aus Kradblatt 3/21 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
Telefon 0421-696 44 880 – www.janschweers.de

Ein Urteil zur Versammlungsfreiheit  …

Die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub oder einer Gemeinschaft wird nach außen gern durch das Tragen von Kutten mit entsprechenden Abzeichen gezeigt. Manchmal sind auch Aufnäher von befreundeten Clubs darauf zu finden. Viele Vereinigungen haben genaue Vorschriften, wo welcher Aufnäher anzubringen ist. Hier werden dann auch Amtsbezeichnungen im Club genannt. 

Wegen Unstimmigkeiten zwischen einigen Vereinigungen, waren in jüngerer Zeit etliche regionale Gruppierungen und Untergruppen (sogenannte Chapter) durch die jeweiligen Bundes- oder Landesinnenministerien verboten worden. Manche Organisationen versuchten, einem Verbot durch vorherige Selbstauflösung zuvorzukommen. 2017 wurde § 9 Vereinsgesetz, der sich mit dem Kennzeichenverbot befasst, geändert. Kurz geschrieben untersagt diese Vorschrift das öffentliche Verwenden von Kennzeichen verbotener Vereine. Absatz 3 erweitert dieses Verbot auf Kennzeichen eines verbotenen Vereins, die in im Wesentlichen gleicher Form von anderen nicht verbotenen Teilorganisationen oder von selbstständigen Vereinen verwendet werden. Der neue Satz 2 stellt nunmehr ausdrücklich klar, dass ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins insbesondere dann in im Wesentlichen gleicher Form verwendet wird, wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird. Ist also nur eine bestimmte ortsbezeichnete Teilgruppierung (z.B. „Club X Sachsen“) verboten worden, dürfen deren Kennzeichen nicht durch einfaches Verwenden des gleichen Zeichens mit einer Orts- oder Untergliederungsbezeichnung (z.B. „Club X Schleswig-Holstein“) weiter öffentlich zur Schau getragen werden. Das Verbot betrifft damit zusätzlich viele nicht verbotene „Schwestervereine“. Verfassungsbeschwerden verschiedener Rocker-Gruppierungen wurden mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.07.2020 (Aktenzeichen: 1 BvR 424/18) nicht zur Entscheidung angenommen, weil ihnen keine grundsätzliche Bedeutung zukomme und ihre Annahme zur Durchsetzung bestimmter Rechte nicht angezeigt sei.

Ein Motorradclub hatte für den 31.10.2020 einen Motorrad-Korso mit 60 Teilnehmern in Berlin angemeldet, der unter dem Motto „Gegen die Abschaffung der Vereinsfreiheit, insbesondere die Änderung des § 9 Vereinsgesetz“ eine gemeinsame Fahrt auf einer bestimmten Route vorsah. Der zuständige Polizeipräsident hielt das Motto für vorgeschoben und erließ einen Bescheid, nach dem der Korso keine von der Verfassung geschützte Versammlung darstelle. Der Club würde seit 2015 jeweils am 31.10. Fahrten zum Gedenken an ein verstorbenes Mitglied durchführen und wolle wegen Problemen mit der Polizei im Jahre 2019 Schwierigkeiten umgehen.

Das Verwaltungsgericht Berlin folgte dieser Auffassung mit Beschluss vom 08.10.2020 (Aktenzeichen: 08.10.2020 (VG 1 L 339/20) nicht und gab einem Eilantrag des Motorradclubs statt. Die Versammlungsfreiheit des Artikel 8 Grundgesetz schütze die Freiheit kollektiver Meinungskundgabe zur Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung. Diese Meinungskundgabe könne auch in Form eines Aufzugs mit Motorrädern erfolgen. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Zweck vorgeschoben sei, da geplant sei, dass die Teilnehmer am Korso einheitliche T-Shirts mit Aussagen gegen das Kuttenverbot tragen sollten, was bei Aufzügen in den Vorjahren auch tatsächlich geschehen war. Das Ende der Fahrtroute, ein Friedhof in Berlin, stehe ebenfalls im Zusammenhang mit dem Thema der Versammlung, da aufgrund der thematisierten Gesetzesänderung die Inschrift auf dem Grabstein des verstorbenen Mitglieds erheblich unkenntlich gemacht werden musste. Sie enthielt wohl das Emblem eines verbotenen Motorradvereins. Der angemeldeten Veranstaltung konnte deshalb nicht (jedenfalls nicht mit der bisher abgegebenen Begründung) die Genehmigung verweigert werden.

Es ist erstaunlich aber rechtlich gut begründet, dass ein Gericht nunmehr Protestaktionen gegen diese mittelbare Betroffenheit und den Unmut über (vielleicht zu) weit gefasste Verbote zugelassen hat. Die Versammlungsfreiheit ist ein derart wichtiges Rechtsgut in einer Demokratie, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin grundsätzlich zu loben ist.