aus bma 10/12
von Michael Schories

Race 61 2012„Und wer hat jetzt gewonnen?“… Ich sehe Kumpel Mario ungläubig an. Diese Frage, wer, was, in welcher Klasse gewonnen hat, ist so ziemlich das Unwich­tigste, was uns heute interessieren sollte.

Wir befinden uns in der Nähe von Niederfinow, etwa 50 Kilometer östlich von Berlin. Hier hat eine Schar von völlig verrückten Motorenfreaks Anfang Juli das Gelände eines alten russischen Militärflughafens gemietet, um mit herrlichen Alteisen (zwei- und vierrädriger Art) schnellstmöglich die Viertelmeile zu absolvieren. „Race 61“ nennt sich die Veranstaltung rund um Motoren, Musik und Lifestyle der 50er/60er Jahre.

Die Fahrt zu diesem Spektakel dauert selbst für Kieler, wie uns, mit Pausen höchstens vier Stunden und selbst Sonntagsfahrer unter den Bikern sollten die ca. 400 Kilometer auf einer Arschbacke absitzen können. Wer viel Zeit hat kann natürlich auch über Landstraßen hierher fahren, die ehemalige Transitstrecke B5 über die Elbe, Ludwigslust usw. bietet hervorragende Naturerlebnisse und Alleen vom Feinsten. Wir aber sind auf schnellstem Weg hierher gefahren, schon 400 Kilometer vor dem Ziel den Geruch von qualmenden Reifen und den Sound von Rockabilly in uns spürend…

Race 61 2012Bei der Ankunft wird man von netten (und schweinegutaussehenden!) Ordnerinnen begrüßt, zahlt für die dreitägige Party einen lachhaften Obolus von 40 Euro und stellt irgendwo sein Fahrzeug ab und direkt daneben sein Zelt auf. Dann geht’s zum nächsten Bierstand (echt moderate Preise) und mit dem Becher über den Platz. Und jetzt beginnt die Welt endgültig aus den Fugen zu geraten. An jeder Ecke Oldtimer, Youngtimer, TÜV-unkonforme Umbauten, Zweitaktqualm, V8-Geblubber, röhrende Einzylinder, stampfende V2, aufgemotzte 25 ccm Mofas, detailgetreu aufgebaute Engländer, herrlich verkommene (Rat-) Ostbikes usw. usw.

Man kann keine 10 Meter gehen, ohne den Fotoapparat zu zücken oder mit den jeweiligen Besitzern und Fahrern ins Benzinquatschen zu kommen. Ständig kniet man nieder, mal vor den Ingenieursleistungen der 20er Jahre, dann vor dem Mut und der Umbauwut eines AWO-Fahrers. Es ist deutlich zu spüren: Man ist unter Gleichgesinnten. Es gibt keinen Standesdünkel, die original aufgebaute Indian von 1929 trifft auf den Ducati-Umbau aus den 90ern, die 25er Kreidler auf den Hotrod mit 8 Litern Hubraum, der Typ mit gegelter Elvis-Tolle auf den Turbojugend-Anhänger, das 16-jährige Starter-Girl auf den Althippie… Lockerer kann die Stimmung nicht sein. Am Freitag bei der technischen Abnahme und Klassifizierung der Fahrzeuge stehen wir einfach nur am Rand und lassen regelmäßig unsere Augäpfel aus den Halterungen plumpsen. Normalerweise hätte ich meine Schlüpfer alle 30 Minuten wechseln müssen… Daneben gibt es ein Soundgewitter vom Feinsten… und ich dachte bisher, meine Voxan Cafe Racer mit Sebring-Racing sei klangtechnisch schon das Größte.

Race 61 2012Nachdem wir uns vorerst sattgesehen haben genießen wir zum Abschluss des Tages noch Livemusik einiger Rockabilly Bands aus Berlin und Umgebung. Okay, ich habe schon besseres gehört, aber die heutigen Eindrücke allein im Fahrerlager und auf den Parkplätzen konnten sowieso nicht getoppt werden, nicht einmal von Sängerinnen in Petticoat und 2 Meter hohen „Bassgitarren“.

