Paragraphaus bma 7/07

von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
www.janschweers.de

Eigentlich wollte ich mich mit dem Urteil des Landgerichts Frankfurt/ Main vom 30.03.2007 (Az. 2-20 O 8806/06) nicht befassen, da es so schien, als ob es sich lediglich um ein Ausreißerurteil handelte, dass in Zukunft für die Rechtsprechung keinerlei Bedeutung haben würde. Mittlerweile wird dieses Urteil in vielen Fachzeitschriften für Motorradfahrer und im Internet jedoch kontrovers diskutiert, so dass ich Euch in der Juliausgabe des bma über den Inhalt des Urteils aufklären und meine Kritikpunkte hierzu äußern möchte.

In einem Wald in Hessen ereignete sich ein Unfall zwischen einem Motorradfahrer und einem Fahrradfahrer. Der Motorradfahrer befuhr eine Straße in besagtem Wald, welcher vermehrt durch Wanderer, Fußgänger und Radfahrer besucht war. Ein Fahrradfahrer fuhr aus dem Wald kommend auf die Straße und kollidierte hierbei mit dem Motorradfahrer. Die Haftpflichtversicherung des Fahrradfahrers wollte den Schaden des Motorradfahrers nicht zahlen, so dass der Fall vor Gericht ging.
Eigentlich völlig überflüssig, da die Straßenverkehrsordnung (StVO) die Rechtslage ganz klar regelt. In § 8 StVO steht: An Kreuzungen und Einmündungen hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Das gilt nicht, für Fahrzeuge, die aus einem Feld- oder Waldweg auf eine andere Straße kommen. In § 10 StVO heißt es: Wer aus einem Grundstück auf die Straße einfahren will, hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Ein Grundstück ist im deutschen Recht ein räumlich abgegrenzter Teil der Erdoberfläche und damit auch ein Wald.
Folglich muss sich der Radfahrer vor dem Einfahren vom Wald auf die Straße vergewissern, dass er andere Verkehrsteilnehmer, hierzu gehören auch Motorradfahrer, nicht gefährden wird.
Die Rechtslage ist damit ganz klar. Einzig und allein hätte man jetzt diskutieren können, ob sich der Motorradfahrer wie ein „Idealfahrer” bei dem Unfall verhalten hat, und der Unfall für ihn unvermeidbar war. D.h. war er nicht zu schnell und hat sich beim Versuch den Unfall zu vermeiden richtig verhalten, halt wie ein Idealfahrer. Wenn das der Fall war, bekommt er 100 Prozent seines Schadens ersetzt. Im vorliegenden Fall hat sich der Motorradfahrer ideal verhalten. Ihm stand der volle Schadensersatz zu. Folglich muss der Radfahrer, wenn er nicht entsprechend handelt, für den Schaden einstehen.
Eigentlich eine klare und im Gesetz geregelte Sache. Wenn da nicht das Landgericht Frankfurt/ Main anderer Ansicht wäre. Dort beurteilt man die Rechtslage offensichtlich ganz anders und vernachlässigt § 10 StVO, indem man dem Motorradfahrer sämtliche Ansprüche aberkennt. D.h. er bekommt seinen Schaden nicht ersetzt. Das Landgericht begründet sein Urteil damit, dass das Risiko auf einem Motorrad getötet zu werden, sieben Mal höher ist, als bei anderen Verkehrsteilnehmern.
Auf welche Statistik das Gericht zurückgreift ist nicht bekannt. Der Gericht vertritt weiter die Ansicht, dass Motorradfahrer eine erhöhte Betriebsgefahr auf dem Motorrad haben, und dies als Verschulden gegen sich selbst zu begreifen ist. Unfallfolgen würden deshalb ganz bewusst in Kauf genommen und dürfen daher überwiegend nicht auf den Unfallgegner abgewälzt werden, wie es das Gericht sieht. Eine wirklich originelle Rechtsansicht, die unser komplettes Straßenverkehrsrecht über den Haufen wirft.
Einen entsprechenden Paragraphen, der regelt, dass Motorradfahrern kein Schadensersatzanspruch zusteht, gibt es nicht. Es gibt auch keine Lücke in der Straßenverkehrsordnung, die eine grundsätzliche Selbsthaftung eines Motorradfahrers vorsieht. Eine Argumentation, wie sie nicht mit dem Gesetz vereinbar ist und sicherlich auch dem Rechtsgedanken unserer Gesetzgeber nicht entspricht. Letztendlich ein Urteil, das so auf keinen Fall in den höheren Instanzen Bestand haben wird. Denn wenn dieses Urteil in der nächsten Instanz vor dem Oberlandesgericht Bestand hätte, müsste unser komplettes Straßenverkehrsrecht überarbeitet werden. So weit wird es sicherlich nicht kommen, da ich fest davon ausgehe, dass das Oberlandesgericht entsprechend unserer StVO urteilen wird. Ich halte Euch auf dem Laufenden.

Nachtrag aus bma 8/07

Ich hatte Euch in der Juliausgabe des bma von einem Fall berichtet, der vor dem Landgericht Frankfurt/ Main verhandelt wurde. Das Urteil des Landgerichtes Frankfurt hat bei vielen Motorradfahrern zu blankem Entsetzen geführt. Ich wurde auf dieses Urteil sehr oft angesprochen und war mir sicher, dass solch juristischer Quatsch nicht lange Bestand haben kann. So ist es nun auch gekommen. Hatte der Einzelrichter des Landgerichtes Frankfurt/ Main noch geurteilt, dass Motorradfahren grundsätzlich ein Verschulden gegen sich selbst sei und einem Motorradfahrer, dem ein Fahrradfahrer vor das Bike fuhr keinen Schadensersatz zugesprochen, hat das Oberlandesgericht Frankfurt/ Main dieses abwegige Urteil aufgehoben. Das Oberlandesgericht (OLG) hat jetzt dem Motorradfahrer 70 Prozent seines Schadens zugesprochen. D.h. der Motorradfahrer bekommt nur 30 Prozent und nicht 100 Prozent seines Schadens nicht ersetzt.
Den Abzug von 30 Prozent hat das Gericht damit begründet, dass der Motorradfahrer einen zu geringen Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Motorrad eingehalten hatte. Hierin liegt ein Mitverschulden, dass das Gericht mit 30 Prozent bewertet. Der vorausfahrende Motorradfahrer war bisher nicht erwähnt worden, da der Richter der ersten Instanz grundsätzlich Ansprüche von Motorradfahrern ausschloss. Der Richter des Landgerichtes Frankfurt wird für seine unbrauchbare Ansicht, Motorradfahren sei grundsätzlich eine Gefährdung gegen sich selbst, abgestraft. Er sollte sich zukünftig mehr damit befassen das Recht anzuwenden und auszulegen als es völlig abstrus ändern zu wollen.