aus bma 6/00

von Jürgen Völkel

Ende Mai ist es endlich soweit, das Motorrad ist bepackt und das Fährticket in der Tasche. Morgens um 9 Uhr beginnt die Fahrt zu den Yorkshire Dales. Yorkshire, genau in der Mitte des Inselreichs gelegen, ist die größte britische Grafschaft, und im Norden von Yorkshire liegen die Yorkshire Dales.
Das Wort Dale stammt von den ersten Besuchern dieser Region, den Wikingern. Sie nannten die Täler, die von den Pennines ausgingen, die Thals. Die Dales schlängeln sich durch die Penninesmountains, dem Rückgrat Englands. Der Gebirgszug beginnt unterhalb der Grenze zu Schottland und endet nach circa 200 Kilometer in Mittelengland.
Nach vielen Staus und Umleitungen bei Osnabrück erreiche ich um 17 Uhr als einer der letzten die Fähre in Rotterdam-Europoort. Die Fähre ist gerammelt voll mit Motorradfahrern jeglicher Couleur. Die meisten wollen wahrscheinlich zur Isle of Man, wo das wohl bekannteste Motorradtreffen der Welt ansteht.
Da die Sonne den ganzen Tag gnadenlos schien, erkennt man bei den Bikern sofort die Fraktion der Jethelmträger (= Rotgesichter) und die der Integralträger (= Bleichgesichter). Die gut bestückte Bar hat aber schon vor dem Ablegen geöffnet, so verwischen sich die Unterschiede zunehmend. Unter anderem lerne ich zwei Goldwing-Gespannfahrer kennen, die immer wieder ihren Jahresurlaub bei den Rennen auf der Isle of Man verbringen.
Die Fähre erreicht am nächsten Morgen Humberside, eine der jüngsten Grafschaften Britanniens. Über den Fluss Humber schippern wir nach Kingston upon Hull. Hier spannt sich eine mächtige Hängebrücke über den Humber. Um 8 Uhr rollen wir einträchtig vom Schiff, die meisten in Richtung Westen, um zur Isle of Man überzusetzen, einige wollen bestimmt nach Schottland, und mich zieht es in die Yorkshire Dales.

 

Über York mit seinem sehenswerten Eisenbahnmuseum, der Altstadt mit Stadtmauer und seinen hübschen, mittelalterlichen Häusern erreiche ich Harrogate am Rande der Dales. Der Kurort Harrogate ist wegen der eleganten Häuser aus dem 19. Jahrhundert und der gepflegten Parkanlagen mit hohen Bäumen berühmt. Die Stadt besitzt zudem 88 verschiedene Mineral-Heilquellen (!), vornehmlich gegen Gicht, Gelenkentzündung und Rheumatismus. Die Park- und Gartenanlagen haben der Stadt den Beinamen „Stadt der Blumen” eingetragen.
Auf der A 59, einer gut ausgebauten, in der Michelin Karte gelb eingezeichneten und grün gekennzeich- neten Straße, verlasse ich Harrogate und fahre in Richtung Skipton. Noch vor Blubberhouses mache ich Rast und werde vom Großen Brachvogel begrüßt, ein typischer Bewohner der weiten Landschaften in den Dales.
In Skipton ist die Burg aus dem 14. Jahrhundert mit seinem interessanten Museum sehenswert. Nahe Skipton in Embsay hat die Yorkshire Dales Eisenbahn eine große Lokomotiv- und Waggonsammlung, die jeden Sonntag über eine fünf Kilometer lange Rundfahrt zuckeln und den Besucher in längst vergangene Zeiten zurückversetzen können.
Bei Nieselregen erreiche ich Mal-ham. Malham ist eines der meistbesuchten Dörfer in den Dales. Sein Informationszentrum ist Ausgangspunkt für Wanderungen in die nähere Umgebung. Der Kalkstein der Region formt Berglandschaften mit tiefen Schluchten. Eine Besonderheit ist Malham Cove. Hier tritt am Fuße eines Kalkgesteinabhanges ein Bach wieder ans Tageslicht zurück, der weiter oberhalb auf dem Plateau versickert war. Gespeist wird dieser Bach größtenteils vom Malham Tarn, einem kleinen See, der sich trotz des Kalkgesteins bilden konnte und somit eine Rarität darstellt. Ich umkurve Malham Cove und Tarn.