Uih, wurde gestern Abend wohl doch etwas länger. Mit verquollenen Augen und „Kurvenschuhen“ bewege ich mich nächstentags zu den Klos. Anschließend steht „Verdünnen“ auf dem Programm, heißt: Selter ohne Ende trinken, Äpfel und Lauchsalat essen, Entspannungsmusik von Enya auf der Massageliege hören… Nee ne, das habt Ihr jetzt nicht wirklich geglaubt, oder? Nach dem Zähneputzen geht es wieder auf die bekannte Runde, schau’n wir mal wer über Nacht noch dazu gekommen ist. Neben meinem Zelt hat sich ein Hannoveraner mit einer Honda CB 750 aus deren Anfangszeiten niedergelassen, daneben stehen einige Polen mit Ural und Horex, ein paar Mecklenburger machen erste Reifenaufwärmungen mit einer uralten Harley… Guten Morgen Micha! Kann ein Sonnabend schöner beginnen? 

Race 61 2012Wir bewegen uns kurz in den Ort (8 Minuten Fahrzeit) um unsere Essens- und Getränkevorräte aufzufüllen. In der Kaufhalle werden wir natürlich sofort gefragt, ob wir auch bei „DEM Rennen“ sind. Nach unserer Bejahung bekommen wir noch ein „Iceage-4“ Souvenir in die Hand gedrückt. Hä? Wir wollten doch nur Bockwurst und Bier? Okay, gastfreundlich ist die Gegend also auch noch. Mein Gott, irgendwas muss doch mal schief gehen. 

Nachmittags sehen wir dann die Qualifizierungsläufe in den verschiedenen Klassen, obwohl für uns die unterschiedlichen Klassen nicht wirklich erkennbar sind. Da fährt ein Fahrrad mit Hilfsmotor gegen einen englischen Einzylinder mit geschätztem 10fachen Hub­raum­ usw. Aber: siehe oben: Das ist doch sowas von nebensächlich. Allein der Auftritt der Startergirls (der Veranstalter startet einige Wochen vor dem Race 61 ein „Casting“) ist den Besuch der Veranstaltung wert. Meine „Canon“ kommt nicht zur Ruhe, unbeschreiblich, welche Raritäten und Exoten hier gnadenlos über den Parcours gescheucht werden. Wer als Motorenfreak nicht auf seine Kosten kommt hat selbst Schuld. Davon abgesehen gibt es noch die Möglichkeit in und vor den alten Hangars auf dem Gelände alte sowjetische Kampfflugzeuge, Militärtechnik usw. zu bestaunen… das ist in den 40 Euro Eintritt der 3 Tage inklusive. Wie geil! Gegebenenfalls kann man für ein kleines Entgelt auch noch einen Panzer oder 8-Rad-Tatra über eine abgesperrte Crossstrecke jagen… nun ist aber mal Schluss mit lustig!

Abends gibt’s wieder Livemusik, diesmal u.a. mit den Holländern von Peter-Pan-Speedrock sogar richtig gutes Rock ‘n Roll Material. Party on Wayne? Party on Garth! 

Und dann ist auch schon Sonntag und wir bemerken wo der Pferdefuß der gelungenen Veranstaltung liegt: Über Nacht hat es geregnet und jeder Weg nach „Draußen“ ist Schlammwüste! So wollt ihr uns also hier festhalten, ihr Kannibalen, ihr! Ihr Ossies, ihr! Ihr Preußen, ihr! Wir entdecken einen Waldweg der zur Hauptstraße führt und schaffen es wieder zurück nach Kiel. Aber warum noch mal wollten wir eigentlich aus dem Nirvana für Motorradfahrer fliehen? 

Mehr Infos gibt’s <hier>