aus Kradblatt 9/17
von Marcus Lacroix

Kaffee für Kenner …

Norton Commando 961 Sport MK IIDie Café Racer Welle läuft, Retro ist nach wie vor angesagt und angesichts einer immer verrückter wirkenden Welt scheint die Besinnung auf traditionelle Linien auch kein Wunder. Der Mensch sucht Halt – und sei es im vertrauten Design.

Ganz vorne mit dabei sind BMW, Ducati und Triumph. Die R nineT Varianten, die Scrambler Versionen und die Modern Classics Reihe treffen den Zeitgeist. Die Motorräder funktionieren perfekt, alte Designelemente wurden gekonnt recycelt. Harley-Davidson macht das schon seit Jahrzehnten, hat aber leider im Café Racer Segment nichts am Start. Buell hat es bekanntlich versiebt – doch Fans hoffen noch. Gerne denke ich an die sehr spezielle S1 Lightning zurück, die ich mal besaß (und damals nicht verstand). Royal Enfield, prädestiniert für klassische Bikes, hat den angekündigten großen Motor noch nicht auf dem Markt und die Japaner halten sich insgesamt leider eher bedeckt in der Vermarktung der eigenen Geschichte.

Frontansicht - Norton Commando 961 Sport MK IIWas bleibt aber, wenn man sich mit den genannten Großserienbikes nicht anfreunden kann oder will? Wenn man ein Motorrad besitzen möchte, das nicht an jedem Bikertreff zu finden ist? Denn mal ehrlich: Selbst eine geilstens umgebaute R nineT oder Bonnie hat man doch irgendwann irgendwo schon mal im Medienwald oder auf einer Messe gesehen. Sieht toll aus, funktioniert perfekt, weiter zum nächsten Umbau …

Stopp, da war doch noch Horex! Warum die Macher 2010 mit Gewalt einen VR6 Motor in ein halbwegs klassisches Gewand pferchen mussten und der neue Besitzer mit frischem Geld offenbar damit weitermacht, werde ich nie verstehen. Man stelle sich heute eine moderne Horex Imperator vor, das wäre doch was. Die würde Geschichte atmen!

Wer auf der Suche nach einem exklusiven und modernen Klassiker ist, stolpert so schließlich über den Namen Norton. Ein großer britischer Name, eine ebenso große historische Last. Von 1913 bis 1977 fertigte man schnelle Motorräder, gewann reichlich Titel. In den 1980er Jahren tauchten Norton Wankel Maschinen auf, die auch im britischen Polizeidienst liefen. Ende der 1990er nahm die Entwicklung der Norton Commando 961 Fahrt auf, doch es fehlte letztendlich Geld – anders als bei Triumph, deren Reanimierung bekanntlich sehr erfolgreich verlief.

Klassisches Cockpit + TrockensumpfschmierungDer britische Geschäftsmann Stuart Garner kaufte Ende 2008 sämtliche Rechte und Entwicklungen und gründete die Norton Motorcycles (UK) Ltd. Und jetzt, im Jahr 2017, kann man Norton Motorräder auch in Deutschland wieder straßenzulassungskonform kaufen.

Das Angebot des Norton Vertrieb­s­partners Bikes of Dream aus 26655 Westerstede/Ocholt (www.bikesofdream.de, Telefon 04409-9726678), die 2017er Norton Commando 961 Sport MK II für ein paar Tage Probe zu fahren, nahmen wir da natürlich gerne an.

Rock ’n’ Roll statt Elektro-Pop! 

Beim ersten Kontakt mit der Maschine geht jedem Fan von Classic-Bikes das Herz auf. Die Optik macht voll an, was für eine schöne Linie, was für ein urwüchsiger Motorblock. Die Formen kommen einem sofort vertraut vor, die mächtige Gabel und die fette Bremsanlage schaffen Vertrauen.

Um die Euro4 Vorgaben zu schaffen, ist die 961er Commando mit ABS, einer Einspritzanlage, Kat und SLS ausgestattet. Alles andere kommt schön undigital daher, vom Mini-LCD-Display im Tacho mal abgesehen. Tages- und Gesamtkilometer, Uhrzeit und Betriebsspannung können hier abgerufen werden. Geschwindigkeit und Drehzahl werden standesgemäß in vielfach vermissten Rundinstrumenten präsentiert. Diverse Kontrollleuchten funzeln bei Sonneneinstrahlung kaum ablesbar in den Zifferblättern.

Sitzposition (Fahrer 176cm) - Norton Commando 961 Sport MK IIDie Startprozedur der Norton hat ebenfalls klassischen Flair. Antüdeln, aufsitzen, starten, Gas und los kann man bei kaltem Motor vergessen – er stirbt direkt ab, nimmt partout kein Gas an. Also wie früher: Starten (was geräuschvoll aber zuverlässig geschieht), Jacke zu, Helm auf, Handschuhe an – mal kurz am Gas zupfen, noch mal zupfen und dann geht’s los.

Die hydraulisch betätigte Kupplung braucht etwas Kraft, der erste von fünf Gängen rastet sauber ein und schon bei Standgas kann man die Kupplung einrücken lassen – die 961 schiebt voran.

Schwingenlagerung + Fußrasten Norton Commando 961 Sport MK IIDie recht lauten mechanischen Lebensäußerungen des stoßstangengesteuerten (!) Motors sind heutzutage ungewöhnlich, dämpft doch vielfach ein Kühlmittelmantel die Geräuschkulisse. Die Norton kommt mit einem Ölkühler aus, ist ansonsten fahrtwindgekühlt. Die hübsche Auspuffanlage ist leiser, als man es beim Anblick der Maschine erwarten würde. Lautere Tüten sind lieferbar, aber leider illegal. Sei’s drum, 2017 fordert Zugeständnisse.

