aus Kradblatt 3/22 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Wie werden Vorschäden reguliert?

Ein Unfall mit dem Bike ist schon ärgerlich. Der Ärger wird dann aber nicht selten noch erheblich größer, wenn die Krafthaftpflichtversicherung des Unfallgegners feststellt, dass das verunfallte Motorrad bereits durch einen früheren Unfall beschädigt worden ist. Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen hatte über einen solchen Fall in II. Instanz (Urteil vom 30.06.2021, Aktenzeichen: 1 U 90/19) zu entscheiden.

Der klagende Geschädigte hatte nach einem Verkehrsunfall ein Sachverständigengutachten eingeholt, das erhebliche Reparaturkosten kalkulierte, wobei es zugleich erklärte, dass das Fahrzeug Vor- und Altschäden aufwies. Hierzu merkte der Kläger an, dass in der Zeit seines Besitzes keine Schäden im Anstoßbereich aufgetreten seien, etwaige Schäden aus der Vorzeit seien nicht erkennbar gewesen oder vollständig instandgesetzt worden. Der Unfallverursacher bestritt nun die Herkunft der Schäden aus dem Unfall und forderte, dass der Kläger beweisen müsse, dass es sich um Unfall- und nicht um Vorschäden handele und bekam vom Landgericht Bremen mittels Klageabweisung Recht. 

Das OLG Bremen hingegen änderte diese Entscheidung ab und sprach dem Geschädigten Schadensersatz zu. Die Vorschäden stünden dem Ersatzanspruch nicht entgegen, da die Verursachung weiterer Schäden im vorgeschädigten Bereich nachgewiesen werden konnte.

Grundsätzlich hat der Geschädigte darzulegen und zu beweisen, dass die Beschädigung seines Fahrzeugs unfallbedingt ist und nicht schon vor dem Unfall vorhanden war. Der Unfallgeschädigte kann dieser Darlegungs- und Beweislast dadurch nachkommen, dass er die Beseitigung der Vorschäden nachweist. 

Nach bisheriger Rechtsprechung hat der Geschädigte im Einzelnen zu den Vorschäden vorzutragen und zu beweisen, dass diese repariert worden sind. Dafür genügt nicht die einfache Behauptung der Schadensbehebung. Die ursprünglich strengen Anforderungen sind in jüngerer Zeit aber abgemildert worden, sodass der Geschädigte nunmehr nur die wesentlichen Parameter der Reparatur vortragen muss. Er muss danach nicht mehr Rechnungen zur Vor-Reparatur vorlegen oder deren Einzelschritte darlegen. Es genügt der Vortrag des Geschädigten, dass er das Fahrzeug als unbeschädigt erworben hat oder dass Vorschäden sachverständig nicht festgestellt werden konnten. 

Ein Schadensersatzanspruch kann auch ohne die nachgewiesene Reparatur von Vorschäden zugesprochen werden, wenn das Gericht nach der Beweiswürdigung zu dem Schluss kommt, dass bestimmte abgrenzbare Beschädigungen durch das streitgegenständliche Unfallereignis verursacht worden sind. Gefordert wird dabei der positive Nachweis der Unfallbedingtheit der Schäden. Es reicht nicht, dass die Beschädigungen unfallkompatibel (also „passend“) sind. Bei Fehlen eines Nachweises kann es bei genügenden Anhaltspunkten aber sogar in Betracht kommen, das Vorliegen von nicht abzugrenzenden Vorschäden im Wege der Schadensschätzung durch einen Abschlag bei der Schadensbemessung zu berücksichtigen. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens ist allerdings nicht zulässig, auch nicht als „Mindestschaden“. 

Nach diesen Grundsätzen wurde dem Geschädigten durch das OLG Bremen Schadensersatz zuerkannt.

Das Urteil des OLG Bremen führt die zunehmend „geschädigtenfreundliche“ Rechtsprechung fort und ist zu begrüßen. Bei mehreren Unfallschäden im selben Fahrzeugbereich sollten nicht zu hohe Hürden für den Geschädigten aufgestellt werden. Der Einwand von Vorschäden darf nicht dazu führen, dass ein Unfallverursacher die von ihm verursachten Beschädigungen nicht bezahlt.

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