aus bma 12/10 – Oldtimer

von Konstantin Winkler

NSU 201 TSFast alle Menschen lieben alte Motorräder, denn sie erinnern an vergangene Zeiten, als es noch reichlich preiswertes Öl und wenig Tempolimits gab. Man schaut ihnen wohlgefällig hinterher, und freut sich, dass es sie noch gibt, obwohl sie nicht nur laut und lahm, sondern auch pflegeintensiv sind. Eines davon ist die NSU 201 TS, gebaut nur in den Jahren 1929 und 1930.

Deutschland war in jener Zeit gekennzeichnet durch wachsende politische Unsicherheit, hohe Arbeitslosigkeit sowie geringe Kaufkraft. Bei NSU in Neckarsulm versuchte man den rückläufigen Absatz von Motorrädern durch Schaffung neuer attraktiver und preiswerter Modelle zu beleben.

Während man bei den Vorgängermodellen 201 R (die letzte NSU mit Riemenantrieb) und 201 T (mit Kette) den Tank unter dem oberen Rahmenrohr befestigte (Stecktank), so wurde bei der 201 TS ein tropfenförmiger Satteltank verwendet, der auf dem oberen Rahmenrohr saß. Statt in schwarz glänzte selbiger in rot-beiger Zweifarbenlackierung.

Der Motor – ein Bild von einem Triebwerk, und ein anschauliches in Sachen Viertakt-Technik obendrein. Er ist ein alter Bekannter aus den beiden Vorgängermodellen und gleichzeitig das letzte wechselgesteuerte Aggregat der Schwaben. Zwei Ventile dirigieren den Gaswechsel. Während das Auslassventil seitengesteuert ist, sitzt die Kipphebeleinheit des kopfgesteuerten Einlassventils in einer Gewindeöffnung oben im Zylinderkopf. Der auf dem Motorgehäuse (hinter dem gusseisernen Zylinder) mittels Tombakband und Spannschraube befestigte BOSCH-Magnetzünder wird vom Motor unter Zwischenschaltung von Zahnrädern angetrieben und läuft mit der Geschwindigkeit der Steuernocken, also mit halber Kurbelwellenumdrehung. Zuverlässig und stromunabhängig sorgt er für einen kräftigen Zündfunken. Wenn es sein muss, zweitausendmal pro Minute.

NSU 201 TSDer Vorratsbehälter fürs Öl ist in den Tank integriert. Neben der mechanischen Ölpumpe im Motor hat die NSU noch eine zusätzliche Handölpumpe, um bei stärkerer Belastung etwas mehr 50er Einbereichsöl in das Triebwerk zu drücken. Es bleibt aber nicht lange dort, denn der Leichtmetallkolben entsorgt es recht bald durch den Auspuff. Ein viertel Liter beträgt der Ölverbrauch. Auf 100 Kilometern – wohlgemerkt!

Die damals als steuerfreies und auch führerscheinfreies Leichtkraftrad zu fahrende 200er NSU leistet 4,5 PS bei 4.000 Upm. Das war nicht gerade sensationell viel, aber es waren vor allem Zuverlässigkeit und Robustheit gefragt.

NSU 201 TS MotorVor dem sinnlichen Fahrerlebnis aus vergangenen Tagen steht die Startprozedur. Von wegen Schlüssel um­drehen und starten! An erstaunlichen Stellen sprießen Hebel aus dem Lenker, mit denen Gas, Luft und Zündung feinfühlig reguliert werden wollen. Wichtig ist auch, erst einmal den kleinen Messinghahn unter dem Tank auf Durchfluss zu stellen, damit die Ölpumpe im Kurbelgehäuse die Kurbelwellenlager betropft. Wer vergisst, den Hebel für die Zündverstellung auf „spät” zu stellen, dem könnte beim Tritt auf den Kickstarter Böses widerfahren. Ein nicht anspringender, dafür aber zurückschlagender Motor sorgt für einen schmerzenden Knöchel. Wenn das Motorrad nach 5 bis 20 Versuchen immer noch keine Lust hat anzuspringen: Schweiß abwischen, fluchen und weiterkicken. Sollte dann irgendwann die Startzeremonie erfolgreich verlaufen sein und das Triebwerk zum Leben erwachen, spürt man den glorreichen Sieg über die Trägheit. Der langhubige Einzylinder (56,5 mm Bohrung und 80 mm Hub) zuckt in seinen Aufhängungen, überall kribbelt und klappert es. Im Zylinder brennt es und der Amac-Vergaser giert nach Luft. Man kann den Motor schlürfen hören, wie er das Benzin-Luftgemisch ansaugt. Er ist eine waschechte Verbrennungsmaschine, in deren Arbeitstakt unüberhörbar auf den Kolben eingehämmert wird. Und der Auspuff ballert seinen Bass in die Landschaft. Im Leerlauf schüttelt sich der gesamte Vorbau – Lenker, Gabel, Vorderrad, alles tanzt im Takt der Kolben. Die Passanten am Straßenrand könnten denken, jemand bändige einen Presslufthammer.

NSU 201 TS MotorMit dem linken Innenzughebel wird die Mehrscheiben-Trockenlamellen-Kupplung betätigt. Die drei Gänge wollen gesucht, gefunden und mit Nachdruck geschaltet werden. Einige Übung ist schon erforderlich, mit dem tief unten am Blockmotor gelegenen Handhebel der Kulissenschaltung die Zahnräder in die gewünschte Position zu bringen. Manchmal klappt es sogar ohne hässliche Nebengeräusche.

Der breite Lenker und die leicht vorgebeugte Sitzposition vermitteln einen guten Kontakt zum Motorrad. Des Fahrers Allerwertester sitzt bequem auf einem patentierten Wittkop-Elastic-Druckfedersattel. Zu­sam­men mit der sauber ansprechenden, aber ungedämpften Trapezgabel ergibt sich ein entspanntes Fahrgefühl. Die beiden Halbnabenbremsen sorgen für der Leistung und dem Fahrzeuggewicht von 100 Kilogramm angemessene Verzögerungswerte.

Wenn man mit einem solch alten Motorrad unterwegs ist, muss man besser aufpassen als bei einem modernen. Schon eine kleine Steigung ist eine Herausforderung, die sorgfältiges Management der bescheidenen Ressourcen Hubraum, Leistung, Drehzahl und Gänge braucht. Bisweilen tuckert die NSU dann mit solch atemberaubender Geschwindigkeit daher, dass selbst ein gehbehinderter Igel beim Überqueren der Straße eine reelle Überlebenschance hätte! Trotzdem macht das Fahren unendlich viel Spaß. Besonders, wenn man dieses Stück Technik-Kultur einer vergangenen Zeit bei Oldtimertreffen und Ausfahrten einem begeisterten Publikum präsentieren kann.