aus Kradblatt 2/20 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Tempoüberwachung ist eine hoheitliche Aufgabe …

Geblitzt zu werden ist zwar ärgerlich, man kann man es aber sportlich nehmen – wenn denn alles rechtens abläuft. Ein sehr aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zur Zulässigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch private Unternehmen, schränkt die nicht selten gängige Praxis der Verkehrsüberwachung jetzt erheblich ein.

Im der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 06.11.2019 (Aktenzeichen 2 Ss-OWi 942/19) war gegen den Betroffenen ein Bußgeld wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften festgesetzt worden. Die dem Vorwurf zugrunde liegende Messung war durch einen Angestellten einer privaten Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) vorgenommen worden. Die zuständige Gemeinde hatte mit der GmbH einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zum Zweck der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeine Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ mit jeweiligen Stundenverrechnungssätzen geschlossen. 

Das Amtsgericht Gelnhausen hatte den Betroffenen dann freigesprochen, weil die Gemeinde Freigericht im Wege verbotener Arbeitnehmerüberlassung einen privaten Dienstleister mit der hoheitlichen Verkehrsüberwachung beauftragt und für die so ermittelten Verstöße Verwarn- und Bußgelder verhängen lassen hatte. Die Staatsanwaltschaft Hanau legte hiergegen Rechtsbeschwerde ein, über die das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nunmehr entschieden hat.

Das Oberlandesgericht führt aus, dass die vorliegend durchgeführte Verkehrsüberwachung gesetzeswidrig gewesen ist, weil es für die im hoheitlichen Auftrag durchgeführte Geschwindigkeitsmessung durch einen Privaten (die GmbH) keine Rechtsgrundlage gibt. Dementsprechend hätte auch kein Bußgeldbescheid erlassen werden dürfen. Polizeibehörden dürfen die Verkehrsüberwachung nur durch eigene Bedienstete mit entsprechender Qualifikation vornehmen. 

Über den konkreten Fall hinaus erklärte das Oberlandesgericht, dass als Folge des gesetzwidrigen Handelns sämtliche Verkehrsüberwachungen seit Übertragung der Aufgabe auf die GmbH im März 2017 unzulässig seien. Dies gelte zusätzlich für verschiedene Gemeinden des Bezirks, in denen die GmbH unter den gleichen Bedingungen, also aufgrund einer rechtswidrigen Arbeitnehmerüberlassung, tätig geworden ist.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main gilt zunächst nur für dessen Zuständigkeitsbereich. Sie kann aber erhebliche Folgen im gesamten Bundesgebiet haben. Sogenannte hoheitliche Aufgaben, wie die Verkehrsüberwachung dürfen nämlich grundsätzlich nur von öffentlichen Stellen wahrgenommen und nicht wie im vorliegenden Fall an Privatunternehmen „ausgegliedert“ werden. 

Für einen von einem Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsübertretung Betroffenen kann es daher ratsam sein, herauszufinden, ob die Geschwindigkeitsmessung in seinem Fall vielleicht ebenso von einer privaten GmbH durchgeführt worden ist. Es ist damit zu rechnen, dass sich andere Gerichte der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main anschließen werden. 

Nun könnte man annehmen, dies beträfe nur aktuelle Vorgänge, in denen das Bußgeld noch nicht gezahlt worden ist. Aber auch für etwas ältere Fälle kann die Entscheidung noch von Interesse sein. Es gibt nämlich in § 85 Ordnungswidrigkeitengesetz die Möglichkeit unter bestimmten Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Bußgeldverfahrens zu betreiben. Dadurch kann die Verhängung des Bußgeldes nachträglich geprüft werden. Die genannte Vorschrift verweist hierfür auf die Wiederaufnahmevorschriften der Strafprozessordnung, was hier jetzt aber nicht im Einzelnen ausgeführt werden soll. § 85 Absatz 2 Ordnungswidrigkeitengesetz enthält allerdings zwei wesentliche „Hürden“ für eine Wiederaufnahme. Zum einen ist sie nicht zulässig, wenn gegen den Betroffenen lediglich eine Geldbuße bis zu 250 Euro festgesetzt worden ist. Danach wäre ein Verfahren nicht möglich bei Geldbußen bis einschließlich 249,99 Euro (ja, das wird genau beachtet!). Zum anderen ist ein Verfahren nicht zulässig, wenn seit der Rechtskraft der Entscheidung drei Jahre verstrichen sind. Eine Entscheidung ist „rechtskräftig“, wenn sie mit „normalen“ Rechtsmitteln unanfechtbar und damit (prinzipiell) endgültig ist. Diese beiden Voraussetzungen dürften in der Praxis viele Wiederaufnahmeverfahren von vornherein verhindern.

Eine grundsätzliche Einschränkung des aktuellen Ausspruchs des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main gibt es aber auch noch. Aus der früheren Rechtsprechung ergibt sich, dass die Überlassung von hoheitlichen Aufgaben an Privatunternehmen durchaus zulässig sein kann, solange die Behörde die „Herrin des Verfahrens“ bleibt. Wenn die Behörde die vom Privaten vorgenommenen Messungen selbst auswertet und danach entscheidet, kann die Geschwindigkeitserfassung durchaus verwertbar und ein Bußgeld rechtmäßig verhängt worden sein. Es ist zu erwarten, dass sich die Behörden, die sich heute der „Unterstützung“ durch Privatunternehmen bedienen, darauf in Zukunft einstellen werden.

Beim jetzigen Stand kann aber jeder, der in den letzten drei Jahren einen Bußgeldbescheid über mehr als 250 Euro erhalten hat, nachträglich prüfen lassen, durch wen die Messung und die Auswertung erfolgt ist. Insbesondere gilt dies aber selbstverständlich für noch laufende Verfahren, bei denen es keine „Preisgrenze“ gibt. Es ist durchaus empfehlenswert, die Frage klären zu lassen, wie und durch wen die Messung jeweils erfolgte.

Natürlich gilt in erster Linie, dass durch ordnungsgemäßes Fahren, also mit angemessener Geschwindigkeit, ein Bußgeld vermieden werden kann. Sollte es aber doch mal zu einem Verfahren kommen, zeigt das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main einen neuen Weg, dass nicht jede Form der Geschwindigkeitsmessung hingenommen werden muss.