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aus bma 8/10 – Rechtstipp

von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
www.janschweers.de

Die Skandale um fehlerhafte und nicht verwertbare Geschwindigkeitsmessungen häufen sich in letzter Zeit. Da gibt es dann Mes­­sungen von Polizeibeamten ohne gültige und erforderliche Ausbildungsnachweise, Mes­s­ungen auf denen erforderliche Mess­linien nicht ersichtlich sind und auch Messgeräte, wie die Provida2000 Anlagen, die mit Ersatzteilen repariert worden sind, die nicht der gültigen Zulassung entsprechen. Die einen finden das nicht beachtlich, die anderen skandalös. Zu den Letzteren kann ich mich zählen, denn jedes Messgerät muss regelmäßig geeicht werden: Die Eichung ist aber nur zulässig, wenn das Messgerät nicht, wie z.B. durch Reparaturen und den Einbau von Ersatzteilen, die nicht den Originalteilen entsprechen, verändert wurde.

Dies ist offensichtlich bei den Provida2000-Messanlagen in letzter Zeit des öfteren gemacht worden. Es wurden mangels Ersatzteilen Veränderungen an den Messanlagen durchgeführt, die den Ur­sprungs­zustand veränderten. Folglich fiel die Eichung weg und eine Messung mit diesem Gerät ist rechtlich nicht zu verwerten. Man muss diesen Umbauten nur auf die Schliche kommen, denn freiwillig wird einem sicherlich nicht mitgeteilt, dass die Anlage umgebaut wurde und damit ihre Eichung verloren hat.

Ihr fragt Euch berechtigt, wie soll das gehen? Da Ihr nicht die Ersten seid, die sich diese Frage stellen, hatte sich jüngst das Amtsgericht Erfurt, Beschluss v. 25.03. 2010, Az.: 64 Owi 624/10, damit zu befassen. Ein aufmerksamer Kollege von mir hatte in einem Bußgeldverfahren die Akten­einsicht in die sogenannte Lebensakte eines Messgerätes beantragt. Die Lebensakte ist so etwas wie ein Scheckheft oder ein Impfpass oder auch ein Familienstammbuch. Die Lebensakte beinhaltet alles, was mit dem Messgerät zu tun hat. Aus der Lebensakte kann man folglich auch entnehmen, ob am Messgerät Reparaturen oder Veränderungen durchgeführt worden sind. Ein Dokument, das für den Ausgang eines Bußgeldverfahrens von erheblicher Bedeutung sein kann. Für die Überprüfung der Wirksamkeit der Eichung der Provida2000- Anlagen ist die Einsicht in die Lebensakte schlichtweg entscheidend. Sind in der Lebensakte keine Veränderungen bzw. Reparaturen zu erkennen, dann wird man die Wirksamkeit einer Eichung bzw. deren Wegfall nicht bemängeln können. Weist die Lebensakte hingegen Notizen über Reparaturen auf, dann muss überprüft werden, ob die Reparaturen mit Bauteilen vorgenommen worden sind, die den Originalbauteilen entsprechen. Die Lebensakte kann also ausschlaggebend für den Ausgang des Verfahrens sein.

So sah es auch das Amtsgericht Erfurt und sprach dem Rechtsanwalt das Recht zu, die besagte Lebensakte einzusehen. Es erteilte der Verwaltungsbehörde eine Abfuhr und verurteilte sie, die Lebensakte zur Einsicht zur Verfügung zu stellen. Ein Urteil, das rechtlich völlig nachvollziehbar ist, denn wer sich gegen einen Vorwurf verteidigen will, muss alle bestehenden Möglichkeiten ausschöpfen können, diese Verteidigung ordnungsgemäß vorzunehmen. Hierzu gehört auch die Einsicht in die Buß­geldakte, Bedienungsanleitungen, Mess­protokolle, Ausbildungsnachweise und Lebensakten.

In diesem Fall gab es eine Lebensakte, die eingesehen werden konnte. Wenn es hingegen keine mehr gibt, kann die Bußgeldbehörde den gemachten Vorwurf nicht verwertbar führen, denn es ist ja nicht auszuschließen, dass eine Veränderung der Messanlage durchgeführt wurde. In diesem Fall ist die Messung rechtlich nicht zu verwerten.

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