aus Kradblatt 6/23 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Wer zahlt für’s Abschleppen nach einem Unfall?

 

Nach einem Verkehrsunfall kann es vorkommen, dass die Maschine nicht mehr fahrfähig, vielleicht sogar nicht mehr rollfähig ist, sodass sie abgeschleppt werden muss. Nicht selten – vor allem wenn der unverschuldet Verunfallte (schwer) verletzt ist – wählt die herbeigerufene Polizei das Abschleppunternehmen aus. Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers wendet dann gern bezüglich der geltend gemachten Abschleppkosten und Standgebühren ein, dass diese „überhöht“ seien. Das Amtsgericht Borken hat mit Urteil vom 17.02.2023 (Aktenzeichen: 15 C 155/22) über einen solchen Fall entschieden.

Die Versicherung des Schädigers hatte vorgebracht, die durchgeführten und berechneten Abschleppmaßnahmen seien nicht in vollem Umfang erforderlich gewesen und erstattete nur einen Teilbetrag. Zudem sei die Standzeit bei dem Abschleppunternehmen zu lang gewesen. Das Amtsgericht Borken stellte dagegen fest, dass die Abschleppkosten von der Versicherung in voller Höhe zu erstatten sind. 

Das Gericht lehnte eine Beweiserhebung darüber, ob die Abschleppkosten erforderlich waren, ab. Es kommt dabei nicht auf eine nachträgliche Betrachtung der Notwendigkeit der Höhe der Kosten an sondern auf die Sicht des Geschädigten vor dem Abschleppvorgang. 

Zu betrachten ist, ob der vernünftig und wirtschaftlich denkende Geschädigte in seiner konkreten Situation und nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Abschleppunternehmens einen Abschleppvorgang zu diesen Konditionen als geboten ansehen durfte. Von diesem Grundsatz könnte nur abgewichen werden, wenn für den Geschädigten ersichtlich war, dass die Abschleppkosten die üblichen Preise übersteigen oder ihn bei der Auswahl des Abschleppers ein Auswahlverschulden trifft, d.h. er quasi „sehenden Auges“ ein „Luxus-Abschleppunternehmen“ ausgewählt hat. 

Für den vorliegenden Fall verneinte das Amtsgericht dies, weil es dem Geschädigten nicht zuzumuten war, am Unfallort Marktforschung zu betreiben und einen Preisvergleich vorzunehmen. Die nicht alltägliche Unfallsituation gebietet zudem regelmäßig Eile, außerdem hat ein Geschädigter auf die meisten Maßnahmen, und damit auf die Kostenpositionen keinen Einfluss. Vorliegend war auch kein Auswahlverschulden gegeben, da die Polizei den Abschlepper bestellt hatte. Aufgrund der besonderen Vertrauensstellung, welche die Polizei genießt, durfte der Geschädigte auf die Einschätzung der Polizei in Bezug auf die Abschleppfirma vertrauen. 

Das Gericht verurteilte die Versicherung auch zur Zahlung der Standgebühren. Der Geschädigte hatte die Versicherung auf die täglich anfallenden Standgebühren hingewiesen. Dass das Fahrzeug längere Zeit bei dem Abschleppunternehmen stand, lag darin begründet, dass die Versicherung sich geweigert hatte, die Abschlepprechnung in voller Höhe zu bezahlen. 

Das Amtsgericht Borken stellt noch ausdrücklich heraus, dass für das „Hakenrisiko“ (bezogen auf das Abschleppen) dieselben Grundsätze gelten wie für das „Werkstattrisiko“: 

Etwaige höhere Kosten treffen grundsätzlich nicht den Geschädigten, sondern den Schädiger bzw. dessen Versicherung. Im vorliegenden Fall galt dies noch besonders, weil der Geschädigte keinen Einfluss auf die Auswahl des Abschleppunternehmens hatte.

Das Amtsgericht Borken liegt mit seinem Urteil auf der Linie anderer Gerichte, so etwa Amtsgericht Leonberg, Urteil vom 15.02.2023 (Aktenzeichen: 8 C 459/22) zu einem „zu großen“ Abschleppfahrzeug. Es stärkt die Rechte des Geschädigten nach einem Unfall, indem es erneut klarstellt, dass nicht der Unfallbetroffene, sondern der Schädiger das Risiko der Auswahl eines Abschleppers trifft – insbesondere, wenn die Polizei das Unternehmen bestellt hat. 

Dennoch ist zu befürchten, dass Krafthaftpflichtversicherungen weiterhin versuchen werden, Abschlepprechnungen zu kürzen. Das hier besprochene Urteil zeigt deutlich, dass es häufig hilft, dagegen anzugehen.