aus bma 02/06

Text & Fotos: Frank Sachau

Wo sich die Grenzen Italiens, Österreichs und der Schweiz berühren, treffen Mittelalter und Neuzeit, Berge und Seen, Kulturen und Mentalitäten aufeinander. Es gilt, die Ötztaler Alpen mit ihren Höhepunkten, Pässen, Nebenstrecken und Stichtälern zu entdecken. Aber das hat seinen Preis: Mehrmals darf der Motorradreisende die Brieftasche zücken, um sich die Weiterfahrt zu erkaufen. Doch dann heißt es Gas geben und jede Menge Gaudi haben!

Am Timmelsjoch Für eine Runde um die Ötztaler Alpen sind wir mit dem ersten Hahnenschrei aufgestanden. Nach einem kräftigen Frühstück schieben wir die Kräder aus der Hotelgarage und nutzen die Morgenkühle und die verkehrsarmen Straßen für den Weg zur „Ötztal-Arena”. Das mit 60 Kilometern längste und eindrucksvollste Seitental des Inn findet im Tiroler Ort Sautens mit 800 Höhenmetern seinen Anfang. Gletscher formten vor langer Zeit Stufen im Gelände, über die wir langsam an Höhe gewinnen und immer tiefer in das Herz der Ötztaler und Stubaier Alpen eindringen. Steile Bergflanken bedrängen das Tal derart, daß an manchen Engstellen gerade noch Platz bleibt für Straße und Ötztaler Ache, deren gewaltige Wassermassen schäumend den Weg zum Inn suchen.
Bisher blieben wir stur auf der stark befahrenen Bundesstraße. In Oetz stellte uns die lockende Auffahrt zum Kühtai-Sattel auf die Probe, auch die anspruchsvollen Strecken in die Nebentäler bei Umhausen und Längenfeld ließen uns nicht schwach werden. Doch unsere Enthaltsamkeit hat auch mal ein Ende.
Am südlichen Ortsrand von Sölden, der Talmetropole, wo sich die Ski- und Snowboard-Schickeria trifft, wollen wir hoch hinaus: Auf der mautpflichtigen Gletscherstraße (5 Euro pro Person) schwingen wir steil hinauf ins Ganzjahresskigebiet am Rettenbach- und Tiefenbachferner, werbewirksam vermarktet als „Ötztal Arena”. Die in den Monaten Mai bis Oktober geöffnete Panoramastrecke ist mit perfekten Kehren gespickt und bietet am Parkplatz Pitztaler Jöchl den Höhenrausch – mit 2803 Metern der höchste anfahrbare Punkt in den Ostalpen!
Ein weiteres Extrem findet sich auf dem Weg zum benachbarten Tiefenbachferner: Die Stichstraße führt durch den höchsten Straßentunnel der gesamten Alpen. Bei all diesen Superlativen steht uns der Sinn nach etwas Bodenständigem.

 

