aus bma 2/00

von Konstantin Winkler

NSU 251 OSL. Hinter dieser nüchternen Kombination aus sechs Buchstaben und drei Zahlen verbirgt sich eine lange Tradition. Bei NSU denkt man an die Max oder die legendären Quickly-Mopeds und die Autos Prinz sowie RO 80. Bei OSL denkt der Kraftfahrer allenfalls an den ostdeutschen Zulassungsbezirk „Oberspreewald-Lausitz”. Beides zusammen ergibt ein 250 Kubik-Motorrad, das sowohl vor dem Zweiten Weltkrieg als auch danach in modifizierter Form weitergebaut wurde. „O” steht für obengesteuert, „S” für sportlich und „L” für luxuriös.
1901 erschien die erste in Neckarsulm gebaute NSU. Sie ähnelte noch mehr einem Fahrrad als einem Motorrad. Vor und nach dem Ersten Weltkrieg gab es Einzylinder und V-Zweizylinder, teilweise sogar mit Hinterradfederung. Anfang der Dreißiger Jahre boomten dann die sogenannten „Brot- und Butter-Motorräder”, obwohl es da nicht allzuviel Brot und noch weniger Butter gab. Trotz Weltwirtschaftskrise schafften es die Neckarsulmer, mit neuen Modellen das Motorradgeschäft wieder zu beleben. Besonders die OSL-Modelle mit 198 ccm (noch mit freiliegenden Ventilen) und 248 ccm fanden viele Käufer.
Was die Japaner besonders gut können und auch immer wieder durchexerzieren, konnte NSU schon vor dem Zweiten Weltkrieg. Ich spreche jetzt nicht von leistungsstarken Rennmaschinen (die haben die Neckarsulmer tatsächlich auch mal gebaut), sondern vom Abkupfern und Vortäuschen falscher Tatsachen. Ein Tank, der statt Kraftstoff Kabelwirrwarr beherbergt, und ein Luftfiltergehäuse, das statt eines Filtereinsatzes mehr schlechtes als rechtes Bordwerkzeug zu bieten hat? Nein, so schlimm nun auch wieder nicht. Der Motor täuscht vor, eine Königswelle zu besitzen, so wie die alten englischen Maschinen. Statt dessen gehen in dem verchromten Rohr, was vom Motorgehäuse bis in den Zylinder ragt, zwei Stoßstangen auf und ab. „Ventilstößelrohr” deshalb auch die offizielle Bezeichnung. OHV statt OHC. Die Nockenwelle sitzt nämlich unten im Motorgehäuse und nicht oben im weit ausladenden Kopf.

 

Das Temperament hält sich in Grenzen. Gerade mal 10,5 PS leistet der Langhuber (64 mm Bohrung und 75 cm Hub). Mit entsprechendem Anlauf sind sogar 100 Sachen, sprich km/h, drin. Viel Schaltarbeit erfordert es aber nicht, schließlich stehen nur drei Gänge zur Verfügung.
Die Anhänger alter britischer und italienischer Marken haben mit der Fußschaltung die wenigsten Probleme; sie sitzt traditionell rechts. Von allen anderen verlangen die ersten Fahrstunden auf so einem rüstigen Alteisen einige Konzentration. Dafür macht die Schaltarbeit Spaß. Butterweich und völlig geräuschlos finden die gewünschten Zahnradkombinationen zueinander. Besonders, wenn man statt des vorgeschriebenen Fließfettes dickflüssiges 140er Getriebeöl einfüllt. Kein Vergleich zu BMW-Getrieben aus gleicher Epoche! Auch die Mehrscheibenkupplung mit ihren Korkbelägen läßt keine Wünsche offen. Ebenso wie der Hinterradantrieb. Beinahe so wartungsarm wie ein Kardan ist die Rollenkette. Dank des geschlossenen Kettenkastens dürfte ihre Lebensdauer ungefähr ewig und drei Tage betragen.
Für die Ewigkeit scheint auch der Motor gebaut. Alles wirkt massiv und wuchtig. Und wartungsfreundlich. Besonders das Einstellen der Ventile. Dank der Kipphebelkonstruktion ist es ein Kinderspiel. Am Zylinderkopf gibt es zwei Hebel mit Skaleneinteilung, die nach Lösen einer Mutter zur Zylindermitte hin geschwenkt werden, bis Widerstand spürbar wird. Das war’s – kein Vergleich zu einem modernen Tassenstößelmotor!
Etwas komplizierter ist es dann schon, den betagten Motor in Betrieb zu nehmen: Benzinhahn öffnen, Schwimmerkammer fluten, Lufthebel schließen, Gas etwas aufdrehen – aber nicht zu weit. Fast wie beim Zweitakter. Mit etwas Glück springt der Eintopf dann auf den ersten Kick an, ohne dem Fahrer durch Zurückschlagen (des Kickstarters) zu signalisieren, dass er etwas falsch gemacht hat. Auch beim Auspuff sieht und hört man, dass die schwäbische NSU britischer Motorradtradition folgt. Dumpf bollert es aus dem Fischschwanz-Topf. Welcher natürlich verchromt ist. Es gibt Dinge, die gehören unausweichlich zusammen. So wie der Papst und die katholische Kirche zusammengehören, gehören auch Chrom und Oldtimer zusammen. Die Sonne spiegelt sich in allen möglichen auf Hochglanz gebrachten Chromteilen wider. Und den Betrachter freut’s.
Steile Berge zwingen die NSU schon mal runter bis in den ersten Gang. Das dauert natürlich, bis man oben ist. Bergrunter und Kurven machen dagegen auch auf einem Oldtimer richtig Spaß. Doch Vorsicht beim Bremsen! Die Vorderradbremse steht auf ziemlich verlorenem Posten. Etwas unterdimensioniert ist die Halb-naben-„Dosendeckel”-Bremse. Sie hat reichlich Mühe, den Oldie seiner Dynamik zu berauben. Die hintere Trommelbremse verzögert da schon etwas wirkungsvoller. Schwächen zeigt die OSL auch in Sachen Fahrstabilität. Die Trapezgabel läßt ein sicheres, direktes Gefühl zur Fahrbahn vermissen.
Dank des Schwingsattels ist das Motorrad bequem wie ein Sofa. Nur wenn der Straßenzustand allzu miserabel ist, wirkt die alte Technik wie ein Katapult, und der Allerwerteste schwebt schon mal kurz über dem Sattel. Denn die nicht vorhandene Hinterradfederung, sprich Starrrahmen, begegnet sämtlichen Bodenunebenheiten mit Ignoranz.
Erfreulich niedrig sind die Unterhaltskosten. Besonders, wenn ein verständnisvoller TÜV-Prüfer die offiziellen 10,5 PS nach unten abrundet und versicherungsgünstige 10 PS in den Fahrzeugbrief einträgt.
Etwas über vier Liter Normalbenzin konsumiert die NSU auf 100 Kilometer. Beim Motoröl darf es 30er Einbereichsöl sein. Ein knapper viertel Liter muß pro 1000 Kilometer nachgeschenkt werden. Alle 20.000 Kilometer dürfen es dann neue Reifen und (sicherheitshalber) neue Schläuche der preiswerten Dimension 3,25-19 sein.
Wie schon anfangs erwähnt, versucht die OSL, in der Optik großen Vorbildern aus England nachzueifern. In der Technik leider auch: hier eine losvibrierte Schraube, dort ein Ölfleck. Aber mit solch kleinen Unzulänglichkeiten kann ein echter Oldie-Liebhaber problemlos leben.