aus Kradblatt 8/17
von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Fahrerlaubnis trotz 3,64 Promille

Die Überschrift muss man wohl zweimal lesen, weil man sonst nicht glaubt, was man da liest. Trotz 3,64 Promille, wird die Fahrerlaubnis nicht entzogen?! Wie kann das denn bitte sein?

Grundsätzlich gilt man als Kfz-Führer ab 1,1 Promille (bei Fahrradfahrern bei 1,6 Promille) als absolut fahruntüchtig. Das bedeutet, dass ab diesem Promillewert schlichtweg der Fahrzeugführer unfähig ist, ein Fahrzeug sicher zu führen. Es bedarf in diesem Fall auch keinen zusätzlichen sog. „Ausfallerscheinungen“, wie Schlangenlinien fahren etc. Dies ist bei dem Vorliegen der sog. „relativen Fahruntüchtigkeit“, die bei 0,5 Promille vorliegt, noch anders.

Am 20.04.2017 entschied das Amtsgericht Tiergarten (Az. 315 Cs 3023 Js 2034/16), nachdem das Kammergericht Berlin sich mit der Sache befasste und das zuvor ergangene Urteil aufgehoben hatte, dass der Angeklagte seine Fahrerlaubnis zurückerhält. Er hatte zuvor 14 Monate auf sie verzichten müssen, nachdem sie vorläufig eingezogen worden war.

Was war passiert? In der Revisionsverhandlung hatte der Strafsenat nämlich die Rücknahme der Revision angeregt, um die Sperrzeit für den Angeklagten kürzer zu halten. Der Verteidiger des Angeklagten hatte die Sache jedoch vor dem Kammergericht entscheiden lassen. Der Verteidiger hatte dann im zweiten Durchgang vor dem Amtsgericht noch eine Therapiebescheinigung über eine erfolgreiche Verkehrstherapie des Angeklagten parat, die sich für diesen vorteilhaft auswirkte. Denn er erhielt seine Fahrerlaubnis, trotz 3,64 Promille, zurück.

Das Amtsgericht Tiergarten begründete seine Entscheidung damit, dass die Regelvermutung des § 69 StGB widerlegt wurde. § 69 StGB besagt, wann ein Fahrzeugführer schlichtweg ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges ist. So wird bspw. vermutet, dass ein Fahrzeugführer, wenn er den Straftatbestand der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) begangen hat, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Folglich ist die Fahrerlaubnis zu entziehen. Doch gerade diese Regelvermutung, hat der Angeklagte in der Verhandlung widerlegen können. Er hat nämlich, ohne dass es eines äußeren sozialen Drucks bedurfte und vor allem selbstständig, seit mehr als einem Jahr keinen Alkohol konsumiert. Zudem hat er sich, entgegen dem Rat seiner Frau und Familie, entschieden, die in seiner Wohnung befindliche Hausbar und das Weinregal nicht zu entfernen, um so den Umgang mit der Abstinenz zu erlernen.

Unterstützend dazu hat der Angeklagte ein ganzes Jahr lang regelmäßig eine verkehrspsychologische Einzeltherapie absolviert, die er erfolgreich abgeschlossen hat. Der Angeklagte hat sich in 18 Einzelsitzungen sehr intensiv mit dem Umgang mit Alkohol und seiner Tat auseinandergesetzt. Er hat sein Verhalten reflektiert und festgestellt, dass die von ihm begangene Tat, ein großer Fehler war, der nie wieder passieren darf.

Der Angeklagte hat zudem vier spontan stattfindende Urin-Screenings im Rahmen des Drogenabstinenzprogramms durchführen lassen. Die Ergebnisse der Tests waren allesamt negativ. Der Angeklagte hat damit gezeigt, dass er die Folgen seines Handels verstanden hat. Er hat bewiesen, dass er doch zum Führen eines Fahrzeugs geeignet ist und die Regelvermutung damit widerlegt.

Wird die Regelvermutung widerlegt, so hat das Gericht keinen Grund mehr, den Angeklagten als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs anzusehen.

Ein Fahrzeug unter dem Einfluss von Alkohol (und/oder Drogen) zu führen, ist ein absolutes No-Go. Kommt es dennoch dazu und liegen die Voraussetzungen des § 69 StGB vor, so wird der Fahrzeugführer in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen. Konsequenz ist dann, dass ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen und der Führerschein einzuziehen ist. Jedoch bestehen Möglichkeiten, dass der Betroffene die Regelvermutung widerlegen kann, indem er alles erdenklich Nötige macht, um seine Fahreignung zu beweisen. Maßgebend ist, dass der Betroffene sich mit seiner Tat kritisch auseinandergesetzt hat, abstinent ist und das Gericht/die Behörde davon überzeugen kann, dass ihm eine Alkoholfahrt nie wieder passieren wird.

In diesem Fall reichten 14 Monate ohne Fahrerlaubnis und die Abkehr vom Alkohol um dem Angeklagten die Fahrerlaubnis in der letzten mündlichen Verhandlung nach 14 Monaten zurückzugeben. Besser lässt man aber gleich die Finger davon, denn auch 14 führerscheinlose Monate können sich heutzutage existenzbedrohend auswirken.