Aus der Höhe zurück, biegen wir in Zwieselstein ab in die Bergsteigerhochburg Venter Tal, wo weniger los ist, aber die Natur nicht weniger schön. Einst wurde hier der Schwarzweißklassiker „Geierwalli” gedreht. Anschließend besuchen wir im Anstieg zur Paßhöhe das Gurgltal, mit den an der berühmten Timmelsjochstraße liegenden Orten Unter-, Ober- und Hochgurgl.
Und wieder halten wir an einer Mautstation. Ich spüre die Blicke der genervten Autofahrer auf meinem Rücken. Handschuhe aus, Geldbörse ertasten, 6,50 Euro zahlen, Quittung, Wechselgeld und weiteren Aufkleber in den Tankrucksack, Handschuhe an und los! Die nur in den Monaten Juni bis Oktober befahrbare Strecke hin-über nach Südtirol führt anfangs durch das Timmelstal, bis uns mehrere Spitzkehren hinauf zur Scheitelhöhe katapultieren. Dabei passieren wir das Windeck, wo es tatsächlich kräftig bläst, und die Timmelsbachbrücke, unter der Schmelzwasser lautstark ins Tal rauscht. Das Joch (2509 m) gilt als Österreichs jüngster Paß, erst im September 1965 wurde durch eine letzte Sprengung die Verbindung mit dem italienischen Passeiertal hergestellt.
Piller HöheKaum haben wir die Staatsgrenze nach Italien überfahren, trifft uns die lockere mediterrane Lebensart mitten ins Gesicht: Ein Schild warnt vor Eis in den unbeleuchteten Tunneln. Mit gesträubten Nackenhaaren und leichter Gänsehaut schlittern wir durch die beklemmenden Röhren. Die Südtiroler Rampe des „Passo di Rombo”, wie das Timmelsjoch auf dieser Seite heißt, verwöhnt uns mit Bögen jeglicher Güteklasse – Serpentinensinfonien oder heimtückische Haarnadel- kurven. Das steil abfallende Teerband ist löchrig, schmal und respekteinflößend. Die baumlosen Höhen geizen nicht mit wunderschönen Panoramen, bis wir an der Passerbach-Brücke in den dunklen Wald eindringen.
Mit St. Leonhard im Passeiertal erreichen wir die Heimat des im Jahre 1810 hingerichteten Tiroler Nationalhelden Andreas Hofer. Wenig später ist die Gashand zu zügeln, wir nähern uns den Touristenhochburgen Dorf Tirol und Meran, wo täglich Straßenkämpfe der besonderen Art toben. Ältere Verkehrsteilnehmer in gepflegten Oberklasselimousinen mit dem D-Aufkleber am Heck, völlig aufgelöst durch die Hitze und die mangelhafte Verkehrsausschilderung, verstopfen sämtliche Kreuzungen der Südtiroler Metropole.
Eine halbe Ewigkeit später erreichen wir die SS 38, die uns ins Vinschgau entführt. Diese fruchtbare Region mit seinen ausgedehnten Obstplantagen und Weinhängen kennt sich mit Reisenden bestens aus. Auf der alten römischen Heerstraße „Via Claudia Augusta” marschierten zu Roms Glanzzeiten die Legionen, dann folgten Pilger und Händler. Heute pendeln Touristenströme zwischen Oberitalien und Süddeutschland.
Das Schnalstal (ital. Val di Senáles) winkt. Die ersten Meter werden zur Tortur: Ein pockennarbiger Straßenbelag läßt uns Rodeo reiten, Staubfahnen aus gigantischen Tunnelbaustellen rauben die Sicht, und überhängende Felsen berühren fast den Helm. Doch dann stellt sich urplötzlich Canyonfeeling ein. Das ursprünglichste aller Vinschgauer Seitentäler schneidet sich auf 24 Kilometern Länge tief in die Südhänge der Ötztaler Alpen. Dorthin werden jedes Jahr im Juni bis zu 3000 Schafe auf die Sommerweiden getrieben, und bleiben bis in den September dort.
Einen Halt wert ist das Kirchdorf „Unsere Frau” in Schnals, mit seinen malerischen, alten Holzhäusern. Nur fünf Kilometer entfernt, im ewigen Eis am Similaun, lag Jahrtausende unentdeckt die Leiche des „Ötzi”. In Kurzras, am Talende, ist es vorbei mit der viel gepriesenen Ursprünglichkeit – die umstrittene, moderne Betonarchitektur des Hoteldorfes läßt uns schnell ans Umdrehen denken. Nach der Abzweigung ins Pfossental lockt die steile, aber perfekt ausgebaute Stichstraße hinauf zum Katharinaberg. Auf einer Felsenkanzel, hoch über dem Talgrund, trohnt eine kleine weiße Kirche. Von hier aus bieten sich uns Fernblicke wie von einem Adlerhorst; imposante Quellwolken schrammen über die Gipfel der Südtiroler Berge.
Glurns mti Stadtmauer Zurück im Etschtal rauscht das zinnenbewehrte Kastelbell vorbei, das sich frech über die Staatsstraße 38 zu beugen scheint. Die nächsten 25 Kilometer raspeln wir anspruchslos ab, unterbrochen von erfrischenden, aber unfreiwilligen, Duschen aus den Beregnungsanlagen der Obst- und Weinbauern. Im Örtchen Spondinig heißt es aufpassen und abbiegen! Zusammen mit der Etsch, die am Reschenpaß entspringt, durchqueren wir Italiens kleinste Stadt – Glurns. Der mittelalterliche Ort ist nicht nur stolz auf Südtirols einzige, vollständig erhaltene Stadtbefestigung, sondern auch auf die malerischen Gassen und blumengeschmückten Fassaden. Später rollen wir durch das enge Laatsch in Richtung Mals – im Rückspiegel erscheint König Ortler mit seiner weißen Eismütze zum Greifen nahe. Links von uns taucht ein weißer Kirchenbau auf. Hoch über dem Tal thront das Kloster Marienberg, Jahrhunderte lang geistiges und kulturelles Zentrum des Obervinschgaus. Am nördlichen Ortsrand von Mals bummeln wir auf schmalem Teer hinauf in die Blumenwiesen bei Alsack, dann folgt eine romantische Walddurchfahrt bis Dörfl bei St. Valentin, wo uns der „Wohlgeruch” des örtlichen Misthaufens zurück in die Wirklichkeit der Staatsstraße 40 holt.
