aus Kradblatt 10/23 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Wie funktioniert das eigentlich?

 

Wenn bei einem Verkehrsunfall das Fahrzeug keinen Totalschaden erlitten hat – der Wiederbeschaffungsaufwand ist also nicht niedriger als die Reparaturkosten – kann der Geschädigte zwischen zwei Abrechnungsmethoden wählen. Er lässt sein Vehikel entweder wirklich in einer Werkstatt reparieren und macht die Rechnung gegenüber der Krafthaftpflichtversicherung des Unfallverursachers geltend oder er nimmt eine fiktive Abrechnung vor, d.h. er lässt sich die Netto-Reparaturkosten aus dem Sachverständigengutachten von der gegnerischen Versicherung auszahlen.

Vor allem bei einer Reparatur kann sich bei eher zögerlicher Schadensregulierung die interessante Frage ergeben, ob bei einer zwischenzeitlichen Erhöhung von Preisen der Werkstätten die Differenz von der Versicherung verlangt werden kann.

Der Bundesgerichtshof hatte mit Urteil vom 18.02.2020 (Aktenzeichen: VI ZR 115/19) einen solchen nicht alltäglichen Fall entschieden, wie er in der Praxis aber gelegentlich doch vorkommt. 

Der Geschädigte hatte seinen Schaden aus einem Verkehrsunfall in Gestalt der Netto-Reparaturkosten im Dezember gegenüber der gegnerischen Versicherung geltend gemacht, diese regulierte den Schaden erst im Januar. Die Werkstatt für die gedachte Reparatur hatte zwischenzeitlich aber ihre Arbeitslöhne erhöht, sodass die Netto-Reparaturkosten im Januar höher ausfielen als noch im Sachverständigengutachten aus dem Dezember kalkuliert. 

Der Bundesgerichtshof sprach dem Geschädigten die Zahlung der Differenz aufgrund der Preiserhöhung zu. Das Berufungsgericht hatte noch ausgesprochen, dass die zwischenzeitlich erfolgte Erhöhung der Preise in der Werkstatt in die Schadensbemessung nicht einzubeziehen sei.
Dies war laut Bundesgerichtshof nicht rechtens. Der Schadensersatzanspruch in Geld ist zu dem Zeitpunkt zu
bemessen, in dem der Geschädigte den Ersatz erhält, wodurch der Geschädigte vor einer verzögerten Ersatzleistung des Schädigers bzw. dessen Versicherung geschützt werden soll. Zusätzliche Schäden oder eine Verteuerung, z.B. durch Preissteigerungen, gehen in aller Regel zu Lasten des Schädigers. Dies gilt auch bei einer fiktiven Abrechnung. 

Preissteigerungen, die für eine fiktive Reparatur in der Werkstatt anfallen würden, sind bis zur vollständigen Bezahlung des berechtigten Schadensbetrages grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Die Schadensminderungspflicht des Geschädigten aus § 254 Bürgerliches Gesetzbuch steht dem prinzipiell nicht entgegen, da es nicht deren Zweck ist, den Schädiger vor Preissteigerungen in einer Werkstatt zu schützen, die in der Zeit eintreten, in der er seiner Ersatzpflicht nicht nachkommt. Hat ein Schädiger bzw. seine Versicherung im Rahmen einer fiktiven Abrechnung nicht oder nicht vollständig reguliert – etwa bei nicht gerechtfertigten Abzügen bei den Netto-Reparaturkosten –, gehen zwischenzeitliche Preissteigerungen zu deren Lasten. Die Nachforderung der Differenz aufgrund einer inzwischen erfolgten Preiserhöhung ist danach rechtmäßig.

Für die meisten von uns, die eher Geschädigte als Schädiger bei einem Verkehrsunfall werden könnten, ist die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs überaus positiv. Krafthaftpflichtversicherungen neigen nämlich in der Praxis nicht selten dazu, eine Schadensregulierung so lange als möglich hinauszuzögern, wobei dies selbstverständlich keine ungerechtfertigte Verallgemeinerung darstellen soll. Dass Verzögerungen sich dann finanziell nachteilig für den Schädiger oder seine Versicherung auswirken können, ist aber doch sehr zu begrüßen. Wer hätte gedacht, dass Preiserhöhungen durchaus einmal etwas Gutes haben können (solange man nicht Unfallverursacher oder Versicherer ist).

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