aus Kradblatt 6/19 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Wie sieht es mit der Haftung aus, wenn man unzureichende Motorradbekleidung trägt?

Eine für uns Motorradfahrer höchst interessante Rechtsfrage beschäftigte neulich das Landgericht Frankfurt am Main: Muss sich der Fahrer einer Harley-Davidson bei einem Unfall nach einer Sturzverletzung am Knie ein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn er keine Schutzkleidung an den Beinen, sondern nur eine Armee-Stoffhose getragen hat?

Mitverschulden bedeutet gemäß § 254 Bürgerliches Gesetzbuch, dass, wenn ein Verschulden des Beschädigten bei der Entstehung eines Schadens mitgewirkt hat, die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes insbesondere auch davon abhängt, inwieweit der Schaden von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Auf Deutsch heißt das, dass jemand, der sich selbst nicht ganz richtig verhalten oder ihm vorwerfbare Fehler gemacht hat, für einen gewissen Teil seines Schadens selbst verantwortlich sein kann, was bedeutet, dass er weniger Schadensersatz bekommen kann. Wer also nicht genügend aufgepasst hat, dass kein Schaden entsteht oder dass dieser nicht geringer ausgefallen ist, haftet bis zu einer bestimmten Quote für seinen eigenen Schaden.

In einem vom Landgericht Frankfurt am Main am 07.06.2018 (Aktenzeichen 118/17) entschiedenen Fall ging es darum, dass ein Harley-Davidson-Fahrer bei einem Unfall gestürzt war und eine Verletzung am Knie erlitten hatte, die möglicherweise bei Tragen von Schutzkleidung – etwa einer Lederhose – nicht passiert oder nicht so schlimm ausgefallen wäre. Konkret ging es hier um ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 €. 

Die Rechtsprechung zum Nichttragen von Motorradschutzkleidung als Mitverschulden ist sich uneinig. 

So hatten das Oberlandesgericht Brandenburg 2009 und das Landgericht Köln 2013 die Notwendigkeit von Schutzkleidung bejaht, das Oberlandesgericht Saarbrücken 2015 und das Oberlandesgericht Schleswig 2013 die Frage offengelassen. 

Das Landgericht Frankfurt geht hier einen eigenen Weg. Es widerspricht den Äußerungen anderer Gerichte, dass die meisten Motorradfahrer es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung empfänden, mit Schutzkleidung zu fahren, und dass jeder wisse, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein vielfach höheres Verletzungsrisiko berge. 

Aus diesen Erwägungen lasse sich – so das Landgericht Frankfurt – nicht auf ein allgemeines Verkehrsbewusstsein schließen. Ansonsten würde stets Mitverschulden anzunehmen sein, wenn der Geschädigte eigentlich sinnvolle Schutzmöglichkeiten (z.B. auch einen Fahrradhelm) nicht gewählt hat. 

Stattdessen will das Landgericht Frankfurt das Bestehen eines solchen allgemeinen Verkehrsbewusstseins von der Feststellung anhand von allgemein zugänglichen Erkenntnissen über die tatsächlichen Gepflogenheiten der konkreten Gruppe der Verkehrsteilnehmer abhängig machen, was das Oberlandesgericht München 2017 und das Landgericht Heidelberg 2014 schon gemacht hatten. Das bedeutet hier, dass das Gericht feststellen müsste, dass Fahrer einer Harley-Davidson das Tragen von Motorradschutzkleidung für den eigenen Schutz für sinnvoll und notwendig halten. Im vorliegenden Fall wurde dies verneint. 

Eine vom Unfallverursacher vorgelegte Umfrage der Bundesanstalt für Straßenwesen in Bergisch Gladbach unter über 2.000 Motorradfahrern hatte ergeben, dass 43% der Befragten schützende Beinkleidung trugen. Das Landgericht Frankfurt meint schon, dass nur 2.000 Fahrer vielleicht keine repräsentative Zahl darstellen, jedenfalls kann aber aus 43 % von diesen (also nicht mal die Hälfte) kein „allgemeines Verkehrsbewusstsein“ hergeleitet werden. Andere Umstände, die auf ein allgemeines Verkehrsbewusstsein zum Tragen von Schutzkleidung speziell unter Fahrern von Harley-Davidson schließen ließen, erkannte das Gericht nicht. Es erschien dem Landgericht vielmehr nicht von der Hand zu weisen, dass derartige Motorräder im Vergleich zu anderen großmotorigen Krafträdern typischerweise weniger zum schnellen Fahren, sondern zum „Cruisen“, also einem moderateren Fahrstil, genutzt würden. Gerade unter Fahrern von Harley-Davidson bzw. Choppern könne keine größere Gruppe als die 43 % festgestellt werden, die das Tragen von Schutzkleidung an den Beinen in ihr Verkehrsbewusstsein aufgenommen hat. Ein Mitverschulden des verunfallten Motorradfahrers sei deshalb nicht anzunehmen.

