aus bma 4/13
von Konstantin Winkler

Päpstlicher Feuerstuhl – Pope 1000 V2

Oldtimer Pope V2Zugegeben, die Überschrift ist etwas irreführend, denn auch der neue Papst Franziskus wird wohl kaum ein 2-rädriges Papamobil bekommen, doch der Name des Herstellers Pope (engl. = Papst) war einfach zu verlockend.

Amerikanische Oldtimer mit V2-Motoren kommen (meist) traditionsgemäß aus Milwaukee von Harley-Davidson oder aus Springfield von Indian. Aber auch in Westfield im Bundesstaat Massachusetts bewies man von 1911 bis 1918 auf eindrucksvolle Weise, dass man auch dort etwas von Motorrädern mit großen Einzelhubräumen versteht. Oberstleutnant Albert Augustus Pope einer der Pioniere des amerikanischen Transportwesens, importierte ab 1870 Fahrradteile aus England. Ab 1911 folgten dann Motorräder, zunächst mit konventionellem seitengesteuerten Einzylinder-Motor und Riemen­- ­antrieb.
Ein Jahr später wurde dann das erste Pope-Motorrad mit V-Motor vorgestellt. Der fast 100 Jahre alte V 2 – ein Bild von einem Triebwerk, und ein anschauliches in Sachen Triebwerk-Technik obendrein. Zwei Zylinder mit zusammen 1.000 Kubikzentimetern Hubraum umschließen Kolben, die auch in Dampfmaschinen stecken könnten. Während Harley-Davidson zur Zeit des 1. Weltkriegs noch wechselgesteuerte Motoren baute und Indian seitengesteuerte, glänzten Pope-Motorräder mit kopfgesteuerten Ventilen. Jeweils zwei freiliegende Stoßstangen betätigen die ungekapselten Ventile. Acht Pferdestärken reißen heute keinen mehr vom Stuhl. Dennoch können sie der Gipfel der Genüsse sein, wenn sie so herrlich wiehern wie bei einer Pope.

Pope V1 Schaltung und KupplungWer wissen will, wie sich diese lebende Legende fährt, muss erst einmal den Motor starten, was gar nicht so einfach ist. Es herrscht das Gesetz des Stärkeren: Mensch gegen Maschine. Wade gegen Kickstarter. Mit einem kräftigen Tritt auf selbigen bittet man die beiden Kolben zur Arbeit. Die Pope schüttelt sich und spuckt bläuliche Rauchwolken. Sie nimmt sich Zeit, bis ein sonores Auspuffgeräusch volle Einsatzbereitschaft signalisiert. Dass Oldtimer hin und wieder ihre kleinen Macken haben, zeigt sich besonders nach längerer Standzeit. Der kernige Sound wird immer wieder durch Fehlzündungen unterbrochen. Ein dumpf und grollend klingender Motor, der die glorreichen 1910er Jahre akustisch wieder aufleben lässt, entschädigt für alle Mühen.
An diesem Motorrad gibt es vieles, was genauso wie vor vielen Jahrzehnten fasziniert. Selbst dem Betrachter mit Grundkenntnissen des prähistorischen Fahr­zeugbaus erschließt sich nicht sofort, was an Pumpen und Hebeln aus der Frühzeit der Motorisierung koordiniert werden muss. Fangen wir mit den Pumpen an. Noch wichtiger als Benzin ist Öl für den Motor. Unter dem Sattel sitzt der Vorratsbehälter für das dickflüssige 50er Einbereichsöl. Auf der linken Seite befindet sich eine Handpumpe, um dem Motor eine zusätzliche Injektion zu verpassen. Einer kurzzeitigen gewaltigen Rauchwolke verbrannten Öls steht eine gute Schmierung bei stärkerer Belastung gegenüber. Der Motor hat Verlustschmierung. Das heißt, dass das Öl, was vom Vorratsbehälter zu den Schmierstellen gelangt, nicht wieder zurückgeführt wird. Was im Motorgehäuse zuviel ist, wird verbrannt oder unverbrannt in die Umwelt entlassen. Das war vor rund 100 Jahren Stand der Technik!

Pope V2 Blattfeder vorneMittig zwischen den Zylindern wird zündfähiges Benzin-Luft-Gemisch von einem Ringschwimmer-Vergaser zubereitet. Und für zuverlässige Zündfunken sorgt ein Magnetzünder, der hinter den Zylindern sitzt. Wie bei Harley und Indian werden Gas und Zündverstellung nicht mit Hebeln am Lenker reguliert, sondern mit Drehgriffen.

