aus bma 06/07

von Hartmut Boysen

Norwegen Darf ich vorstellen: Dennis, 16 Jahre, Suzuki DR 125; Horst, 46 Jahre, Suzuki GSX-R 600; Kai, 47 Jahre, Suzuki GSX-R 750; Lasse, 16 Jahre, Yamaha TDR 125; Hartmut, 50 Jahre, Honda Varadero 1000.
Wie der geneigte Leser sieht, eine Motorradfahrergruppe, wie sie bunter nicht sein kann. Diese Fünf hatten sich jedenfalls vorgenommen, vom 5. bis zum 8. Mai 2005 nach Norwegen zu fahren. Um nun das bewundernde Raunen unter den Motorradkollegen etwas zu dämpfen, sei der Ehrlichkeit halber gesagt, dass die Fahrt in Flensburg ihren Ausgang nahm.
Unsere 125er Fahrer haben natürlich gedrosselte Motoren. Es zeigte sich, daß ein Lehrling der Mechatronik dies natürlich etwas zu seinen Gunsten auslegen kann, aber der Zweitakter ist elektronisch gezähmt und da Vater die alte Zündbox unter Verschluß hält, sind nicht mehr als 81,004527 km/h drin. Somit lag die Reisegeschwindigkeit der Gruppe fest.
Früh morgens am 5. Mai traf sich das Vorauskommando – die pfeilschnellen Suzukis wollten uns am zweiten Reisetag einholen – durchquerte bei herrlichem Sonnenschein Alsen und schiffte sich um 10 Uhr in Fynshavn zur Überfahrt nach Bojden auf Fünen ein. Kaum an Bord, gab’s bei unseren Jungfahrern die ersten großen Augen. Ein Besatzungsmitglied verteilte Spanngurte mit der Bemerkung: „Das kann ein bißchen schaukeln. Bindet die Motorräder lieber fest.” Zum Glück war ja der alte, erfahrene Varadero-Fahrer dabei. Fachmännisch zeigte er den Jungs, wie man das macht und hätte beinahe seine nagelneue Varadero umgeschmissen, weil die Fähre schon ein Stück gefahren war, es bei seitlichem Wind tatsächlich ganz schön wackelte, und der Alte vor lauter Gequassel seine eigene Mühle natürlich noch nicht festgebunden hatte. Endlich standen die Maschinen sicher, und es kam der Vorschlag, doch von der Brücke die herrliche Aussicht zu genießen.

 

Gemütlich und ohne Probleme wurde Fünen durchquert. Je mehr sich die Gruppe Nyborg näherte, kroch dem Varadero-Fahrer langsam aber sicher ein beklemmendes Gefühl den Nacken hoch. Der Wind hatte inzwischen so seine Stärke 5 bis 6 erreicht, und es sollte über die neue Sundbrücke nach Seeland gehen. 19 Kilometer ist sie lang. Über weite Teile auf vielleicht 20 Meter hohen Pfeilern gebaut schwingt sie sich in eine Höhe hinauf, die es großen Schiffen erlaubt, unter ihr hindurchzufahren. Bei diesem Wind kann das ganz schön ungemütlich werden. Aber die Jungs halten tapfer auf die Brücke zu. Da kann der Alte natürlich nicht zurückstecken und eigentlich haben wir Glück. Der Wind kommt nur von Achtern. In Korsör wird die fällige Maut bezahlt und die Autobahn gleich hinter der Zahlstelle verlassen. Ein kleiner Weg führt am Fuße der Brücke zurück zu einer alten Lotsenstation direkt am Wasser. Von hier kann man die ganze Dimension dieser Brücke auf sich wirken lassen.
Norwegen Dennis hat keine Ruhe. Kaum ist der Hintern wieder belastbar, will er weiter. Wir halten uns links und fahren über kleine Landstraßen nach Kalundborg und Nyköbing. Hier sind eh nur 80 km/h erlaubt, die Begrenzung der 125er also kein Hindernis mehr und so läßt sich die wunderschöne Landschaft bei Sonnenschein genießen. Nächstes Ziel ist die Fähre von Rörvig nach Hundestedt. Wir kennen sie von früheren Fahrten. Diesmal bekommen wir aber nicht die Kleine, die bei diesem Wetter – immer noch Windstärke 5 bis 6 – ganz schön auf den Wellen getanzt hätte, sondern die Große. Also nicht ganz so viel Gaudi wie erhofft. Dafür stolpern wir über einen typischen dänischen Krug mit angeschlossener Hotdog- und Softeisbude. Der Grund für die nächste Pause ist also gefunden. Gut genährt machen wir uns auf den letzten Teil unserer Tagesetappe nach Tisvildeleje. Dort wartet eine Hütte in der Jugendherberge auf uns.