Zwischen Haiden- und Reschensee versteckt, liegt die Trasse über Rojen zum Reschenpaß. Und die hätte eine anständige Reinigung verdient: Der schlecht erhaltene, schmale Fahrweg ist übersät von Tannennadeln und Zapfen, bei Nässe eine scheußliche Rutschpartie. Mit der Vorfreude auf einen original italienischen Cappuccino im Gasthaus Schöneben tasten wir uns durch den dunklen Wald, über uns die Dreitausender der Sesvennagruppe. Doch wenige Kilometer später macht sich große Enttäuschung breit – das Gasthaus auf fast 2100 Metern Höhe bietet keine Aussicht auf die reizvolle Seenlandschaft und ist im Sommer geschlossen. Etwas gefrustet folgen wir dem Rojenbach hinunter zur Badebucht bei Pitz, heißgeliebt von Schwimmern und Surfern. Am nördlichen Ortsrand von Reschen befahren wir wieder den ausgelatschten Pfad der Transitstrecke.
Vor Jahren standen rund um die Grenzstation noch bunte Marktstände: Obst, Speck, Schinken, Würstl und Rotwein. Doch seit dem Wegfall der Paßkontrollen hält niemand mehr an, um Reiseproviant zu kaufen. Das blaue Italia-Schild mit dem gelben Sternenkranz fliegt vorüber. Die Reschenpaßhöhe bildet den Eingang in ein mit Blumenwiesen geschmücktes Hochtal, mittendrin liegt das österreichische Nauders. Jetzt müssen wir uns entscheiden, links reizt der Kurventanz über die Norberthöhe ins Schweizerische Unterengadin, geradeaus die Mitte des 19. Jahrhunderts angelegte „Ritter von Ghega-Trasse”.
Am Reschensee Am Vorabend haben wir nicht mehr getankt, in den Benzinfässern zwischen unseren Knien setzt die Ebbe ein. Da kommt das zollfreie Niemandsland zwischen Österreich und Eidgenossenschaft gerade recht. In Samnaun, dem Paradies der preiswerten Tabakwaren, Spirituosen und Treibstoffe füllen wir unsere Tanks randvoll. Und selbstverständlich wandert auch noch eine Flasche Obstler in den Koffer.
Die gut ausgebaute, aber stinklangweilige B 180 schleust uns durchs Oberinntal bis zur Abzweigung der Kaunertaler Gletscherstraße. In Feichten, dem Hauptort des Kaunertals, bittet die Mautstation zum Aderlaß. Zähneknirschend lege ich das Geld auf den Zahlteller, greife die Quittung und gebe Gas. Schon von weitem ist das Wahrzeichen des Tales, die vergletscherte Weißseespitze zu sehen. Parallel zum Faggenbach strebt die Straße bergauf, führt sechs Kilometer am Gepatschstausee entlang, um dann in einer wahren Keh-renorgie satte 800 Meter schier in die Höhe zu schießen. Das kleinste der drei Täler in den Ötztaler Alpen besitzt mit dem Gepatschferner nicht nur den längsten Eisriesen der Ostalpen, sondern auch den quirligsten Tummelplatz für Skifahrer und Snowboarder.
Als wir nach einer ausgiebigen Kaffeepause am Pistenrand wieder auf die Maschinen steigen, fällt uns noch ein kleines Schild ins Auge: Wir stehen in 2750 Meter Höhe an Österreichs höchster Postbushaltestelle! Bis zu 18% Gefälle beschleunigen unsere Talfahrt. Hinter Kaltenbrunn und seiner Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt folgen wir der Ausschilderung „Wenns”. Die 17 Kilometer lange und anspruchsvolle Bergstrecke über die Piller Höhe ins Pitztal ist nicht nur eine lohnende Alternative, sondern ein absolutes Muß. Statt sich durch Landeck zu quälen, gibt’s hier als Draufgabe das Alpenpanorama am Gacher Blick. Wie ein Balkon hängt die Straße 700 Meter über dem oberen Inntal. Bei guter Fernsicht sind am Horizont die Berggipfel des unteren Engadins zu erkennen.
Doch schon wartet das nächste Highlight: Zwischen den sanften Hängen von Venet und Zeigerkamm eingebettet liegt Wenns, das Tor zum Pitztal. Bevor wir uns auf den 39 Kilometer langen Weg ins Herz der Ötztaler Alpen machen, statten wir dem Platzhaus am Hauptplatz einen Besuch ab. Das ganze Gebäude ist mit üppiger Renaissance-Malerei aus dem 16. Jahrhundert bedeckt und ein echter Hingucker. Doch hinter der Fassade sah es hier früher ganz anders aus – das Tal galt als Armenhaus Tirols! Lebensmittelknappheit und Arbeitslosigkeit führte zu Auswanderungen, und um über die Runden zu kommen, wurde in Heimarbeit Leinen- und Wollweberei betrieben. War der vordere Teil des Tales mild und weit, wirkt der hintere rau und eng, ja geradezu schluchtartig. Der Pitzbach ist unser ständiger Begleiter, bis wir in Mittelberg das Talende erreichen.
Für uns Motorradfahrer ist hier Schluß! Nur Skifahrer kommen weiter – denn die steigen in die eigens für sie gebaute Tunnelbahn, die sie hinauf zu den Ganzjahrespisten des Mittelberg-Ferner bringt. Um viele Kurvenerfahrungen und Alpeneindrücke reicher, aber auch um etliche Euro Maut ärmer, wenden wir die Maschinen, um das hoch über Jerzens liegende Hotel Panorama anzusteuern. Die kurvige und steile Auffahrt schenkt uns die letzten Kehren des Tages und beendet unsere Fahrt rund um die Ötztaler Alpen.

