aus Kradblatt 6/16 von: Matthias Schlich

Zurück in die 60er, Orcal Astor Café 125

Orcal Astor Cafe 125 linksAls älter werdender Motorradfahrer denke ich oftmals darüber nach, ob denn alles nur noch durch Höchstleistung definiert werden muss und stelle fest, dass dem nicht so ist. Denn auch mit gerade einmal 10 PS kann man mordsmäßig viel Spaß haben, aber schön der Reihe nach.

Da stehe ich nun vor der schlanken Orcal Astor und schaue mit das Gefährt mit Herkunft aus Frankreich ganz genau an. Mein Blick schweift vom gut geschweißten Edelstahlauspuff hinüber zur pfiffigen Tank Sitzbank­linie und bleibt am Old Style Scheinwerfer hängen. Ich habe den Eindruck, dass mir die Astor durch ihren lässigen Scheinwerfer etwas ins Ohr flüstert: „Hey Alter steig auf und chill mal wieder. Ich trage dich dorthin, wo die Welt am schönsten ist. Ohne Stress, aber mit viel Spaß“.

Orcal Astor Cafe 125 FrontEin Gefühl steigt in mir hoch, so eines welches ich vor ca. 30 Jahren hatte, als ich zum ersten Mal eine 80 ccm Maschine der Marke Honda erklommen habe. Als ich sitze muss ich feststellen, dass die Sitzbank meinem alten Hintern schon irgendwie schmeichelt, denn die ist wirklich sehr bequem. Dass der von Yamaha entwickelte 125 ccm Motor durch einen Vergaser befeuert wird ist mir schnuppe, hey willst du jetzt Old School oder einen weichgespülten Einspritzer fahren? Also den Choke Hebel umgelegt und starten, der kleine Motor erwacht sofort zum Leben und zaubert mir mit seinem grimmigen Einzylinder-Bollern ein Grinsen ins Gesicht.

Erster Gang rein und los, jetzt kommt das Gewicht der Astor ins Spiel, denn diese Maschine wiegt gerade einmal 128 Kilogramm und beschleunigt mit den 10 PS wirklich ordentlich. Mein Grinsen wird immer breiter, zumal die Gänge beim Schalten wie Butter durchs Getriebe flutschen und der Kupplungshebel erfreulich leicht zu betätigen ist. Auf zum Baldenysee zur Fotosession, die Blicke der Passanten am Straßenrand sind wirklich klasse, große Augen und hinterhergucken ist angesagt, die Astor wirkt halt wie ein Relikt aus vergangenen Tagen. Beim Beschleunigen steigt die Tachonadel ruckzuck im schön gemachten Instrument in Richtung 110 km/h, das ist mal flott und reicht für die Landstraße allemal aus.

Orcal Astor Cafe 125 rechtsMan sitzt locker und gerade auf der Astor, der schön geschwungene Alu­lenker verspricht, in Verbindung mit den tief angebrachten Fußrasten, Entspannung pur. Dies lädt zu langen Etappen ein. Mit meinen 184 cm finde ich genügend Platz auf der possierlich wirkenden Astor, mit einer Sitzhöhe von nur 780 mm haben allerdings auch kleinere Menschen festen Stand unter ihren Füßen und somit alles bestens unter Kontrolle.

Die Bedienung der Astor fällt erfreulich einfach aus, alles befindet sich an seinem Platz, wo es auch hingehört, so macht die Astor wirklich höllisch viel Spaß. Das Fahrwerk der Kleinen arbeitet erstaunlich gut und steckt so manche harte Bodenwelle lässig weg, die Kurvenlage und die Rückmeldung der Reifen sind ebenfalls gut, nicht sportlich aber flott, „so muss dat“ sagen wir bei uns. Nichts an der Maschine klappert oder rappelt während der Fahrt, so etwas vermittelt dem Fahrer eine hohe Qualität der Retro Maschine. Die Gabel und die beiden hinteren Federbeine arbeiten, wie gerade angesprochen sehr verlässlich, die Gabel lässt sich nicht justieren, dafür aber die hinteren Federbeine, die Druckstufe lässt sich links wie rechts schnell und einfach verändern.

