aus Kradblatt 9/22 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
Telefon 0421-696 44 880 – www.janschweers.de

Geschwindigkeitsmessungen und ihre Tücken

Zur Geschwindigkeitsmessung von Kraftfahrzeugen gibt es doch immer noch etwas Neues. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat unlängst mit Beschluss vom 05.04.2022 (Aktenzeichen: 1 RB 35 Ss 193/22) die Arbeit von feststellenden Gerichten „erschwert“, indem es Klartext zur Zulässigkeit der Reduzierung von Urteilsbegründungen sprach. Dabei ging es um das sogenannte standardisierte Messeverfahren.

Verkehrsbußgeldsachen sind als Massenverfahren anzusehen: Wegen ihrer sehr hohen Anzahl und häufigen Gleichartigkeit sind Methoden zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrensgangs entwickelt worden. Das standardisierte Messverfahren gibt den Gerichten die Möglichkeit, die Urteilsgründe zu verkürzen, wenn ein gängiges Gerät zur Geschwindigkeitsmessung verwendet worden ist. 

Ein standardisiertes Messverfahren liegt vor, wenn es sich bei dem eingesetzten Messgerät um einen durch Normen vereinheitlichten und bewährten Apparat handelt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendung und der Ablauf der Messung so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Es bedarf dann bei anerkannten und laufend genutzten Geräten keiner Erörterungen zu Fehlerquellen, es sei denn, dass es im Einzelfall hierzu Anlass gäbe. Der Betroffene bzw. sein Verteidiger müssten daher das Gericht auf Zweifel an der Richtigkeit der Messung aufmerksam machen und entsprechende Beweisanträge stellen.

Im dem Oberlandesgericht Karlsruhe vorgelegten Fall hatte das Amtsgericht Mosbach den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 63 km/h zu einer Geldbuße verurteilt und ein zweimonatiges Fahrverbot festgesetzt. Dabei hatte das Gericht ohne nähere Ausführungen festgestellt, dass das Messgerät nach den Anweisungen des Herstellers getestet und bedient worden sei. Der Verteidiger hatte jedoch demgegenüber vorgetragen, dass das Polizeifahrzeug mit dem Geschwindigkeitsmessgerät nach den erfolgten Eingangstests noch bewegt wurde und die Abschlusstests auf einem anderen Parkplatz stattgefunden hätten. Beides würde nicht der Gebrauchsanweisung des Herstellers entsprechen und hätte Einfluss auf das Ergebnis der Messung gehabt haben können. 

Das Oberlandesgericht Karlsruhe erklärt hierzu, dass das Amtsgericht nach diesen Einwänden entsprechende Feststellungen hätte machen müssen. Beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten wurden, oder wenn begründet Messfehler geltend gemacht werden, müssen im Urteil hierzu Ausführungen gemacht werden. Ansonsten ist die Annahme eines standardisierten Messverfahrens nicht zulässig. Werden trotz Vorbringens konkreter Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Messung keine Ausführungen im Urteil hierzu gemacht, fehlt es an einer zuverlässigen Entscheidungsgrundlage, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Messergebnis durch die abweichende Handhabung des Messgeräts verändert worden sein kann.

Die möglicherweise nicht korrekt erfolgte Messung ist dann aber nicht grundsätzlich unverwertbar. Das Gericht muss aber bei einer Messung, die nicht entsprechend der Bedienungs- und Gebrauchsanweisung erfolgt ist, ein individuelles Messverfahren annehmen und die Messung unter Umständen mit einem höheren Sicherheitsabschlag verwerten. 

Da das Urteil des Amtsgerichts Mosbach aufgrund dessen falscher Annahme eines standardisierten Messverfahrens keine Feststellungen hinsichtlich einer individuellen Überprüfung der Messung enthält, und die Urteilsausführungen somit lückenhaft waren, wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen.

Gerichte dürfen es sich demnach auch in alltäglich vielfach vorkommenden und gleichgelagerten Verfahren, wie etwa vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht zu einfach machen. Begründete Einwände seitens des Betroffenen oder seines Verteidigers gegen die Ordnungsmäßigkeit einer Messung müssen berücksichtigt werden, sonst ist die Entscheidung nicht haltbar. Wenn eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit vorgeworfen wird, kann es daher im Einzelfall durchaus helfen, das zugrunde liegende Messverfahren genau zu überprüfen.