aus Kradblatt 7/23 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Wie definiert man einen „bedeutenden Fremdschaden“?

 

Wenn jemand eine Straftat im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, entzieht ihm das Gericht gemäß § 69 Absatz 1 Strafgesetzbuch die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. 

Als ungeeignet in diesem Sinne ist der Täter nach § 69 Absatz 2 Nummer 3 Strafgesetzbuch bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort nach § 142 Strafgesetzbuch – im Volksmund Unfall- oder Fahrerflucht – anzusehen, wenn der Täter weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall – neben anderen Möglichkeiten – an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist. 

Das Landgericht Bochum hat unlängst mit Beschluss vom 06.12.2022 (Aktenzeichen: 1 Qs 59/22) die Grenze für den „bedeutenden Fremdschaden“ neu festgelegt.

Im zu entscheidenden Fall war eine Pkw-Fahrerin dem Gegenverkehr ausgewichen und hatte dabei ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug beschädigt. Anschließend entfernte sie sich vom Unfallort. Der geparkte Pkw wurde beschädigt. Dabei wurden Reparaturkosten in Höhe von 1.493,01 €, eine Wertminderung in Höhe von 250 €, ein Nutzungsausfall in Höhe von 172 €, eine Kostenpauschale in Höhe von 25 € und damit ein Gesamtschaden in Höhe von 1.940,01 € verursacht.

Bislang war ein „bedeutender“ Schaden an fremden Sachen von der Rechtsprechung regelmäßig angenommen worden, wenn dieser ab 1.300 € beträgt. In jüngerer Zeit hatten verschiedene Gerichte diese Grenze auf 1.500 €, 2.000 € oder gar 2.500 € angehoben. Die Rechtsprechung ist daher in diesem Punkt unerfreulich unübersichtlich.

Das Landgericht Bochum spricht im jetzigen Beschluss aus, dass die bis zuletzt gezogene Wertgrenze aufgrund der allgemeinen Preisentwicklung nunmehr einer Anpassung bedarf. Eine solche Anpassung sei grundsätzlich zulässig, da es sich bei der Wertgrenze um eine veränderliche Größe handelt, die maßgeblich von der Entwicklung der Preise und Einkommen abhängig ist. Das Landgericht hat sich dann für die Anpassung der Wertgrenze an dem jährlich vom Statistischen Bundesamt berechneten und veröffentlichten Verbraucherindex orientiert, der die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen bemisst. Unter Zugrundelegung dieser Zahlung wird vom Gericht eine Anhebung der Wertgrenze für die Annahme eines bedeutenden Schadens von 1.300 € auf 1.750 € als angemessen angesehen. 

Trotz Überschreitens des Gesamtschadensbetrages hat das Landgericht Bochum im vorliegenden Fall aber die Entziehung der Fahrerlaubnis verneint. Der „bedeutende Schaden“ ist nach den objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, um den das Vermögen des Geschädigten als unmittelbare Folge des Unfalls gemindert wird. Abzustellen ist dabei auf den Geldbetrag, der erforderlich ist, um den Geschädigten wirtschaftlich so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Dabei sind die Reparaturkosten, etwaige Abschleppkosten und eine Wertminderung zu berücksichtigen – eine Nutzungsausfallentschädigung und die Kostenpauschale dagegen nicht. Dadurch ergab sich ein zu berücksichtigender Gesamtbetrag von 1.743,01 €, der den aktualisierten Grenzwert in Höhe von 1.750 € – wenn auch sehr knapp – nicht erreicht. Die Fahrerlaubnis wurde nicht entzogen. 

Die Entscheidung des Landgerichts Bochum zeigt zwar, dass die Rechtsprechung durchaus die Steigerung der Verbraucherpreise in den letzten Jahren wahrnimmt und in ihre Entscheidungen einbezieht. Dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis von einer Schadensdifferenz von 6,99 € abhängen soll, muss aber doch sehr fragwürdig anmuten. Der vorliegend betroffenen Fahrerin mag es gegönnt sein, dass sie die Fahrerlaubnis behalten darf. Rechtlich sollte die Gesetzgebung jedoch ernstlich erwägen, ein eindeutig bestimmbares Kriterium für eine Entziehung der Fahrerlaubnis festzuschreiben. Der Begriff „bedeutend“ ist hierfür offenbar zu vage, wie die Spanne der von Gerichten gezogenen Wertgrenzen von 1.300 € bis 2.500 € klar zeigt.