aus Kradblatt 7/17
von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
Telefon 0421 / 696 44 880 – www.janschweers.de

Verkehrsunfälle mit Minderjährigen

Besonders jetzt, wo es wieder wärmer ist, sind natürlich viele von euch mit dem Motorrad unterwegs. Auch Kinder und Jugendliche nutzen die längeren Tage, um draußen zu spielen, Fahrrad zu fahren oder Freunde zu treffen. So steigt das Risiko von Verkehrsunfällen mit Minderjährigen gerade in dieser Zeit des Jahres um ein Vielfaches. Betroffene fragen sich: Ist der Motorradfahrer immer Schuld, wenn’s kracht? Hätte der Minderjährige nicht besser aufpassen müssen?

Auf diese Fragen haben Juristen meist eine Standard-Antwort, nämlich: „Es kommt darauf an.“ Doch das Oberlandesgericht Stuttgart (Urteil vom 09.03.2017, Az. 13 U 143/16), hat sich mit dieser Thematik ausführlich auseinandergesetzt und kam in diesem Fall zu folgendem Ergebnis: Die Betriebsgefahr des Motorrades tritt im Regelfall nicht hinter das Verschulden Jugendlicher zurück.

Dieses Urteil ist erfreulich und lässt Fahrzeugführer etwas aufatmen. Denn nicht immer trifft sie das alleinige Ver­schulden am Unfall. Es kann nicht pauschal festgestellt werden, dass der Motorradfahrer wegen der Betriebsgefahr seines Motorrades jederzeit hafte und der Minderjährige schützenswerter sei. Der Schutz des Jugendlichen geht nicht immer so weit, dass er „unverschuldet“ aus dem Unfall herauskommt.

Der Gesetzgeber unterteilt bei Unfällen mit Personen bis 18 Jahren in 3 Fallgruppen. Kinder bis 7 Jahren haften grundsätzlich für Schäden im Straßenverkehr nicht; gleiches gilt für Kinder im Alter von 7 Jahren (vollendet) bis 10 Jahren, es sei denn, sie haben die Verletzungen vorsätzlich herbeigeführt. Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Mit anderen Worten: Hatte der Minderjährige die erforderliche Einsicht, wird eine Haftungsabwägung stattfinden, so dass auch er zur Verantwortung gezogen wird.

In dem vor dem OLG Stuttgart verhandelten Fall, stieß die zum Unfallzeitpunkt ca. 12 Jahre und 7 Monate alte Klägerin beim Überqueren einer Straße hinter einem Reisebus mit einem Motorrad zusammen. Sie hatte vor dem Überqueren noch versucht am Bus vorbei nach den auf der Straße fahrenden Fahrzeugen zu schauen (vor Gericht konnte sie sich aber nicht mehr erinnern, ob sie an dem Bus vorbeischauen konnte). Anschließend rannte die 12-Jährige auf die Straße.

So stellte sich die Frage, ob eine 12-Jährige, die erforderliche Einsichtsfähigkeit hatte, um ihr Handeln und die Folgen ihres Handelns abschätzen zu können.

Dem Motorradfahrer hingegen konnte ein Verschulden nicht nachgewiesen werden, allerdings war eine überhöhte Geschwindigkeit nicht ausgeschlossen, so dass das OLG hier eine einfache Betriebsgefahr des Motorrades (Geschwindigkeit ca. 40 km/h) annahm. Das OLG Stuttgart gelangte dann unter Abwägung der zum Unfallzeitpunkt bestehenden Umstände (Rückkehr von einem langen Ausflugstag, späte Uhrzeit, auf anderer Straßenseite wartende Mutter) zu einem Mitverschulden der 12-jährigen Klägerin von 2/3. Eine vollständige Kürzung des Anspruchs wegen Mitverschuldens sei bei Jugendlichen über 10 und unter 18 Jahren nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, so das Gericht. Ein Fehlverhalten im Straßenverkehr könne insbesondere bei jüngeren Jugendlichen weniger schwer ins Gewicht fallen, als bei einem Erwachsenen. Demgegenüber habe sich der Motorradfahrer gemäß  §  3 Abs. 2a StVO bei Kindern – also bis 14 Jahre – besonders aufmerksam und bremsbereit zu halten, wogegen der Motorradfahrer nicht nachweislich verstoßen habe. Aus diesem Grunde ist die Haftungsverteilung 1/3 zu 2/3 zulasten der 12-Jährigen angemessen, urteilte das Gericht.

Natürlich ist jeder Fall individuell und kann von der Haftungsverteilung her auch dementsprechend anders ausgehen. So ist nicht immer gesagt, dass die Betriebsgefahr des Motorrades derart weit (lediglich einfache Betriebsgefahr) hinter das Verschulden des jungen Jugendlichen zurücktritt, wie im Fall vor dem OLG Stuttgart. Und umgekehrt: Nicht immer tritt das Verschulden des Minderjährigen so weit in den Vordergrund.

Grundsätzlich gilt damit, dass von beiden Seiten eine ständige Rücksicht im Straßenverkehr gefordert wird. So sollte sich insbesondere ein Jugendlicher nicht darauf verlassen, dass das heranfahrende Fahrzeug ihn schon sehen und bremsen werde. Hier sind die Erziehungsberechtigten gefordert, die eine große Aufklärungsarbeit leisten und ihre Kinder vor den im Straßenverkehr drohenden Gefahren immer wieder aufklären sollten. Gleichzeitig sollten sich Fahrzeugführer nicht darauf verlassen, dass der Jugendliche am Straßenrand schon stehen bleibt, weil er bspw. relativ „erwachsen“ wirkt.

Nur, wenn die ständige Rücksicht von beiden Seiten ernst genommen und beachtet wird, werden sich die Unfälle im Straßenverkehr mit Minderjährigen reduzieren. In diesem Sinne: Eine gute Fahrt mit ständiger Rücksicht!