An der Hütte spucken die unerschöpflichen Koffer und das Topcase der Varadero Travel einen Einmalgrill, Grillfleisch, Kartoffel- und Nudelsalat, sowie Dosenbier der Marke „Carlsberg Elephant” aus. So muß Motorradfahren sein. Nach kurzer Zeit setzt die Wirkung des Bieres ein. Nur männliches Schnarchen ist noch zu hören. Dat können die Jungs auch schon.
Ein Blick durch die Gardinen am nächsten Morgen verheißt nichts Gutes. Alles Grau in Grau. Die erste Dusche erfolgt auf dem Weg zum Waschhaus. Zurück in der Hütte wird kurz verweilt und überlegt, welche Alternative es gibt, zum Frühstück zu kommen. Außer naß werden eigentlich keine. Also nächste Dusche, trocknen bei leckerem dänischen Frühstück und wieder Duschen, damit man nicht aus der Übung kommt. Zurück in der Hütte kommt die rettende Idee. Motorradklamotten und Regenzeug anziehen und dann die Sachen zu den auf dem Parkplatz wartenden Maschinen tragen. Nachdem alles verstaut ist, sind wir jedenfalls nicht von Regen naß, sondern von Schweiß. Scheißegal, an der Fähre in Helsingör ist Treff mit den uns hinterher sausenden Rennern. Leider sind wir schon zwei Stunden zu spät. Nicht zu ändern. Am Fährterminal angekommen, ist von den Jetpiloten nichts zu sehen. Also Handies raus und anrufen. Nichts. Notruf zur heimatlichen Basis. Außer ein paar verwirrten zurückgebliebenen weiblichen Mitgliedern der Familien kein Resultat. Wat nu? Kaum werden die ersten Notfallmaßnahmen erörtert, donnern zwei japanische Rennschüsseln auf den Platz. „Scheiße, verfahren bei Kopenhagen,” bringt Horst noch hervor. „Ich bin rattenkaputt.” Kein Problem, die Koffer der Varadero haben auch Schokolade und Cola gebunkert. Mit den Kalorien kommen die Kräfte zurück, die Sonne hat wohl auch was abbekommen, denn sie jagt jetzt die Wolken weg. Also können die Regenkombis wieder in die Tankrucksäcke.
„So, Alter, willste hier nu’ schlapp machen, oder was.” Das kann nur Dennis sein, dem wieder die rechte Hand zuckt. Also rauf auf die Fähre nach Helsingborg und auf die schwedische Autobahn an Göteborg vorbei nach Mellerud am südlichen Vänern.
In Mellurud sind Hütten auf dem Campingplatz reserviert. Gott sei Dank hat der Platz sogar bis 22 Uhr auf. Um 21:30 laufen wir ein. Nochmal gibt’s Einmalgrill, Grillfleisch, Kartoffel- und Nudelsalat aus den Bäuchen der Varadero. Nur das Bier steuern diesmal die Suzis bei. Für irgendwas müssen die ja auch nützlich sein. Noch lange ragen zehn Motorradstiefel über die Brüstung der Hüttenveranda, schweift der Blick durch lichte, riesige Tannen über die Motorräder zum See, kreisen die Gespräche um das bisher erlebte, das vielleicht Zukünftige und alte Geschichten aus der Jugend. Natürlich immer mit dem erhobenen Zeigefinger an die Herren Junioren, so was nicht zu machen, was sie auch feierlich geloben. Das Motorrad steht dabei immer im Mittelpunkt.
Norwegen Genauso romantisch, wie sich der gestrige Tag verabschiedet hat, begrüßt uns der nächste. Die Nacht war kalt. Alles ist mit Tau überzogen. Eine tiefstehende Sonne scheint vom See her durch schwache Nebel. Eine traumhafte Stimmung. Die Alten sind schnell wach und irgendwann hat Dennis auch Lasse unter Bergen von Decken entdeckt und wieder zum Leben erweckt. Gefrühstückt wird auf der Terrasse. Heißer Kaffee, frisches Brot und leckere schwedische Wurst und Käse – am Vortag im Supermarkt erworden, schließlich ist auch bei einer Varadero irgendwann mal Schluß – machen es schwer, weiterzufahren. Nur einer hat da kein Problem mit: Dennis. Seine Maschine steht schon vor dem Frühstück fertig gepackt in Fahrtrichtung.