Ähnliches hatte auch das Oberlandesgericht München gesagt. In seinem Urteil vom 19.05.2017 (Aktenzeichen: 10 U 4256/16) ging es darum, ob einen Leichtkraftradfahrer ein Mitverschulden trifft, der statt Motorradstiefeln lediglich Turnschuhe getragen hatte. 

Auch hier konnte kein allgemeines Verkehrsbewusstsein festgestellt werden, auch wenn festere Schuhe generell einen besseren Schutz bieten würden. 

Das Oberlandesgericht München lässt ebenfalls keine allgemeinen Behauptungen gelten und verlangt eine Heranziehung hinreichend belastbarer Unterlagen. Zusätzlich wird die amtliche Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen als sehr ungenau kritisiert. Dem Gericht fehlten Angaben darüber, was unter Schutzkleidung zu verstehen sein soll und zu welchen Jahreszeiten welche Schutzkleidungsstücke getragen wurden. Ebenso vermisst es eine Erklärung, auf welche Gruppe der motorisierten Zweiradfahrer sich die Angabe der Zahl der Schutzkleidungsträger beziehen würde, da Mofa- und Kleinkraftradfahrer dabei vielleicht ein anderes Verhalten an den Tag legten und damit ein anderes Verkehrsbewusstsein zeigten als die Fahrer größerer Maschinen. Einer solchen Statistik könne deshalb nicht entnommen werden, ob es am Unfalltag dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen hätte, mit einem Leichtkraftrad auf der Unfallstrecke nur mit Motorradschutzstiefeln zu fahren. Ein Mitverschulden könne deshalb nicht angenommen werden.

Festzuhalten ist: Gesetzlich vorgeschrieben ist nach § 21 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung nur das Tragen eines geeigneten Schutzhelms. Für andere Schutzkleidungsstücke (Motorradjacken, -hosen, -schuhe oder -handschuhe) gibt es keine solche Regelung. Hierbei kommt es nach der Rechtsprechung darauf an, ob es allgemein „üblich“ ist, solche Kleidung zu tragen. Die Gerichte sind sich in diesem Punkt noch nicht wirklich einig, da manche aus Statistiken auf ein allgemeines Verkehrsbewusstsein schließen wollen, andere dagegen nicht. Ob ein Mitverschulden im Sinne der §icloud§ 9 Straßenverkehrsgesetz und 254 Bürgerliches Gesetzbuch angenommen wird und der unverschuldet verunfallte Motorradfahrer den Schaden durch Tragen von Schutzkleidung hätte kleiner halten oder ganz verhindern können bzw. müssen, ist daher derzeit „Glückssache“, je nachdem welches Gericht den Fall beurteilt. Das Landgericht Frankfurt am Main und das Oberlandesgericht München sind dabei auf einer recht vernünftigen Linie, weil sie keine allgemeinen Wendungen gelten lassen und konkrete Aussagen über das allgemeine Verkehrsbewusstsein haben wollen. Für den Motorradfahrer ist dabei noch wichtig, dass nicht er, sondern der Schädiger, also der Verursacher des Unfalls, bzw. dessen Versicherung beweisen müssen, dass das Tragen von Motorradschutzkleidung – und zwar der speziellen Kleidungsstücke – dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein gerade der betroffenen Gruppe von Motorradfahrern entspricht. 

Fazit: Schutzkleidung über den Helm hinaus ist sinnvoll, auch in den anstehenden, hoffentlich warmen Monaten. Sie kann helfen, Verletzungen zu verhindern oder zumindest zu mindern. Darüber hinaus kann sie aber auch im Falle eines unverschuldeten Unfalls ein Mitverschulden ausschließen. So lange die Gerichte keine klare Linie hierzu gefunden haben, ist das Tragen von Motorradschutzkleidung deshalb auch rein rechtlich betrachtet sehr zu empfehlen!