Da es nicht aufhören will zu regnen und ich nichts mehr hasse, als ein Zelt im Regen auf- oder abzubauen, fahre ich am idyllisch gelegenen Campingplatz bei Malham vorbei und beschließe, mir ein Bed & Breakfast-Quartier zu suchen. Eine einsame Farm oben in den Hügeln der Dales wäre ganz nach meinem Geschmack, ist aber nicht leicht zu finden, wenn man erstens zur zweirädrigen Gilde gehört und zweitens aussieht wie eine Mischung zwischen Bud Spencer und Fidel Castro. Hat aber doch geklappt – im Dent Dale. Der Farmer erzählt mir am Anfang zwar auch, dass seine Hütte ausgebucht sei, aber langsam kommen wir ins Gespräch, so dass er feststellen muss – naja, der Kerl geht ja so einigermaßen, der darf hier bleiben. Frühstück gibt es hier keines, da seine Frau nach Amerika verreist ist, und das Bett muss ich auch selbst machen.
Am selben Abend fahre ich noch über Sedbergh nach Hawes, wo es die besten Fish & Chips der Dales gibt. Fish & Chips ist das Nationalgericht der Briten. Große Filetstücke von Schellfisch oder Dorsch werden in einen flüssigen Teig getunkt und frittiert. Dazu gibt es Chips, die eher an Bratkartoffeln als an Pommes Frites erinnern. Gewürzt wird mit Salz und Essig. Gegessen werden die Fish & Chips meist direkt aus der Verpackung (mehrere Lagen Papier) und mit den Fingern. Nach dem Essen kann man dann seine Lederhose imprägnieren, und die Finger sind wieder sauber.
Auf dem Weg zur Farm kaufe ich noch eine Flasche Sherry, die der Farmer und ich im Wohnzimmer des Farmhauses trinken – leider nicht am Kaminfeuer; die Frau ist nicht da! Wir schauen uns nebenbei zusammen ein Rugbyspiel, England gegen sowieso, an.
Am nächsten Morgen fahre ich nach Dent, wo man direkt neben dem Lebensmittelgeschäft frühstücken kann. Ich kaufe mir jedoch Toastbrot und Milch und frühstücke bei herrlichem Sonnenschein am River Dee. Über Sedbergh fahre ich nach Kirby Stephen, das schon wieder außerhalb des Yorkshire Dales Nationalparks liegt. An der B 6276 mache ich mittags Rast und lasse die wunderschöne Landschaft der Pennines auf mich wirken. Wer einmal hier war oder die englische Serie „Der Doktor und das liebe Vieh” gesehen hat, weiß, wovon ich schwärme.
  Weiter geht’s nach Barnad Castle, dessen Besichtigung ich leider wegen zu großem Besucherandrang ausfallen lassen muss. So fahre ich nur zum herrschaftlichen Gebäude des Bowes Museums, um ein Foto mit Motorrad zu machen.
Über die Hochmoorstraße Richtung Langthwait geht’s zum Tan Hill Inn. Dieser Pub, der höchstgelegenste in ganz Britannien, ist eine wahre Oase am Rande des nördlichen Yorkshire Dales National Parks. Viele fußmüde Wanderer, die den Pennines Way gehen, trifft man hier. Aber auch etliche Motorradfahrer sind hier anzutreffen, die sich mit Swale- oder Wensleydale-Käse stärken. Über Keld und Thwaite fahre ich nach Hawes zum obligatorischen Fish & Chips-Verzehr. Da heute Samstag ist, treffen sich hier am Parkplatz vor dem Fish & Chips-Geschäft viele Motorradfahrer aus den Dales und Umgebung. Wie ich erfahre, ist zudem morgen ein Motorradtreffen an der Devils Bridge.