„Na, was machen wir heute?” „Ich will nach Norwegen und Elche sehen,” ist die Antwort von Dennis. Irgend ein Troll oder ’ne Elfe oder Thor oder weiß der Teufel, wer sonst hier für Wünsche zuständig ist, muß das gehört haben. Kaum haben wir uns den Wäldern im schwedisch-norwegischen Grenzgebiet genähert, sehen wir sie. Zwei stattliche junge Bullen. Sofort wird angehalten, die Maschinen ausgemacht und der Fotoapparat rausgeholt. Andächtig verfolgen wir die Tiere mit Blicken und Objektiven, wie sie im Dickicht verschwinden. Unglaublich, unsereiner düst jahrelang durch Schweden und Norwegen und sieht die Viecher nur auf den Warnschildern und diese Jungspunde lassen mal so eben ihren Wunsch raus und kriegen ihn erfüllt. Gerecht ist das nicht.
Entschädigt werden Alt und Jung auf den nun folgenden Kilometern. Kleinste Straßen winden sich durch lichte Birkenwälder, müssen zahllosen Felsbrocken ausweichen, Buckeln und Senken der Landschaft folgen. In der Einsamkeit herrscht kaum Verkehr, die Straßen sind trotz der Kurven und Bäume weit voraus einsehbar und über allem lacht die Sonne an einem strahlend blauen Himmel. Die Motorräder scheinen von Schräglage zu Schräglage zu tanzen. Die Herzen der Fahrer sicher auch. Das ist das Motorradparadies.
Irgendwo in der Wildnis soll es eine kleine Fähre über einen See geben. Die muß gefunden und ausprobiert werden. Die Fähre wird mit Kabelzug betrieben und verkehrt nur alle zwei Stunden. Macht nichts. Jung und Alt liegen bald auf den warmen Felsen in der Sonne und lassen den Blick und die Gedanken über das glitzernde Wasser schweifen. Plötzlich fliegen zwei Schlüsselbunde durch die Luft und die Jungs werden aufgefordert, mit den großen Maschinen ein paar Runden auf dem Parkplatz zu drehen. Vier Augen und zwei Münder stehen weit offen aber bitten lassen sich die Burschen natürlich auch nicht lange. Schnell ist der südlichste Zipfel von Norwegen erreicht, ein Beweisfoto an der Grenztafel gemacht und bei Halden eine weitere kleine Straße Richtung Göteburg erreicht. Wieder reiht sich Kurve an Kurve mit tollen Ausblicken über Seen und Wälder.
Ein kurzer Schwenk über Orust mit seinen vielen Schären an der schwedischen Westküste zeigt, daß dies auch ein interessantes Motorradrevier ist. Da sich der Abend langsam nähert, kommt die Frage auf, wo denn heute übernachtet wird. „Weiß ich auch noch nicht,” lautet die Antwort des Altvorderen und Tourguides. Lange Gesichter bei den Jungs sind die Folge. Voller Hoffnung wird der erste Campingplatz hinter Göteburg angefahren. Begleitend setzt leichter Nieselregen ein. Ein hastig über den Platz huschender Gast sagt, daß eigentlich irgendwo irgendeiner von der Rezeption sein müsse. Na geil, und was nützt das? Also weiter.
Eben südlich von Göteborg zeigt die Karte eine Jugendherberge. Auch die hat eine Rezeption. Bloß da ist auch keiner und aus den ausgehängten Zetteln in schwedisch wird keiner schlau. Also wieder weiter. Da, noch eine Jugendherberge auf der Karte. Schnell hin und genauso schnell weiter, weil geschlossen. Kurz vor Varberg rechts abgebogen, stellt das Schicksal uns auf eine harte Probe. Ein Schild nach rechts zeigt einen Campingplatz und eines nach links eine Jugendherberge. Dumm nur wieder, daß beide zu haben. Der Himmel scheint unser Unglück zu spüren und vergießt bittere große Tränen. „Mein Tank ist gleich leer,” kommt von unserem Zweitaktfahrer. Gut ist, daß eine nahe Tankstelle nicht nur Unterschlupf sondern auch Treibstoff bietet. Schlecht ist, daß die Uhr die 20 überschritten hat. Das kann ja noch interessant werden. Also weiter gen Süden. In großen Lettern, hell erleuchtet prangt über einem Hüttendorf direkt an der Autobahn „öpped”. Wir sind gerettet! „Denkste” muß wohl der Gott der Motorradfahrer sagen. In der Rezeption brennt zwar Licht aber keiner da. Am Fenster ein Zettel mit einer Handynummer, die angerufen werden soll, wenn die Bude nicht besetzt ist. Irgendein Idiot auf dem Anrufbeantworter plärrt was auf schwedisch.
