aus bma 04/08

von Konstantin Winkler

NSU 501 T Gespann (Bj. 1928) Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Diese Frage könnte man sich stellen, wenn Paul-Hubertus Winkler sein NSU 501 T-Gespann aus der Garage schiebt. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, denn beide sind Jahrgang 1928.
Die NSU-Werke in Neckarsulm bauten ab 1901 Motorräder, seit 1904 auch mit eigenen Motoren. Ab 1926 entstanden die großvolumigen Blockmotoren mit seitengesteuerten Ventilen. Nichts trübt den Eindruck grenzenloser Solidität, den der klar erkennbare Aufbau mit Kurbelgehäuse, Zylinder, Vergaser und Magnetzünder vermittelt.
Will man den Motor zum Leben erwecken, sollte man ordentlich Schwung holen und nur nicht zaghaft zutreten – der lange Hub erleichtert nicht gerade das Ankicken. Schließlich muss ein Kolbenarbeitsweg von fast 10 Zentimetern (exakt 99 mm) überwunden und eine riesige Schwungmasse in Bewegung gesetzt werden. Sollen die Knochen des rechten Fußes unversehrt bleiben, darf man auch nicht vergessen, die Zündung auf „spät” zu stellen. Nun heißt es, die Anlass-Grundstellung einzunehmen und beherzt den Kickstarter durchtreten. Vorher muss natürlich der Benzinhahn geöffnet, die Schwimmerkammer geflutet und Gas- sowie Lufthebel justiert werden. Es gibt zwei Möglichkeiten:
1. Der Motor springt an. Dann zählt der Bezwinger der Kompression von 494 ccm Hubraum zu den Glücklichen oder Erfahrenen. Dieser Fall ist recht selten.
2. Der Motor fällt nach kurzem Gezischel wieder in beharrliches Schweigen. Dieser Fall kommt häufiger vor.
Mehrfaches Wiederholen der Prozedur führt zu einer immer heftigeren, bis zum Ausstoßen unflätiger Verwünschungen eskalierenden Auseinandersetzung von Mensch und Maschine. Irgendwann erweist sich der Motor dann als der Klügere und gibt nach: Er springt an. Laut rasselnd nehmen die vielen Zahnräder im Primärantrieb ihre Arbeit auf. Der satte Auspuffschlag und das Beben im Maschinenraum sind stets präsent beim Spiel mit dem Drehmoment. Rauh läuft der langhubige 500er Eintopf, der auf einer breiten Klaviatur an Vibrationen stets in die Vollen greift.

 

NSU 501 T Gespann (Bj. 1928) Was den Umgang mit den Bedienungselementen betrifft: Viele gibt es nicht. Was vorhanden ist, erweist sich von schlichter Güte. Der Lufthebel bleibt vorerst geschlossen, der AMAG-Vergaser hat seine zwei fetten Minuten vor sich. Für den Gashebel erweist sich die Mittelstellung als moderat. Die Zündung wird auf den durch Erfahrung gewonnenen Wert zwischen „zu früh” und „zu spät’” justiert. Hat man auf dem bequemen Ledersattel Platz genommen, heißt es, gefühlvoll den ersten Gang einlegen. Wenn der Motor noch kalt ist, darf die rechte Hand nicht allzu lange mit dem Schalthebel nach dem ersten Gang suchen, denn sonst stellt das Triebwerk gleich wieder seine viertaktende Arbeit ein. Ein kurzer Gasstoß genügt aber schon, um die gewaltige Schwungmasse wieder auf Trab zu bringen. Drei Gänge wollen gesucht, gefunden und mit Nachdruck geschaltet werden. Es erfordert allerdings einige Übung, mit dem tief unten am Blockmotor gelegenen Handhebel der Kulissenschaltung den gewünschten Gang auf Anhieb zu finden.
Auch bei der Kupplung muss ordentlich zugelangt oder wahlweise zugetreten werden. Eine Trockenlamellen-Kupplung sorgt für eine allmähliche Kraftübertragung.
Tief aus dem Drehzahlkeller zieht der Motor lässig vorwärts. Richtige Lust am Treckerfahren stellt sich ein, wenn die Straße etwas steiler ansteigt und ganze Landstriche im letzten Gang durchkreuzt werden können, ohne zurück zuschalten. Die Lenkung arbeitet leicht, solange es geradeaus geht. In Kurven zeigt sich eine gewisse Gegenwehr, da kein Servoaggregat des Bikers Bizeps entlastet. Auf schlechten Straßen liegt die Lenkbarkeit des NSU-Gespannes mit dem Willen ihres Fahrers oftmals in Widerstreit. Das Vorderrad folgt dann den Grasbüscheln am Wegesrand lieber als den Vorgaben des Lenkers. Die Richtungsstabilität scheint vom Zufallsgenerator bestimmt. Und die beiden Halbnabenbremsen ziehen wie ein Rudel junger Hunde mal nach rechts und mal nach links. Einen Tacho gibt es auch. Er ist aber nicht unbedingt notwendig, denn der Eintopf tut durch seine „good vibrations” kund, wann das optimale Reisetempo von 65 km/h überschritten ist.
NSU 501 T Gespann (Bj. 1928) Eine seitengesteuerte NSU zu fahren, bedeutete in den späten 20er Jahren den Verzicht auf technische Extravaganz zu Gunsten der Zuverlässigkeit. Bei der Motorradfertigung legte man damals großen Wert auf einfache und verständliche Technik. Reparaturen am Straßenrand – vor allem Reifenpannen – gehörten schließlich noch zum Alltag. Und was nicht vorhanden ist, kann auch nicht kaputt gehen! Die NSU 501 T war so konstruiert, dass bei fast allen Reparaturen das Triebwerk im Rahmen bleiben konnte. Nicht nur die Kupplung und die Lichtmaschine (der gute, alte Bosch-Magnetzünder!), sondern auch das Getriebe, der Zylinder und sogar die Kurbelwelle konnten (theoretisch) unterwegs ausgebaut werden.
Ein weiteres Plus an Zuverlässigkeit bietet die Magnetzündung, die batterieunabhängig ist. Der Vorteil des Magnetzünders: Man kann auch ohne Batterie fahren. Und das sogar mit Licht, wenn die Lichtmaschine funktioniert. Allerdings ist die Lichtstärke von der Motordrehzahl abhängig, wobei man bei niedrigen Drehzahlen eher eine Positionsleuchte als einen Scheinwerfer hat. Das gleiche betrifft die Hupe, deren Tonlage proportional zur Kurbelwellenumdrehung steigt und fällt.
Nach einer längeren Fahrt mit dem NSU-Gespann entfällt auf jeden Fall der Gang ins Fitness-Center. Die Muskeln werden auch so ausreichend trainiert. Außerdem erhält man dort sowieso keine Trainingsstunde im „Fliegen-mit-den-Zähnen-fangen”. Das passiert nämlich regelmäßig, besonders wenn man stilecht mit Halbschalenhelm unterwegs ist.