aus bma 04/08

von Manfred Stephan

Niederelbe Nur aus Interesse und zum Spaß hatte ich mich vor einiger Zeit damit beschäftigt, wie man eine Homepage ins Internet stellt. Da ich nicht wußte, was ich der Welt mitzuteilen habe, nahm ich das für mich naheliegendste Thema: Motorrad.
Ein Tourenvorschlag durch die Niederelberegion drängte sich aufgrund meines Wohnortes quasi auf. Halbherzig und mehr aus der Erinnerung, bastelte ich einen Tourenvorschlag durch das Alte Land zusammen und stellte ihn auf meiner Homepage ins Netz.
Jetzt, Jahre später, stelle ich fest, dass genau diese Tour eine der am meisten frequentierten Seiten auf meinem kleinem privaten Web-Projekt war.
Peinlich berührt, dass diese Tourenbeschreibung nur so hingeklatscht ist, will ich das Thema Altes Land noch mal neu aufarbeiten und zu einer 2-Tages-Sternfahrt ergänzen.
Die Tourplanung gestaltet sich allerdings schwieriger als erwartet. Zu gut kennt man die Region und am liebsten möchte man über alle schönen Stellen gleichzeitig berichten – ohne einen Streckenabschnitt doppelt zu fahren und trotzdem auf netten Streckenabschnitten unterwegs zu sein. Unmöglich! Einiges muss also gestrichen werden.
Und um es gleich vorweg zu nehmen: Die folgende Tour ist in erster Linie für Reise-Tourer und nichts für Heizer! Exzessive Kurvenorgien sind nicht zu erwarten (kleine allerdings schon).
Ich schwinge mich also auf meine Wuchtbrumme und starte meine 2-Tages-Sternfahrt in der Stadt, von der viele meinen, dass es sie gar nicht gibt: In Buxtehude, da wo die Hunde mit dem Schwanz bellen. Aber die Stadt gibt es wirklich und dort bellen die Hunde auch tatsächlich mit dem Schwanz. Schuld an diesem Ausspruch haben die Holländer. Im 13. Jahrhundert gründeten holländische Wasserbauer die Stadt. Die Holländer revolutionierten den damaligen Glockenschlag des Buxtehuder Kirchturms. Die Buxtehuder schlugen nämlich noch grob mit einem großen Hammer auf die Kirchenglocke ein.

