht immer wohlgesonnen sind. Aber eben auch zwei Seelen, die in der Brust der beiden Familienväter aus Baden-Württemberg und Hessen schlagen. Diese Gemeinsamkeit sollte zum Erfolgsrezept der Rennleitung#110 werden: Die Ansprache auf Augenhöhe – von Sportbiker zu Sportbiker. Den Polizeibegriff ließ man außen vor. „Rennleitung“ ist als Synonym ebenso aussagekräftig und in Kombination mit dem Notruf „110″ als Startnummer selbsterklärend.
 
Wo die Polizei durch Verkehrsüberwachung und den mahnenden Zeigefinger nicht immer ganz den Kern der Sache trifft, durchbricht die Rennleitung Barrieren, die sich auf beiden Seiten aufgebaut haben. Das ist nicht immer einfach. „Wir kämpfen zwischen den Fronten“, so Lowag. „Vorgesetzte beäugen das Engagement durchweg kritisch und von Seiten der Fahrer empfängt uns meist Misstrauen“. Im sturzgeprüften Rennleder jedoch, mit abgeschliffenen Kniepads und eben mit den leistungsstarken Sportbikes selbst, sind Vorbehalte schnell abgebaut.
 
Knieschleifen im Straßenverkehr – geht das überhaupt? „Sinn macht es so gut wie nirgends“, ist Lowag überzeugt. Darum ist er bereits seit 2007 auf Rundkursen unterwegs und arbeitet hier an seinen Fahrfähigkeiten. „Seitdem bin ich auf der Straße auch viel ruhiger geworden!“, schmunzelt der 37-jährige. Davor war der Polizist im Privaten keineswegs ein Musterknabe. Die logische Folge kam 2004 mit einem schweren Motorradunfall, der ihn fast die Funktionsfähigkeit der rechten Hand gekostet hätte. Ausgerechnet die Gashand, die allzu oft mit ihm durchging. Sieben Monate Reha und die Geburt seiner Kinder trugen zur Einsicht bei, dass die Straße nicht zum Rasen taugt.
 
Als 2010 ein Kollege tödlich verunglückte, war das die Geburtssunde der Rennleitung#110. „Er war der Streifenpartner eines guten Freundes und als wir an diesem Tage gerade am Telefon Pläne für Motorradtouren schmiedeten, traf uns die Nachricht wie ein Schlag“, erinnert sich Lowag. Einsetzender Regen und eine ungesicherte Leitplanke kosteten dem Kollegen das Leben. Aus diesem Umstand entstand die Partnerschaft zu MEHRSi (www.mehrsi.de), die sich dem lebensrettenden Unterfahrschutz widmen. Bis heute, ein zentrales Anliegen des privaten Präventionsprojekts aber auch nur einer von vielen Aktionsräumen.
 
Rennleitung #110 TrainingMotorradfahren wird immer ein riskantes Hobby bleiben. Doch man kann vieles tun, um den Gefahren nicht unvorbereitet zu begegnen. Natürlich ist angemessene Schutzkleidung zu nennen, doch gegen eine diesbezügliche Vorschrift verwehrt sich Lowag. Wer definiert, was „Schutzkleidung“ ist? Selbst beim Motorradhelm geht hier die Meinung weit auseinander. Das Repertoire des Polizisten selbst reicht von Kevlar-Jeans bis zum Rennleder und das betont er auch immer wieder: „Anziehen, wie man fährt – fahren, wie man angezogen ist!“, selbst der Vollschutz wird bei einem Hochgeschwindigkeitscrash im Straßenverkehr nicht das Leben retten können. Hier ist der Fahrer gefragt, die richtige Balance zu finden, das Risiko zu minimieren.
 
Rennleitung#110 ist mittlerweile ein eingetragener Verein mit fast 150 Mitgliedern. Größtenteils Förderer, die mit ihren Geldspenden die Arbeit des Projektes unterstützen. Peter Gob als Mitbegründer hat sich zwar zwischenzeitlich etwas zurückgezogen, aber dafür kann Rick Lowag mittlerweile auf einen Stamm an Aktiven zurückgreifen. Mit Klaus Hannemann und Wolfgang Zeller hat man selbst zwei durch den Bundesverband der Motorradfahrer (www.bvdm.de) ausgebildete Moderatoren für Sicherheitstrainings in den eigenen Reihen.
 
Gemeinsam entwickelte man ein spezielles Trainingskonzept namens „S.T.Ri.K.E“ – dieses modulare System führt in drei Schritten vom normalen Platztraining, über Schräglagen- und Kurventrainings bis zum Fahren am Limit auf der Rennstrecke. „Situativ Trainieren – Risiko Kompetenz Erfahren“ – so das Motto. Die Grundlagen einer sicheren Fahrzeugbeherrschung werden mit Elementen des Risikomanagements verbunden. Gefahren auf öffentlichen Straßen werden analysiert und erkannt und das Fahren am Limit wird im gesicherten Umfeld von Rennstrecken umgesetzt.
 
