aus Kradblatt 10/24 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Auch bei einer Panne: runter von der Fahrbahn!
Zum Glück nicht häufig aber doch immer mal wieder kommt es vor, dass sich Personen zu Fuß auf Fahrbahnen der Autobahn bewegen – zumeist nach einer Panne oder einem Unfall, um zum Seitenstreifen zu kommen, seltener aufgrund von Verwirrung oder Übermut. Das Oberlandesgericht Brandenburg hatte mit Urteil vom 15.06.2023 (Aktenzeichen: 12 U 218/22) über die Haftung in einem solchen Fall entschieden.
Der spätere Fußgänger wurde infolge Unachtsamkeit mit seinem Fahrzeug in einen Auffahrunfall verwickelt, wobei sein Pkw über die Fahrstreifen geschleudert wurde. Dunkel gekleidet stieg der Verunglückte aus und versuchte, ohne zuvor eine Warnweste anzulegen über die Fahrspuren hinweg den Standstreifen zu erreichen. Seinen Pkw ließ er ohne Warnblinklicht stehen. Dabei wurde er von einem mit mindestens 50 km/h fahrenden Pkw erfasst.
Der Fußgänger gab an, dass der Verkehr schon zum Erliegen gekommen war, als er ausstieg. Die Sicherheitsweste habe er nicht aus dem Handschuhfach nehmen können, weil der Airbag dieses versperrt hätte. Zudem sei er erst auf der Standspur von dem beklagten Autofahrer erfasst worden. Der Fußgänger machte seine Ansprüche unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 30 Prozent geltend. Der Autofahrer trug hingegen vor, der Versicherte habe ohne Not und ohne Beachtung des weiterhin fließenden Verkehrs die Fahrspuren überquert. Der Pkw des Fußgängers sei weder durch Warndreieck noch durch Warnlicht gesichert gewesen. Das Landgericht sprach dem Fußgänger 70 Prozent des Schadensersatzes zu.
Das Oberlandesgericht sprach dagegen auf die Berufung des Beklagten einen Mithaftungsanteil des Fußgängers von 50 Prozent aus. Es erklärte, dass eine Haftungsverteilung vorzunehmen ist.
Dabei wurde zu Lasten des beklagten Autofahrers gewertet, dass dieser mit einer weit überhöhten Geschwindigkeit in den Bereich der Unfallstelle gefahren und der Verkehr bereits zum Erliegen gekommen war. Es habe eine unklare Situation vorgelegen, bei der auch mit Personen auf der Fahrbahn hätte gerechnet werden müssen. Dass der Autofahrer versuchte, mit nicht verringerter Geschwindigkeit an dem Unfall vorbeizufahren, stelle einen besonders groben Verkehrsverstoß dar. Der Autofahrer hätte erkennen müssen, dass eine Gefahrenlage vorlag, bei der sich etwa Hilfesuchende auf der Fahrbahn befinden konnten.
Dem Fußgänger wurde ein Mitverschulden zugesprochen, da er zunächst mit seinem Pkw den Unfall verschuldet hatte und dann, statt hinter der näher gelegenen Mittelleitplanke Schutz zu suchen, ohne Warnweste über die Fahrspuren in Richtung Standstreifen gegangen war. Diese Verstöße wurden allerdings nicht als grober oder gar besonders grober Verkehrsverstoß bzw. als ein Unfallbeitrag von besonderem Gewicht eingestuft. In die Wertung floss nicht ein, dass der Fußgänger eine ungesicherte Unfallstelle verlassen hatte, da zum Zeitpunkt des Verlassens seines Pkw bereits andere Fahrzeuge mit Warnblinklicht stehengeblieben waren.
Das Oberlandesgericht Brandenburg gewichtete bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge das grob verkehrswidrige Verhalten des beklagten Autofahrers einerseits und die Summe der Handlungen des Erstverunfallten und anschließenden Fußgängers als insgesamt gleichwertig und gelangte zu einer hälftigen Schadensteilung. Die Haftungsverteilung einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München konnte nicht übernommen werden, da dort der Fußgänger den Erstunfall nicht verursacht und die Fahrbahn betreten hatte, um zur Notrufsäule zu gehen.
Das möchte keiner von uns erleben: Man fährt auf der Autobahn auf eine Unfallstelle zu und dann läuft einem ein vorher nicht zu sehender Fußgänger auf der Fahrbahn ins Bike, wobei in einem solchen Fall selbst die Wendigkeit der Maschine nicht zum Ausweichen genügt. Daher sollten wir angesichts eines Verkehrsunfalls (übrigens nicht nur auf Autobahnen) die Geschwindigkeit maßvoll drosseln und mit noch deutlich erhöhter Aufmerksamkeit als sonst fahren. Die Schäden könnten ansonsten sehr hoch ausfallen, sodass selbst eine Haftungsteilung zu gleichen Teilen für die meisten von uns zu kostspielig wäre.
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