Beim Gasaufziehen wird man ortsausgangs dafür mit einem schönen Ansauggeräusch verwöhnt und die Norton hämmert kräftig voran. Jaaaa, so muss das – fettes Grinsen im Gesicht. Wieviel Leistung sie hat? Ist eigentlich irrelevant, aufs Gefühl kommt es schließlich an. Im Prospekt stehen 80 PS bei 6500/min und ein maximales Drehmoment von 90 Nm bei 5200/min. Reicht jedenfalls allemal.

Auf norddeutschen Landstraßen braucht kaum geschaltet zu werden. Man surft auf der Drehmomentwelle im fünften Gang meist zwischen 80 und 120 km/h. 5,3 Liter Benzin fackeln dabei lustvoll je 100 Kilometer ab, aber auch das interessiert bei so einer Maschine wohl kaum jemanden. Mehrfach fuhr ich aus Versehen im 2. Gang an – no problem, Drehmoment ist genug vorhanden. Zieht man am Kabel, drückt die 961 aber auch nach oben hin ordentlich raus. Untermalt wird das Ganze von Vibrationen, die in dieser Art mittlerweile auch eher selten geworden sind. Kernig, aber nicht nervend. Coole Sache!

Gebogenes Schaltgestänge an der Norton Commando 961 Sport MK IIDie Sitzposition ist angenehm, nicht zu sportlich, alles liegt gut in der Hand bzw. am Fuß. Der Knieschluss gelingt durch die sehr schmale Taille und die unnötig breiten Fußrasten nicht perfekt.

Aber auch das ist nicht so wichtig, denn selbst wenn die Commando das „Sport“ im Namen führt: unter Sport versteht man heutzutage etwas anderes. Da mag das vielfach verstellbare Öhlins-Fahrwerk noch so edel rüberkommen – die Commando fährt sich eher klassisch sportlich. Sie mag lange Bögen, schnelle Wechsel sind nicht ihr Ding. Das ist im Norden nicht schlimm, sportlich engagiert durch Harz oder Sauerland könnte aber doch etwas anstrengend werden.

Draufsicht: Norton Commando 961 Sport MK IINur allzu gerne hätte ich die Commando mal mit anderen Reifen bewegt, denn der Dunlop Sportmax Qualifier in den heute üblichen Dimensionen 120/70 und 180/55 scheint mir nicht die beste Wahl für die Norton zu sein. Sein Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage ist erstaunlich hoch, Bodenunebenheiten leiten dabei zusätzliche Kräfte ein und versauen einem den schnellen, sauberen Strich. Der Trockengrip ist dafür aber gut. Im Dunlop-Sortiment findet man den 2005 vorgestellten Qualifier inzwischen als Sportmax Qualifier 2. Sicherlich zu Recht, denn die Entwicklung bleibt auch bei Reifen nicht stehen …

Nun werden sich die meisten der wohl wenigen Käufer so einer exklusiven Maschine – Norton produziert in Handarbeit in Donnington Hall (GB), wie auch eine Plakette im Cockpit stolz vermeldet – ernsthaft Gedanken über die sportliche Performance machen. Die Norton Commando Sport, oder eine ihrer Schwestern 961 Café Racer bzw. Dominator kauft man sich nicht, weil es keine besseren Motorräder auf dem Markt gibt – man kauft eine Norton, weil man eine Norton besitzen möchte, weil man früher evtl. eine hatte oder davon träumte. Weil man Motorräder abseits des Mainstreams mag und sich daran erfreut, dass es Menschen wie Stuart Garner gibt, die so etwas überhaupt möglich machen.

Currywurst Pommes-Majo statt Fish and ChipsMan findet verschiedene kleine Dinge, die man an der Norton eleganter oder schöner lösen könnte. Sei es das erwähnte Kaltstartverhalten, das Oberflächenfinnish der Lampenhalter, die „Spiegeleiblinker“ oder die etwas plumpe, an eine Tarozzi aus den 80ern erinnernde Fußrastenanlage. Die Entwicklung schreitet aber auch bei Norton ständig voran und Verbesserungen fließen direkt in die Serie ein. John Bloor von Triumph ist schließlich 1983 auch zunächst mal mit einer Vision gestartet.

Andererseits erfreuen neben dem Gesamtkonzept auch Details, wie eine Schwingenaufnahme, die den Kettenwechsel ohne Ausbau der Schwinge zulässt. Oder der handgeschweißte, nahtlos gezogene Stahlrohrrahmen mit integriertem Öltank, der noch echte Durchblicke ermöglicht. Und unbezahlbar sind die Reaktionen, wenn man mit der Norton am Bikertreff vorfährt: „Boah – eine Norton. So eine habe ich ja noch nie auf der Straße gesehen …“.

Letzten Endes wird es vor allem der Preis sein, der derzeit einer weiteren Verbreitung von Norton Motorrädern im Weg steht. Die von uns gefahrene Norton Commando 961 Sport MK II kostet ab 22.300 Euro. Ergänzend kann man noch diverse Extras ordern. Die Commando Sport und die Commando Café Racer sind sowohl als Zwei- wie auch als Einsitzer erhältlich. Mit wenigen Handgriffen kann, dank der eleganten Sitzhöckerabdeckung, die Wandlung vollzogen werden.

Allen Kaffeeliebhabern, die es sich leisten können, kann ich einen Blick auf die Norton nur empfehlen – Zinsen gibt es eh keine und wer weiß schon, was uns da mit dem Brexit, noch alles ins Haus steht. Stichwort verrückte Welt …