aus Kradblatt 6/17
von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Überholen bei unklarer Verkehrslage

Wer kennt das nicht, man fährt im Straßenverkehr mit seinem Bike und irgendwie geht es nicht weiter. Der Verkehr stockt. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit wird nicht erreicht und immer wieder kommt es zum Stillstand. Zunächst weiß man nicht warum. Vorne fährt jemand, der offensichtlich weit unterhalb der zulässigen Geschwindigkeit unterwegs ist.

Ihr werdet euch sicher fragen, was man dagegen tun kann. Es gibt drei Alternativen: Weiterhin hinterherfahren bis einem die Hutschnur platzt, warten bis die Fahrzeuge vor einem das Fahrzeug überholt haben und man an der Reihe ist zu überholen oder aber sich zu vergewissern, dass man die ganze Kolonne gefahrlos überholen kann und dann mit dem Überholvorgang starten. Wenn alles gut läuft, wird man erleichtert seine Fahrt fortsetzen können. Was ist aber, wenn dabei etwas passiert? Besteht dann eventuell eine Mithaftung oder bekommt man seinen Schaden gar nicht ersetzt? Eine gute und berechtigte Frage, da diese Fälle immer wieder außergerichtliche aber auch gerichtliche Streitigkeiten mit sich bringen.

Ist eine Verkehrslage nach § 5 Absatz 3 Nummer 1 der Straßenverkehrsordnung unklar, dann darf man nicht überholen. Macht man dies aber doch, trifft einem eine Haftung bzw. Mithaftung.

Einen interessanten Fall hatte das Oberlandesgericht München (Urteil vom 24. Februar 2017, Aktenzeichen 10 U 4448/16) als zweite Instanz zu entscheiden: Ein Verkehrsteilnehmer hatte versucht eine Kolonne zu überholen und ein anderer, vor ihm fahrender Kolonnenfahrer kollidierte mit ihm bei dem gleichen Versuch.

Grundsätzlich stellt das Überholen einer Kolonne noch keinen Fall des Überholens bei unklarer Verkehrslage dar. Wenn die überholenden Fahrzeuge allerdings langsamer werden und nach links blinken oder aber die Kolonne nur 25 km/h fährt und ein Überholen durch eine durchgezogene Linie verboten ist, haftet man grundsätzlich und bekommt zumindest eine Teilschuld. In einem solchen Fall verhält man sich nämlich nicht wie ein Idealfahrer, den keine Haftung trifft.

Das Oberlandesgericht München hielt eine Haftung von 80 zu 20 zu Lasten des vorausfahrenden Überholers für angemessen. Dieser hatte sich nämlich nicht ordnungsgemäß durch eine doppelte Rückschau vergewissert, dass er beim Überholen eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausschließen kann. Die Pkw-‚Fahrerin hatte eingeräumt, den überholenden Verkehrsteilnehmer wahrgenommen zu haben. Sie wollte aber noch unter Verkennung der Umstände schnell vor dem bereits Überholenden links ausscheren, um ihrerseits das erste Fahrzeug der Kolonne zu überholen.

Grundsätzlich sind diese Fälle immer schwer zu entscheiden. Es muss immer geguckt werden, wie sich ein Idealfahrer verhalten hätte.

Ein Idealfahrer schließt sicherlich eine Eigen- und Fremdgefährdung immer aus. Auch wenn es grundsätzlich nicht verboten ist eine Kolonne zu überholen, würde der Idealfahrer ein Kolonnenspringen unterlassen. Schließlich ist das Risiko, dass irgendjemand aus der Kolonne nach links ausschert zu groß. Wartet man hingegen ab, bis man unmittelbar hinter dem langsamen Fahrzeug ist und überholt dann, wird man sich wie ein Idealfahrer verhalten und kein Risiko eingehen, auf dem Schaden sitzenzubleiben.

Ich kann von diesen Aktionen des Kolonnenspringens nur abraten. Meistens geht es schief und als Motorradfahrer ist das Risiko einer schweren Verletzung sehr groß. Der Straßenverkehr bringt es nun einmal unerlässlich mit sich, dass man auch mal Geduld haben muss.