aus Kradblatt 5/23 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Unfall im Ampelbereich

 

So mancher an einer Vorfahrtstraße wartepflichtige Fahrzeugführer nimmt an, dass der Vorfahrtberechtigte aufgrund einer Rotlicht zeigenden Fußgängerbedarfsampel halten werde und fährt dann – im vermeintlichen Schutz des Rotlichts – in die Vorfahrtstraße ein. Die Folge ist nicht selten ein Unfall. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hatte sich in einem Beschluss vom 23.08.2022 (Aktenzeichen: 7 U 74/22) mit einer solchen Situation zu befassen.

An einer Kreuzung war es zu einer Kollision gekommen. Der vorfahrtgewährende Fahrer eines Pkw war in den Kreuzungsbereich eingefahren, weil nach seiner Auffassung die eigentlich Vorfahrtberechtigte auf der Vorfahrtstraße an einer Haltelinie mit einer Fußgängerbedarfs­ampel wegen Rotlichts hätte halten müssen. Die vorfahrtberechtigte Fahrerin behauptete, sie habe noch Gelblicht gehabt. Zudem erklärte sie, dass die Bedarfsampel allein dem Schutz des Fußgängers beim gefahrlosen Überqueren der Straße diene und nicht dem eines in die Vorfahrtstraße Einfahrenden.

Der Wartepflichtige hatte wegen des Rotlichtverstoßes auf vollen Schadensersatz geklagt und in der ersten Instanz vor dem Landgericht Flensburg Recht erhalten. Das Landgericht stellte in der Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte bei Rotlicht gefahren war. Es nahm weiter an, dass durch die Fußgängerampel auch der Kreuzungsbereich der untergeordneten Straße geschützt sei, weil ein Verkehrs­teilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen dürfe, dass das rote Haltesignal beachtet wird. Es ging danach von einer Alleinhaftung der Vorfahrtberechtigten aus.

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht gab dagegen der Beklagten teilweise Recht. Zwar sei diese bei Rotlicht gefahren, es müsse aber beachtet werden, dass die Fußgängerbedarfsampel ihrer Bestimmung nach nicht für Pkw-Fahrer gilt, sodass diese nicht in den Schutz durch die Ampel einbezogen sind. Der höhere Haftungsanteil läge dennoch bei der eigentlich Vorfahrtberechtigten. Auf Anregung des Gerichts schlossen die Parteien einen Vergleich, bei dem die Vorfahrtberechtigte 75 Prozent der Haftung zu tragen hat, wonach der an sich Wartepflichtige mit einer Haftungsquote von 25 Prozent haftet.

Der Bundesgerichtshof hatte schon mit Urteil vom 02.03.1982 (Aktenzeichen: VI ZR 230/80) erklärt, dass ein Verkehrsteilnehmer prinzipiell darauf vertrauen darf, dass sich andere verkehrsgerecht verhalten werden. Ein Linksabbieger aus einer untergeordneten Straße darf danach damit rechnen, dass sich ein an sich Vorfahrtberechtigter an ein Haltegebot wegen einer Rotlicht zeigenden Ampel hält.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung hat sich eine Haftungsverteilung von 75 zu 25 Prozent zum Nachteil des eigentlich bevorrechtigten Fahrzeugs durchgesetzt. Fußgängerampeln dienen zwar nicht dem Schutz kreuzender oder einbiegender Kraftfahrer aus unterordneten Straßen. Ein Einfahrender darf dennoch darauf vertrauen, dass das Rotlicht von dem Vorfahrtberechtigten respektiert wird. Der Rotlichtverstoß wird dann deshalb als erheblich schwerwiegender gewertet.

Für uns Zweiradfahrer bedeutet dies, dass wir auf einer Vorfahrtstraße an einer Haltelinie mit Fußgängerampel bei schon auf Gelblicht umgesprungener Ampel – das bekannte „fast schon Orange“ – besser anhalten als auf unserem Vorfahrtrecht zu beharren. Wir sollten aber auch vorsichtig sein, wenn wir auf eine Vorfahrtstraße einfahren, an der eine Fußgänger­ampel Rotlicht für die Fahrzeuge zeigt. Bei einem Unfall mit einem Pkw trägt der Biker meistens größere Schäden davon – vor allem im Hinblick auf körperliche Beschädigungen.