Orcal Astor Cafe 125 CockpitDie Astor bringt vorne wie hinten Scheibenbremsanlagen mit, so etwas ist neuester Stand der Technik und grenzt sich von anderen Café Racern in dieser Fahrzeugklasse ab. Zukünftig kann die Astor also mit einem ABS ausgestattet werden. Der Druckpunkt der vorderen Bremse ist mittelhart, die Verzögerungswerte sind schon bei leichter Betätigung hervorragend, auch dies vermittelt ein sehr gutes Gefühl. Die Bremse hinten verlangt kein gut trainiertes Fußballerbein, sondern lässt sich ebenfalls fein dosieren.

Das Spritfass der Kleinen fasst gut 16 Liter, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Astor eine theo­retische Reichweite von über 400 Kilometern verspricht, passt gut zur entspannten Sitzposition. Sollte der Tankinhalt einmal zur Neige gehen zeigt eine Kontrollleuchte im Instrument an, dass noch ca. 4 Liter Sprit im Reservoir übrig sind und man bald tanken sollte. Eine Tankuhr gibt es nicht, dafür aber einen Benzinhahn, der im Moment der leuchtenden Kontrollleuchte auf Reserve umgeschaltet werden sollte.

Orcal Astor Cafe 125 AuspuffNach der Fahrt setzte ich mich noch ein wenig neben die Astor und nehme sie in den Arm, schon lange habe ich nicht mehr so viel Spaß mit so wenig PS gehabt, die Orcal ist ein echter Kumpel zum Liebhaben. Meine Blicke gehen noch einmal rund um das Motorrad und ich muss feststellen, dass die Astor einwandfrei verarbeitet ist, kein Café Racer von der Stange, sondern so richtig gut gemacht. Da stimmt jedes Detail, die Alu-Speichenräder, der Rohrrahmen, der Tank, die tollen analogen Instru­mente und einfach auch der gesamte Rest. Einen kleinen Mangel habe ich jedoch gefunden, wer die Schuhgröße 45+ hat sollte ein wenig mit dem Auspuffrohr aufpassen, denn sonst schmilzt euer Absatz hinten am Auspuff an. Chapeau nach Frankreich meine Freunde, ein wirklich tolles Motorrad zum Schnapper Preis.

Kurzbeschreibung:

  • Orcal Astor Cafe 125 MotorMarke: Orcal
  • Modell: Astor Café 125
  • Motor: 124 cm3 / 4-Takt, Einzylinder, luftgekühlt (Yamaha)
  • Bohrung: 54 mm x 54 mm Hub SOHC, 2 Ventile
  • Vergaser: 25 mm (made in Japan),
  • Getriebe: 5-Gang
  • Starter: Elektrostarter und Kickstarter,
  • Antrieb: Kette
  • Höchstgeschwindigkeit: 104 km/h real (115 km/h) bei 9500 U/min
  • Leistung in kW / PS: 7,1 kW / 10 PS bei 8500 U/min
  • Drehmoment: 9,5 Nm bei 6500 U/min,
  • Rahmen: Stahlrohrrahmen
  • Radaufhängung vorne: Hydraulikgabel 37 mm mit Faltenbalge als Steinschlagschutz
  • Radaufhängung hinten: Stahlschwinge mit 2 Stoßdämpfern, Druckstufe einstellbar
  • Bremse vorne: Hydraulische Scheibenbremsanlage 300 mm / 2-Kolben-Schwimmsattel
  • Bremse hinten: Hydraulische Scheibenbremsanlage 210 mm / Einkolben-Schwimmsattel, Felgen: Aluminium mit Edelstahlspeichen
  • Reifengröße vorne: 110/70 x 17 (mit Schlauch), Reifengröße hinten: 130/60 x 17 (mit Schlauch)
  • Sitzhöhe: 780 mm, Tankinhalt: 16 Liter
  • Leergewicht: 128 Kilogramm, Zuladung: 150 Kilogramm
  • Fahrzeugpreis: 2.490 Euro (Stand 6/2016)