aus Kradblatt 11/20 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Unterschlagung eines Fahrzeugs …

Wer ein neues (im Sinne von „noch nicht ihm gehörendes“, also auch bzw. gerade ein gebrauchtes) Fahrzeug erwerben will, macht vorher gerne eine Probefahrt. Dies ist nachvollziehbar, weil keiner die sprichwörtliche Katze im Sack kaufen will. Der potenzielle Käufer will das Gefährt vor einem Kauf testen, das Fahrgefühl erleben, das Fahrzeug fühlen. Das ist bei Autofahrern nicht anders als bei uns Motorradfahrern. 

Eine Probefahrt ist aber mit vielen Gefahren und Unsicherheiten für Käufer und Verkäufer verbunden, von denen ein Unfall mit Beschädigung des Fahrzeugs der wohl häufigste Fall ist. Der Bundesgerichtshof hatte sich jüngst mit einer anderen Fragestellung zu befassen: Ein vermeintlicher Kaufinteressent brachte das Fahrzeug von der Probefahrt nicht wieder zurück, sondern verkaufte es später an eine dritte Person, die nichts von dieser Unterschlagung gewusst hatte.

Bei einem Autohaus, der späteren Klägerin, trat ein vermeintlicher Kaufinteressent für einen dort angebotenen Vorführwagen, einer Großraumlimousine der Marke Mercedes-Benz V 220 d, auf. Nach  Vorlage von – wie sich später herausstellte – gefälschten Papieren (Personalausweis, Führerschein etc.) wurden ihm für eine einstündige unbegleitete Probefahrt im Rahmen eines sogenannten Fahrzeug-Benutzungsvertrages ein Autoschlüssel, das mit einem roten Kennzeichen versehene Fahrzeug, das Fahrtenbuch und Fahrzeugscheinheft sowie eine Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) überlassen. 

Der angebliche Kaufwillige kehrte mit dem Wagen nicht wieder zum Autohaus zurück. Eine dritte Person, die spätere Beklagte, entdeckte das Fahrzeug kurz darauf im Internet, traf sich mit dem „Probefahrer“, erkannte die von diesem vorgelegten Unterlagen nicht als Fälschungen (auf gestohlenem Originalpapier) und schloss einen Kaufvertrag über den Pkw für 46.500 Euro ab. Bei dem Versuch der Zulassung stellte die Behörde fest, dass das Fahrzeug als gestohlen gemeldet worden war, worauf der Wagen natürlich nicht zugelassen wurde. Das Autohaus klagte auf Herausgabe des Fahrzeugs und des Fahrzeugschlüssels. Die Klage wurde zunächst abgewiesen, in zweiter Instanz hatte sie Erfolg, der Bundesgerichtshof stellte seinerseits aber das erstinstanzliche Urteil wieder her und gab der Beklagten, der Käuferin, recht.

Das Autohaus, so der Bundesgerichtshof im Urteil vom 18.09.2020 (Aktenzeichen: V ZR 8/19), hat das Eigentum an dem Fahrzeug verloren. Die Beklagte hat den Pkw gutgläubig erworben. Gemäß § 932 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass der Erwerber zu der Zeit, zu der er das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Zwar tritt nach § 935 BGB der Erwerb des Eigentums nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonstwie abhanden gekommen war. Dabei setzt ein „Abhandenkommen“ aber einen unfreiwilligen Besitzverlust voraus. Daran soll es vorliegend jedoch gefehlt haben, weil das Autohaus dem vermeintlichen Kaufinteressenten den Wagen freiwillig überlassen hatte. Eine Besitzübertragung ist nicht schon deshalb unfreiwillig, weil sie auf einer Täuschung beruht. Es liegt auch nicht eine bloße Besitzlockerung vor. Bei der Überlassung eines Fahrzeugs für eine Probefahrt eines Kaufinteressenten erfolgt eine Besitzübertragung auf diesen. Eine Nichtrückgabe eines Pkw stellt daher kein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB dar. Deshalb konnte der Wagen von der Beklagten gutgläubig erworben werden. Sie ist bei dem Kauf des Kfz in gutem Glauben gewesen und deswegen Eigentümerin geworden.

Der Bundesgerichtshof erklärt zusätzlich, dass der vermeintliche Kaufinteressent auch nicht bloßer Besitzdiener des Autohauses gewesen ist. Laut § 855 Bürgerliches Gesetzbuch ist, wenn jemand tatsächlich über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft (oder in einem ähnlichen Verhältnis) verfügt und dabei an Weisungen des anderen gebunden ist, nur der andere der Besitzer. Danach wäre das Autohaus weiterhin Besitzer des Fahrzeugs gewesen. Dafür fehlt es aber, so der Bundesgerichtshof, an dem dafür erforderlichen sozialen oder vergleichbaren Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Kaufinteressenten. Dass Letzterer in Bezug auf das Fahrzeug Weisungen bzw. Vorgaben des Verkäufers unterworfen ist, ändert hieran nichts, weil kein über den Verkauf hinausgehendes Verhältnis besteht. Mit der (freiwilligen) Überlassung des Fahrzeugs zur Probefahrt gehe daher der Besitz auf den vermeintlichen Kaufinteressenten über. Die Vorinstanz hatte angenommen, dass eine Besitzdienerschaft vorgelegen hätte.

In solchen Fällen ist daher der Verkäufer „der Dumme“, der bestenfalls hoffen kann, dass der angebliche Kaufinteressent noch erwischt wird.

Es gibt selbstverständlich gewisse Vorsichtsmaßnahmen. Empfohlen wird, vor einer Probefahrt den Personalausweis und Führerschein zu verlangen, sich die Unterlagen zu kopieren bzw. die Daten zu notieren und sich die Richtigkeit vom möglichen Käufer bestätigen zu lassen. Dies hilft bei „professionellen“ Täuschern mit gut gefälschten Papieren wie im vorliegenden Fall natürlich nicht. Ratsam ist daher, die gesamte Kaufsumme oder wenigstens eine angemessene Kaution vorweg zwecks Hinterlegung zu verlangen. Seriöse Kaufwillige sollten damit eigentlich kein Problem haben.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs betrifft zwar einen Pkw. Sie ist aber auf Motorradfahrer und -händler eins zu eins übertragbar. Der Besitz geht unabhängig von der Zahl der Räder des Fahrzeugs freiwillig auf den Probefahrenden über, sodass von diesem gutgläubig Eigentum erworben werden kann. Deshalb gilt auch für uns bei Gewährung einer unbegleiteten Probefahrt zum Zwecke des Verkaufs große Vorsicht, damit man hinterher nicht ohne Maschine und ohne Verkaufs­erlös dasteht.

Die ganz überwiegende Zahl der potenziellen Käufer dürfte zwar ehrlich sein und das Kraftrad wieder zurückbringen. Aber schwarze Schafe gibt es leider immer wieder.