Um die Bodenhaftung nicht zu verlieren, setzt man bei der Rennleitung auf Reifen aus deutscher Herstellung. Mit Metzeler hat man einen starken Partner an der Seite. „Sportreifen wie der Racetec K3 sind eigentlich Rennreifen mit Straßenzulassung. Vor wenigen Jahren hätten Profis dafür ihren Renningenieuren die Füße geküsst!“, so Lowag. Und mit dem neuen Sportec M7RR ist man als Alltagssportreifen auch bei Nässe und Kälte gut gerüstet. Die Vorzüge dieser Reifen können Interessierte bei der Rennleitung#110 im wahrsten Sinne des Wortes „erFahren“. Auf Testbikes vom Typ Triumph Daytona 675R, welche die Trainer und Instruktoren bei den Veranstaltungen einsetzen, sind kostenlose Testrides möglich. Ebenso wie mit diversen Helmmodellen des Herstellers Scorpion, die in allen Größen leihweise zu Verfügung stehen.
Doch nicht nur Trainings gehören zum Aktionsprogramm der Rennleitung#110. Auch bei Verkehrssicherheitsaktionen wirken die Rennkommissare mit. Gemeinsam mit der Landesaktion „Gib ACHT im Verkehr“ wurde die Kampagne „Du hast es in der Hand!“ in Baden-Württemberg entwickelt, die verstärkt auf die Eigenverantwortung beim Motorradfahren setzt. Und an diese appellieren die Rennkommissare auch mit ihrer Philosophie vom „Anständig Fahren“. „Es geht nicht darum, sich immer und überall an alle Regeln zu halten – das schaffen selbst wir nicht immer“, gibt der Kriminaloberkommissar zu, „aber sich der Verantwortung Anderen gegenüber bewusst zu sein und sich danach zu richten, ist das Mindeste was man tun kann.“
 
Das gilt auch beim Problemfeld Motorradlärm. Kaum ein anderes Thema erregt momentan so die Gemüter. Allen Ortes gründen sich Bürgerinitiativen, die Streckensperrungen und schärfere Regelungen fordern. Im eigenen Interesse sollten Motorradfahrer daher auf hohe Drehzahlen und offene Auspuffanlagen verzichten.
Dass nicht jede Streckensperrung überwacht, sondern durchaus auch überdacht gehört, zeigte die Rennleitung, als zum 1. Ap­­­ril 2013 die Landesstraße 1187 zwischen dem bekannten Bikertreff „Glems­eck“ und dem Schattengrund bei Stuttgart für den Motorradverkehr gesperrt wurde. Aus Sicherheitsgründen, wie man von behördlicher Seite betonte. Der Straßenbelag sei schlecht und die Sturzgefahr für Biker daher zu hoch.
 
Da man nicht einerseits mehr Sicherheitsbewusstsein verlangen, andererseits aber seine Sicherungspflicht vernachlässigen kann, initiierte die Rennleitung#110 das „Aktionsbündnis Mahdental“, welches bundesweit Aufmerksamkeit erregte und auch den BVDM auf den Plan rief. Mit deren Unterstützung und starken Partnern aus der Region konnten in einer Petition einige tausend Unterschriften gesammelt werden, die auch die Politik zum Umdenken brachten. Ergebnis: Die Mahdental-Strecke wurde saniert und im Herbst bereits wieder freigegeben.
 
Rennleitung #110Es gibt noch viel zu tun. Informationsstände an beliebten Strecken, wie dem Randen im Südschwarzwald, für den die „Rennkommissare“ eine Art Patenschaft übernommen haben, oder auch die Mitwirkung an Motorradveranstaltungen- und Messen im Winter fordern immer wieder den persönlichen Einsatz. Und auch ein breites Informationsangebot im Internet unter www.rennleitung-110.de oder auf Facebook will ständig aktualisiert werden. Das Internet ist ein wichtiges Medium. Mittlerweile folgen weit über 6.000 regis­trierte Nutzer den Beiträgen der „Rennkommissare“ auf Facebook und der Verbreitungsgrad selbst liegt um einiges höher. Einiges davon wird durchaus kontrovers diskutiert, denn immer wieder greift das Team dabei brisante Themen auf. Wenn es zum Beispiel um Actioncams und fragwürdige Internethelden geht oder aber um die rechtlichen Aspekte manipulierter Auspuffanlagen. Nicht selten ecken die Initiatoren dabei auch an. Aber der Erfolg gibt ihnen Recht. Nicht wenige fühlen sich der „Rennleitung“ mittlerweile freundschaftlich verbunden. „Vielleicht hätte ich mich schon tot gefahren, wenn ich die schrägen Sheriffs nicht kennengelernt hätte!“ meint einer der schnellen Jungs bei einer gemeinsamen Ausfahrt und empfängt dafür zustimmendes Nicken aus der Runde.
Mit „Unfallverhütung“, dem Vereinszweck für den die Rennleitung#110 als gemeinnützige Organisation vom Finanzamt anerkannt wurde und weshalb Mitgliedsbeiträge auch steuerlich als Spenden absetzbar sind, wird das Projekt nicht ausreichend geschrieben. Es ist mehr als das. Mehr als Dienstpflicht oder Ehrenamt, es ist gelebte Überzeugung. „Sei Vorbild, nicht Gesetz!“ – diesem Kodex fühlen sich die „Freunde & Helfer“, die bei weitem nicht alle beruflich im Staatsdienst stehen, verpflichtet.
Wer sich davon überzeugen möchte, kann die schrägen Sheriffs unter www.rennleitung-110.de oder im sozialen Netzwerk Facebook kennenlernen.