Übernachtung:
Hotel Panorama
Als Harley-Treiber und Wirt des Vier-Sterne Biker-Hotels Panorama bietet Sepp Reinstadler nicht nur einen perfekten Service, sondern auch geführte Touren, Hervorragendes aus Küche und Keller, sowie einen erholsamen Wellness-Bereich. Das Doppelzimmer mit Halbpension kostet rund 90 Euro.
Maria und Sepp Reinstadler
A-6474 Jerzens / Tirol
Tel. 0043/5414/87352
Fax 0043/5414/8751650
www.panorama-jerzens.com
E-Mail: info@panorama-jerzens.com

Allgemeines:
Die schöne Ötztal-Arena bietet anfahrbare Höhepunkte im ewigen Eis, das Südtiroler Vinschgau lockt mit seinen Obstwiesen und Weinbergen, und am Reschen, im Herz der Alpen, treffen sich Österreich, Italien und die Schweiz im bekannten „Dreiländereck”. Der perfekte Dreiklang aus Bergen, Seen und Alpenstraßen macht den Reiz dieser sehenswerten Region aus, die zum Durcheilen viel zu schade ist.

Anreise:
Damit schon die Anreise ein Erlebnis wird, die A 7 bei Pfronten verlassen, durchs Tannheimer Tal ins Lechtal, dort übers Hahntennjoch nach Imst und von dort nach Jerzens.

Reisezeit:
Mitte Juni bis Mitte Oktober. Ferien und Feiertage bescheren häufig starken Reiseverkehr mit überlasteten Straßen. Reizvoll, aber überlaufen präsentiert sich das Vinschgau während der Weinlese und der Obsternte.

Literatur:
Eduard Denzel, „Großer Alpenstraßenführer”, 21. Ausgabe. 560 Seiten, Farbbilder und Karten, Denzel- Verlag Innsbruck, ISBN 3-85047-763-0, 35 Euro.

„Südtirol” – HB Bildatlas Band 207. 120 Seiten, Farbfotos und Karten, ISBN 3-616-06108-3, 8,50 Euro.

„Tirol” – HB Bildatlas Band 174. 120 Seiten, Farbfotos und Karten, ISBN 3-616-06274-8, 8,50 Euro.

„Die schönsten Routen in Südtirol und im Trentino”. Zehn wunderschöne Tourenvorschläge mit Roadbook. Bruckmann Verlag München. 140 Seiten, Farbfotos und Karten. ISBN 3-7654-4057-4, 11,90 Euro.

„Lust auf Pässe” – Die 100 schönsten Pässe der Alpen. 200 Seiten, Farbfotos, Karten und Übernachtungstips. Highlights-Verlag,Harasim/Schempp. ISBN 3-933385-14-8, 16 Euro.

Karten:
Motorrad Powerkarten „Alpen”, Blatt 5. Good Vibrations Verlag, 6 Blätter einschließlich Tourerguide im Schuber, Maßstab 1 : 300.000, nahezu unkaputtbar, Preis 21 Euro. ISBN 3-932157-66-4. Die Karten sind im Buchhandel, im Motorradzubehörhandel oder unter www.tourershop.de
erhältlich.

Informationen:
Österreich Werbung,
Mannheimer Str. 15,
60329 Frankfurt
Tel.: 069 / 242425-24
Fax: 069 / 250741
www.austria-tourism.at

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