aus Kradblatt 4/21 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Schweigen kann Gold sein …
Nach einem Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug noch repariert werden kann, also kein wirtschaftlicher Totalschaden besteht, hat der Geschädigte grundsätzlich die Wahl, ob er die tatsächlich angefallenen (konkreten) oder die nach einem Sachverständigengutachten erforderlichen (fiktiven) Reparaturkosten geltend macht.
Entscheidet sich der Anspruchsteller für die fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis, sind die vom Sachverständigen nach den Preisen einer Fachwerkstatt berechneten Reparaturkosten auch zu ersetzen, wenn die Reparatur von einer „freien“ Werkstatt, vom Geschädigten selbst oder sogar gar nicht ausgeführt wird. Dabei sind aber die Voraussetzungen für eine „billige“ Reparatur und zugleich „teure“ Abrechnung umstritten. Ein neueres Urteil des Oberlandesgerichts München hat sich hier für den Geschädigten ausgesprochen.
Der Bundesgerichtshof hatte in einem Urteil vom 03.12.2013 (Aktenzeichen: VI ZR 24/13) noch anders herum entschieden. Danach muss, wenn die tatsächliche Reparatur weniger gekostet hat als die vom Sachverständigen angesetzten Kosten sich der Geschädigte auf die angefallenen Brutto-Reparaturkosten beschränken. Er hat keinen Anspruch auf Zahlung des im Gutachten ausgewiesenen Netto-Betrages zuzüglich der von ihm wirklich bei der Reparatur gezahlten Mehrwertsteuer. Wenn ein Anspruchsteller eine günstigere Reparaturmöglichkeit wahrgenommen hat, sei – so argumentiert der Bundesgerichtshof – der vom Sachverständigen für notwendig gehaltene Betrag für die Reparatur eben doch nicht erforderlich gewesen. Ansonsten könnte ein Geschädigter an seinem Schadensfall verdienen, was dem Grundsatz widerspricht, dass man sich nicht am Schadensersatz bereichern darf. Ein Anspruchsteller „gewinnt“ danach nichts dadurch, dass er sich mit einer Teil-, Eigen- oder Billigreparatur begnügt.
Das Oberlandesgericht München sah dies allerdings in seinem Urteil vom 17.12.2020 (Aktenzeichen: 24 U 4397/20) anders. Nach der Auffassung dieses Gerichts sind im Wege der fiktiven Abrechnung geltend gemachte Reparaturkosten nicht auf die tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten zu reduzieren.
Der Anspruchsteller hatte hier sein Fahrzeug sach- und fachgerecht reparieren lassen. Das Sachverständigengutachten wies an notwendigen Reparaturkosten einen Betrag in Höhe von 9.355,78 € aus. Der beklagte Schädiger wandte hierzu ein, der Geschädigte habe für die Reparatur nicht mehr als 5.000 € gezahlt. Der Geschädigte führte hierauf nur aus, dass es nicht richtig sei, dass er für die Reparatur seines Fahrzeugs nicht mehr als 5.000 € bezahlt habe.
Das Oberlandesgericht München erklärte im Einklang mit einem Urteil des Kammergerichts (Oberlandesgericht von Berlin) vom 14.12.2017 (Aktenzeichen: 22 U 177/15), dass aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs nicht zu folgern sei, dass ein Geschädigter nach einer sach- und fachgerechten Reparatur den tatsächlichen Aufwand hierfür darlegen müsse. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs hatte der Kläger nämlich eine Reparaturrechnung vorgelegt, wodurch der im Sachverständigengutachten ausgewiesene Betrag als unzutreffend angesehen wurde. Der Geschädigte, der eine Reparaturrechnung einreicht, die den Betrag in dem von ihm vorgelegten Gutachten unterschreitet, macht damit seinen eigenen Vortrag zu den erforderlichen Reparaturkosten unschlüssig.
Im Fall des Oberlandesgerichts München hatte der Anspruchsteller keine Rechnung beigebracht und nicht konkret zu den angefallenen Kosten der Reparatur vorgetragen. Dies war auch nicht nötig. Die Gegenseite hatte nur pauschal behauptet, die Reparatur habe nicht mehr als 5.000 € gekostet und damit nicht hinreichend begründet vorgetragen.
Gegenüber dieser Erklärung, ohne jegliche Grundlage genügte das einfache Bestreiten ohne Ausführungen zu den tatsächlich notwendigen Reparaturkosten.
Der Sachverhalt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wich daher insoweit ab, als der dortige Anspruchsteller mehr „erzählt“ hatte als er eigentlich hätte müssen. Hätte er zu den Kosten der Reparatur geschwiegen und keine konkrete Rechnung beigebracht, wäre der Betrag im Sachverständigengutachten nicht unschlüssig geworden. Es wäre Sache des Schädigers gewesen, begründete Einwände gegen das Schadensgutachten vorzubringen, statt eine Behauptung quasi „ins Blaue hinein“ aufzustellen. Hätte er darlegen können, dass eine Reparatur im Umfang der Empfehlungen des Sachverständigen in einer ausgewiesenen Fachwerkstatt auch günstiger hätte erfolgen können und damit berechtigte Zweifel gegen den im Gutachten genannten Betrag aufgebracht, wäre der Geschädigte vom Richter gewiss zur Vorlage der Reparaturrechnung aufgefordert worden.
Man muss danach in einem Rechtsstreit nach einem Verkehrsunfall sehr genau aufpassen, inwieweit man sich zum Vortrag des Gegners einlassen muss. Das Sprichwort, dass Schweigen Gold ist, trifft hier tatsächlich zu.
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