aus Kradblatt 4/23 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Wie lange gilt ein Neufahrzeug als neu?
Die folgenden Ausführungen sind in erster Linie für Kraftfahrzeughändler interessant. Aber auch jene, die sich vielleicht eine neue Maschine zulegen wollen erfahren, dass „fabrikneu“ nicht unbedingt „ganz frisch aus der Herstellung“ bedeutet.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 03.08.2021 (Aktenzeichen: 5 U 84/20) den eigentlich eindeutig scheinenden Begriff erweitert.
Ein Kraftfahrzeughändler hatte ein am 12.08.2017 hergestelltes Fahrzeug am 11.08.2018 als „Lagerfahrzeug/sofort verfügbar/EU-Neufahrzeug mit Tageszulassung“ im Internet inseriert und dabei erklärt, dass der Pkw erstmals im Juni 2018 zugelassen worden war. Mit Kaufvertrag vom 14.08.2018 erwarb die Kaufinteressentin das Fahrzeug zu einem Kaufpreis in Höhe von 51.000 €.
Im Zuge des sogenannten VW-Abgasskandals wollte die Käuferin dann vom Kaufvertrag unter anderem deshalb zurücktreten, weil sie beim Kauf arglistig getäuscht worden sei. Sie sei nach dem Inhalt des Inserats wie auch des Vertrages davon ausgegangen, ein fabrikneues Fahrzeug zu erwerben. Diese Eigenschaft habe das Fahrzeug bei Abschluss des Vertrages am 14.08.2018 aber nicht mehr aufgewiesen, weil seit Herstellung des Pkw bereits mehr als 12 Monate vergangen gewesen sind.
Das Landgericht Frankfurt hatte der Klage der Käuferin stattgegeben, weil im Verkauf eines Neuwagens die Zusicherung liege, dass das Fahrzeug fabrikneu sei, was der Fall sei, wenn es ein ungenutztes Kraftfahrzeug ist, solange das Modell noch unverändert weitergebaut werde und zwischen der Herstellung und dem Verkauf des Fahrzeugs nicht mehr als 12 Monate lägen. Dies entspricht dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.10.2003, Aktenzeichen: VIII ZR 227/02. Diese Frist sei – wenn auch bei zwei Tagen nur geringfügig – überschritten worden. Die Inserierung als „fabrikneu“ sei am 11.08.2018 noch korrekt gewesen. Der Verkauf als „fabrikneu“ hätte am 14.08.2018 jedoch nicht mehr erfolgen dürfen.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sah das anders. Durch den seit der Herstellung des Pkw bis zum Kauf vergangenen Zeitraum von zwölf Monaten und zwei Tagen hat das Fahrzeug mit Ablauf des 12.08.2018 die Eigenschaft „fabrikneu“ nicht verloren. Die vom Bundesgerichtshof angegebene Frist ist danach keine auf den Tag genau einzuhaltende, starre Ausschlussfrist. Da die Alterungsprozesse von Kraftfahrzeugen schleichend ablaufen, ist nicht davon auszugehen, dass nach der Verkehrsanschauung in der Bewertung des Wertes eines Fahrzeugs zwischen dem 11.8. und dem 14.8.2018 ein wesentlicher Unterschied zu machen ist. Die Zwölf-Monate-Frist ist somit nicht im Sinne einer tagesgenau einzuhaltenden Frist zu verstehen, sondern als Angabe eines – in Monaten zu bemessenden – Zeitraums, so dass jedenfalls eine geringfügige Überschreitung nicht rechtserheblich ist. Das Oberlandesgericht gab deshalb der Berufung des Fahrzeughändlers statt und sprach der Käuferin das Recht auf Rückabwicklung des Kaufvertrags ab.
Gewiss kann man die Ansicht des Landgerichts, dass zwei Tage Überschreitung die Bezeichnung „fabrikneu“ ausschlösse, als „pingelig“ oder „Erbsenzählerei“ ansehen. Die vom Oberlandesgericht Frankfurt gelieferte Argumentation, dass im Hinblick auf den Wert zwei Tage Überschreitung nicht genügten, kann aber auch überzeugen.
Es bleibt jedoch die Frage offen, ab welchem Zeitpunkt die Bezeichnung „fabrikneu“ dann nicht mehr zulässig sein soll. Ist ein Fahrzeug, dass z.B. vor 12 Monaten und fünf Tagen hergestellt wurde, noch „fabrikneu“?
Es ist nicht erkennbar, dass das Oberlandesgericht Frankfurt sich damit auseinandergesetzt hätte. Es musste dies auch nicht, weil es im vorliegenden Fall eben nur zwei Tage waren. Wie Kaufwillige damit umgehen, bleibt ihnen überlassen. Die gerichtliche Entscheidung ist aber im Hinblick auf die herkömmliche und landläufige Auffassung von „fabrikneu“ schon bedenklich. Neue Streitigkeiten sind so vorprogrammiert und Händler sollten Zeiträume besser nicht ausreizen.
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