Der V 2 läuft mit einem irren Sound und Vibrationen fast an der Grenze zur Selbstzerstörung. Wäre es ein japanisches Motorrad, hätte ich das Wort „Hara­kiri“ gewählt.
Vom Motor führt eine Kette, gut gekapselt, zum dahinter liegenden Getriebe. Ab 1914 hatten die Twins von Pope wahlweise einen oder zwei Gänge, ab 1916 deren drei. Zwei lange Hebel finden wir links am Tank. Einen für die Schaltung, einen für die Kupplung. Zusätzlich zur Fußkupplung. Der Schalthebel hat eine offene Kulisse. Der erste Gang wird nur zum Anfahren benötigt und rastet mit einem mechanischen Krachen ein. Die zusammenrasselnden Zahnräder lassen Schlimmes für die Schaltverzahnung erahnen. Solange das Getriebeöl noch kalt ist, warten die drei Gänge noch mit einem gewissen Widerstand auf. Ist jedoch die Betriebstemperatur erreicht, gleitet der wuchtige Schalthebel leicht und exakt durch die Kulisse. Die fast schleifpunktlose Kupplung – eine Mehrscheiben-Trockenkupplung – rückt ein und die Pope hoppelt los. Man befürchtet, den Motor abgewürgt zu haben, doch er stampft aus gefühlt zweistelliger Drehzahl wie ein Brauereipferd los. Nach dem Gangwechsel macht der Oldie durch die Urgewalt des plötzlich antretenden Motors einen Satz nach vorne, ungezügelter Geschwindigkeitsrausch bei Tempo 60! Und die Lenkung ist kaum noch in der Lage, mehr als eine grobe Fahrtrichtungsempfehlung abzugeben. Es bedarf Geschick und Übung, um einen sauberen Strich zu fahren.

Pope V2 HinterradfederungEine gefühlte Ewigkeit dauert es, um die Pope bis zum Stillstand zu verzögern. Man sollte nicht unbedingt vom Bremsen sprechen. Besser: Das Motorrad hört irgendwann auf zu fahren. Im Vergleich zu anderen Herstellern aus jener Epoche hatte die Pope eine fortschrittliche Bremsanlage: Eine Corbin-Duplex-Bremse.

Die innigste Verbindung von Fahrzeug und Fahrer besteht zwischen dem gut gefederten Ledersattel und des Bikers Gesäß. Das Nachfedern erinnert noch einige Sekunden lang daran, welcher Aufgabe er vor einigen Metern nach­ge­kommen ist. Das Vorderrad wird mittels einer Blattfeder mehr oder weniger gut gefedert. Indian führte diese Konstruktion ein, um die ungefederte Masse auf ein Minimum zu reduzieren. Über zwei kurze Zugarme ist die Vorderradgabel rechts und links mit dem Rad verbunden. Erschütterungen werden so über zwei Stangen auf das Ende einer Blattfeder übertragen, die am Lenkkopf endet.

Pope V2 MotorWährend bei Harley das Hinterrad zu jener Zeit gar nicht gefedert war, und die Indian Powerplus zwei Blattfedern hatte, bot Pope eine geradezu revolutionäre Hinterradfederung: Mit jeweils einer Kolbenfeder war die Radaufhängung ausgestattet. So wie die in den 50er Jahren übliche Geradewegfederung, nur viel wuchtiger im Erscheinungsbild.
Wenig revolutionär dagegen die Beleuchtung. Es fehlt an ordentlichem Licht und erst recht an guter Seitenrandausleuchtung. Um den Scheinwerfer zu erhellen, benötigt man eine chemische Substanz, die sich Calciumcarbid nennt, Wasser und Streichhölzer.

Nur 7 Jahre lang – bis 1918 – baute Pope Motorräder. Im letzten Jahr beschränkte sich die Modellpalette auf nur zwei Typen. Neben dem hier vorgestellten Fotomodell, das übrigens freundlicherweise vom Motorradmuseum im dänischen Stubbekobing zur Verfügung gestellt wurde, gab es noch eine kopfgesteuerte 500er Einzylinder. Viele Pope-Motorräder gibt es nicht mehr. Und noch weniger, die fahrbereit sind und die Straßen mit ihrer Verbrennungsmusik beschallen. Heute sind sie gesuchte Sammlerstücke. Doch leider verkommen fast alle nur zur bloßen Wertanlage, fristen ihr Dasein in irgendwelchen Sammlungen und stehen sich die Wulstreifen platt. Man muss kein Snob (oder Papst) sein, um eine Pope zu fahren. Aber sehr viel Geld haben: Unter 50.000 Euro ist keine zu bekommen. Preissteigerung inbegriffen. Und so werden nur sehr wenige ihre fahren. Was schade ist, denn genau dafür ist sie mal gebaut worden.