Auf meiner Rückfahrt kann ich noch eine Dampfeisenbahn beobachten, wie sie auf einer Brücke das malerische Dentdale überquert. Am Farmhaus angekommen, setze ich mich gemütlich auf eine Bank an der Hauswand. Von hier aus habe ich einen herrlichen Blick über das Tal und die Ortschaft Dent. Bei zwei oder drei Büchsen englischen Bieres beobachte ich das Spiel von Licht und Schatten, Wind und Wolken im Dentdale und lasse den Tag ausklingen.
Am nächsten Morgen fahre ich über Sedbergh im Garsdale über die A 683 nach Kirby Lonsdale. Das Motorradaufkommen wird immer stärker, bis ich die Devils Bridge erreiche. Aneinandergereiht steht hier Motorrad an Motorrad; viele alte englische Klassiker sind darunter.
  Ich fahre weiter auf der A 65 mit sehr hohem Verkehrsaufkommen und biege daher in Ingleton auf die B 6255 ab. Hier kann ich wieder gemütlich durch die Dales kurven und gönne mir in Wharfe Dale vor einem Pub in Kettlewell eine Pause bei einem Cream Tea. Anschließend starte ich ins Coverdale, das für mich landschaftlich zu den Highlights in den Yorkshire Dales gehört. Auf den ersten vier Kilometern sind 250 Höhenmeter auf einer schmalen Straße mit Ausweichbuchten für den Gegenverkehr zu überwinden. Entlang des Flusses Cover erreiche ich Leyburn.
  Durch das Wensley Dale fahre ich nach Hawes, wo ich mich im Pub am Kaminfeuer ordentlich aufwärmen muss, da es heute recht kalt geworden ist. Vom Pub geht’s ohne Umwege in die Fish & Chips-Bude zum Essen fassen. Jetzt freue ich mich auf mein Bett und ab geht’s übers Wid Dale ins Dent Dale zum Farmhaus.
Der nächste Tag ist leider Rückreisetag. Morgens früh um 8 Uhr ist das Motorrad bepackt, und ich bin abreisefertig. Nur den Farmer, bei dem ich die Rechnung für die Übernachtungen bezahlen will, kann ich nicht finden. Nachdem ich zweimal ums Haus gelaufen bin und hier und dort geklopft habe, kommt er doch noch verschlafen aus seiner Stube hervor. Es wurde gestern doch ein wenig spät im Pub, … die Frau ist halt in Amerika! Wir verabschieden uns recht herzlich voneinander, ich solle doch mal wiederkommen, am besten mit Frau und Kindern, von denen ich ihm erzählt habe. Dann bekämen wir auch ein Frühstück, seine Frau wäre dann ganz bestimmt zu Hause. So fahre ich also wieder nach Dent und kaufe etwas zum Frühstück ein.
Über Hawes gelange ich nach Askrigg mit seinem gemütlichen Pub, dem Kings Arms Inn, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. In der Serie „Der Doktor und das liebe Vieh” heißt er Drovers, der Ort Darrowby.
Weiter geht’s über Leyburn nach Masham. Hier ist die Black Sheep Brauerei ansässig, die man besichtigen kann. In Thirsk, einer geschäftigen kleinen Stadt, esse ich am Marktplatz die obligatorischen Fish & Chips. Da es die letzten auf absehbare Zeit sind, schmecken sie besonders gut.
Über Malton erreiche ich North Grimston, um in Middleton Arms Rast zu machen. Über Sledmere mit seinem sehenswerten Sledmere House erreiche ich Hornsea an der Ostküste. Das Meer ist flach wie ein Pfannkuchen und verspricht heute nacht eine ruhige Überfahrt von Hull nach Rotterdam.
Auf der Fähre ist wieder für gute Unterhaltung gesorgt. Die Hits der letzten zwei Jahrzehnte werden von drei hübschen jungen Frauen gesungen.
Am nächsten Morgen rollen wir um 8 Uhr nach einem ausgiebigen Frühstück von der Fähre. Um 17 Uhr bin ich wieder zu Hause in Helmstedt.
Als Warnung ist anzumerken: Wer einmal in den Yorkshire Dales herumkurvt, ist hoffnungslos infiziert. Die einzige Therapie ist hinfahren und hinfahren und…