Norwegen „Tja, nach Hause sind es nur noch 500 km. Wenn wir nichts mehr finden, müssen wir halt durchfahren.” Den Jungs weicht alle Röte aus dem Gesicht und die Suzi-Fahrer fragen, ob hier einer Prügel will. „Hilft ja auch nichts. Eine Herberge fahren wir noch an. Nach 22 Uhr hat sowieso nichts mehr offen. Dann üben wir halt für den Iron Butt.” Hinter Varberg gibt’s noch eine Jugendherberge. Der Parkplatz ist voll mit Bikes. Ein Fahrer lungert in der Dämmerung pfeiferauchend zwischen den Maschinen herum und wird auf Englisch angesprochen. „Kommt Ihr aus Deutschland?” Oh Mann, mein Englisch muß sich wohl in all den Jahren auch verschlissen haben. „Hat die Herberge noch offen?” „Das meine ich. Gerade war noch jemand da.” Die Klingel an der Rezeption zaubert ein so schönes junges schwedisches Girl herbei, daß zudem noch so reizend angezogen ist, daß der Autor sich schon fragt, ob er noch auf dieser Welt ist. Zimmer sind noch frei und sie würde nur deshalb so angezogen sein, weil sie mit Freundinnen zum Tanz wolle.
Als der Autor dann versucht, das Mädchen davon zu überzeugen, daß sie und ihre vier Freundinnen doch gar nicht weiter nach Tanzpartnern suchen bräuchten, er hätte doch vier Motorradkollegen dabei, erschallt aus dem Raum nebenan schallendes Gelächter. Der Motorradclub Kollmar hat hier sein Herrentagslager. Bis spät in die Nacht wird Benzin geredet und flüssige Vorräte vernichtet. Schön dabei, daß die Jungs ganz einfach zur Runde gehören. So ist das nun mal unter Bikern. Vielen Dank an den MC Kollmar. War ein toller Abend.
Der letzte Tag unserer Fahrt besteht nur noch aus 500 km Autobahn. Um die bestmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und die Jungs auch mal führen zu lassen, fahren sie vor. Vergnügt beobachten wir Alten, wie die Jungs das Windschattenfahren perfektionieren. Der Zweitakter hat gegen den Wind und an Steigungen nun mal den längeren Atem. Bergab spielt der Viertakter seine aufgeweichte Drosselung aus. Souverän behaupten die Jungs sich an Autobahn-Zusammenführungen, wenn die schnelleren Lastwagen heranrauschen. Stoppen kann sie nur ein leerer Tank. „Mensch, könnt Ihr Euren Alten denn nicht mal ’ne Pause gönnen? Uns tut der Arsch weh!” „Wieso, den merkt man doch nach einiger Zeit gar nicht mehr.” Sie sind eben noch leidensfähig. Wer glaubte, die Junioren sind nach der Ankunft zu Hause kaputt und fallen nur noch ins Bett, sah sich getäuscht. Kaum waren die Kisten entpackt, ging’s in den Jugendraum, denn dort wartete schon der Fanclub, um sich das Abenteuer möglichst warm berichten zu lassen.
Schön war’s! 1600 km in vier Tagen mit gedrosselten 125ern. Das kann sich doch sehen lassen. Nicht messbar ist der Wert einer solchen Fahrt für das Verhältnis Vater/Sohn. Natürlich hat der Jungstar inzwischen das obligatorische Zeugnis mit „Versetzung stark gefährdet” nach Hause gebracht, und natürlich gibt es laufend Reibereien über die Frage, ob der Weg der Alten durchs Leben der richtige ist oder, ob die Jungen alt genug sind, das selbst zu entscheiden. Durch solche gemeinsam durchgestandenen Abenteuer ist aber immer eine Plattform da, auf der man noch mal über „das Ganze reden kann”. Nicht zuletzt freut es natürlich auch, wenn man es offensichtlich geschafft hat, seinen Sohn für ein gemeinsames Hobby zu begeistern. Ich kann sowas also nur zur Nachahmung empfehlen.