Paragraphaus bma 08/06

von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
www.janschweers.de

Die Zeit wird immer schnelllebiger und unsere Gerichte urteilen mittlerweile im 15-Minutentakt. Nicht alles, was die Gerichte urteilen, ist brauchbar, doch im Mai diesen Jahres hat der Bundesgerichtshof mal was richtig Praxisnahes fabriziert und den Geschädigten von Unfällen endlich den vollen Schadensersatz zugesprochen.
Jeder der schon einmal ohne anwaltliche Hilfe versucht hat, einen Verkehrsunfall abzuwickeln, weiß wie schwer und zäh dies ist. Da wird, wenn man sein Fahrzeug nicht durch eine Werkstatt reparieren ließ, zunächst einmal die Mehrwertsteuer gestrichen. Wenn man dann auch noch ein Motorrad mit einem geringen Wiederbeschaffungswert hat, und man dieses nicht reparieren lassen will, dann wird einem entgegengehalten, dass man nicht die Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer sondern nur den Wiederbeschaffungspreis abzüglich des Restwertes erhält.
Ein Beispiel soll dies verdeutlichen. Man hat ein Motorrad mit einem Wiederbeschaffungswert von 5.000 Euro. Durch einen Unfall wird eine Reparatur, die 3.000 Euro ohne Mehrwertsteuer kostet, fällig. Wenn man nun zunächst nicht reparieren will, bekommt man 3.000 Euro. Wenn allerdings ein Restwertangebot durch einen so genannten Restwertankäufer über 3.000 Euro besteht, dann bekommt man nur 2.000 Euro. Das wird damit begründet, dass man insgesamt nicht mehr als 5.000 Euro haben soll.
Man hat ein Motorrad mit einem Restwert nach dem Unfall von 3.000 Euro, und dieses kostet im heilen Zustand 5.000 Euro. Dann kann man von der Versicherung nur 2.000 Euro verlangen, da 3.000 Euro plus 2.000 Euro insgesamt 5.000 Euro sind – so weit ganz klar, oder?!
Das war bis zum 23.05.2006 rechtlich auch einwandfrei. Am 23.05.2006 kam jedoch der Bundesgerichtshof (Az. VI ZR 192/05) und teilte in einem Urteil mit, dass es diese gängige Praxis nun ganz anders sieht und sprach einem Geschädigten die vollen Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer zu, wenn er sein Fahrzeug in einem unreparierten Zustand noch mehr als sechs Monate nach dem Unfall weiterbenutzt. Der Bundesgerichtshof ist zwar immer noch der Ansicht, dass man an einem Schadensfall nicht verdienen darf, jedoch ist bei einer Weiternutzung über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten davon auszugehen, dass man das Fahrzeug weiterbenutzt, und dann ist der Restwert nicht mehr in Abzug zu bringen. Für unseren Beispielfall bedeutet dies, dass einem zunächst 2.000 Euro zustehen, und man bei Weiterbenutzung über einen Zeitraum von 6 Monaten weitere 1.000 Euro erhält. Man hat dann die Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer im Sparschwein.
Es kann sich also oftmals lohnen etwas zu warten und vielleicht sogar den Winter noch mit dem alten Motorrad zu überbrücken, um es dann im Frühjahr zu verkaufen (mit Glück zum Restwert von 3.000 Euro) und dann – in unserem Beispiel – insgesamt um 1.000 Euro besser dazustehen.