 
Die Holländer dagegen gingen filigraner vor: Sie befestigten an der Glocke – die sie Hunte nannten – ein langes Seil (einen Schwanz) und bellten (bell = läuten) damit. Verständigungsschwierigkeiten zwischen Holländern und Buxtehudern besorgten dann den Rest und führten dazu, dass die Hunde in Buxtehude nun mit dem Schwanz bellen.
In der ehemaligen Hansestadt gönne ich mir ein zweites Frühstück direkt am Fleet, bevor mich der Weg, am Buxtehuder Hafen vorbei, über Moorende nach Hove führt.
Immer dem Verlauf der Este folgend, schlängelt sich der Weg westlich des Deiches entlang. Genüsslich schwinge ich, mal rechts, mal links um die Kurven und inhaliere die verschiedensten Düfte von Kirschblüten, Raps und Elbwasser und andere Gerüche.
Stade An der bereits 1635 gegründeten Sietas-Schiffs-Werft halte ich an. Zwangsläufig, denn die Klappbrücke ist nach oben geschwenkt. Ich nutze den Stop für ein Fotoshooting. Von hier aus kann man wunderbar den Bau eines Schiffes beobachten – oder zumindest den Baufortschritt, wenn man regelmäßig hier vorbeifährt. Direkt vis-a-vis fasziniert der Blick über die Elbe bis nach Blankenese, dem noblen Vorort von Hamburg. Heute ist es etwas diesig und der Blick auf die andere Elbseite ist daher etwas getrübt.
Nur einen Katzensprung weiter befindet sich eine weitere Werft: Die Flugzeug-Werft der Deutschen Airbus. Ein Halt und ein Blick über den Deich ist beim Vorbeikommen quasi Pflichtprogramm. Hautnah können hier Starts und Landungen – hauptsächlich der großen Beluga-Transporter – erlebt werden. Mit etwas Glück auch mal den riesigen Airbus A 380. Heute aber ist kaum etwas los, schade. Nur auf der anderen Straßenseite parken heute morgen einige wenige Flugzeuge.
Hier findet auch mehrmals täglich ein faszinierendes Schauspiel statt: Schranke runter, Autos halt! Flugzeug kreuzt. Schranke wieder hoch und weiter fließt der Verkehr. Schon originell! Aber auch hier und jetzt: Kein Glück. Ich fahre also weiter und lasse Finkenwerder hinter mir.
Vor mir baut sich der Hamburger Freihafen auf. Respekt einflößend als erstes die 1974 erbaute und 55 m hohe Köhlbrandbrücke mit ihren zwei riesigen und 135 m hohen Pylonen. Überall am Horizont große Containerbrücken (Kräne). Hier verlasse ich kurz das Alte Land, wende mich aber gleich wieder von good old Hamburg ab und tauche in Francop wieder ins Alte Land ein.
Über Neuenfelde führt mich der Weg – vorbei an wunderschönen Altländer Höfen, die heute leider nur noch rar vorhandenen sind – wieder nach Hove.
Über einen wunderschönen Schleichweg fahre ich auf die K39 und am Deich entlang Richtung Westen zum Lühe Anleger. In Grünendeich mache ich hier halt, denn der Lühe Anleger ist DER Motorradtreffpunkt der Region. Zeit für einen Blick auf die Elbe. Es ist 11 Uhr, und es ist hier überraschend wenig los. Ein anderer Biker meint, dass es daran liegt, das in Stade der Tag des Motorradfahrers ist – ein Motorradtreffen, das alljährlich von der Polizei veranstaltet wird – und alle da sind.
Aha! Guter Tip – hatte ich gar nicht mehr auf dem Zettel, dass das heute ist. Stade habe ich ohnehin auf dem Programm, passt! Einen Tanker, ein Containerschiff und einen Kaffee später geht es weiter.
Über Grünendeich und Hollern-Twielenfleth verlasse ich das Alte Land und fahre nach Stade. Die sehenswerte Stader Altstadt, die mangels Geld seinerzeit glücklicherweise nur wenig modernisiert wurde, lockt mit dem um 1700 erbauten Schwedenspeicher. Bei tollem Wetter, wie es heute ist, sitzt man hier und lässt den Lieben Gott einen guten Mann sein. Ich fahre aber zum Tag des Motorradfahrers. Tatsächlich sind hier jede Menge Biker und schauen sich das bunt gemischte Programm an. Die vorgesehene Korsofahrt findet erst in drei Stunden statt. Solange will ich nicht warten und breche daher wieder auf. Ziel: Ost – grobe Richtung Hamburg.
Am Schloss Agathenburg halte ich an und lasse die Geschichte auf mich wirken: Das Schloss Agathenburg wurde unmittelbar nach dem Dreißig-jährigen Krieg durch Hans Chr. von Königsmarck mit Blick auf das Elbtal und nahe Stade errichtet und diente als Landsitz. Das Dorf wurde nach Fertigstellung des Schlosses 1655 nach der Ehefrau Agathe von Lehsten, Agathenburg genannt. Ein Brand zerstörte 1921 das Schloss schwer.
Prahmfähre in Gräpel In Dollern verlasse ich die Bundesstraße 73 und fahre wieder in Richtung Altes Land. Über Mittelnkirchen und Steinkirchen führt mich der Weg – wieder an schön restaurierten Fachwerkhäusern vorbei – wiederum zum Elbanleger. Am Deich entlang fahre ich wieder ostwärts auf die K38 nach Ladekop und folge hier, mit einer ganz leichten Off-Road-Einlage, dem Obstlehrpfad in Wester-Ladekop.
Wer bis dahin noch nicht einen Abstecher in die blühende Botanik gewagt hat, kann es hier offiziell tun. Es erwarten einen die für die Region typischen Obstbäume: Kirschen, Äpfel und Zwetschgen.
Durch das Örtchen Jork mit seinem historischen Rathaus, dem Gräfenhof und der historischen Kirche führt mich der Weg über Estebrügge zurück nach Buxtehude, wo ich meinen Tag mit einer leckeren Hopfenkaltschale aus dem Buxtehuder Brauhaus beende.
Der nächste Tag beginnt mit einem besonderen Vorhaben, da die bevorstehende Tour fahrerisch nur wenig zu bieten scheint. Mein Ziel: Die bevorstehende Strecke durch die hiesigen Moorlandschaften weitestgehend Off-Road oder zumindest über Feld- und Waldwege – und legal – zu absolvieren. Eine Fahrradkarte der Region soll mir dabei behilflich sein. Als ich am frühen Morgen meine Wuchtbrumme starte, fängt es an zu regnen. Toll! Ich starte an meinem Wohnort wie geplant Off-Road und legal in Frankenmoor bei Bargstedt/Harsefeld. Über Wald- und Feldwege arbeite ich mich tatsächlich bis nach Bremervörde vor.
Ein Blick auf den Tacho lässt mein geplantes Vorhaben allerdings schon jetzt scheitern, nachdem ich für die bisher zurückgelegten 20 km bereits über eine Stunde benötigt habe. In Anbetracht meiner noch vorgesehenen Strecke lege ich mein Off-Road-Vorhaben also hier schon wieder beiseite.
Abgesehen von der Tatsache, dass mich meine vorgesehene Strecke heute weitestgehend durch Moorgebiete führen soll, befinde ich mich außerdem heute abwechselnd auf der Deutschen Fährstraße und der Deutschen Mühlenstraße. In Gräpel (bei Stade) steuere ich dann also auch gleich die erste Fähre an: Eine handbetriebene Prahmfähre, die über die Oste führt. Da ich heute morgen der erste Gast bin, werde ich Zeuge, wie der freundliche Fährmann die Fähre erst startklar machen muss. Per Handbetrieb wird die Fähre – samt Wuchtbrumme und mir – optisch relativ locker an einer Kette auf die andere Seite der Oste gezogen. Kaum vorstellbar, dass hier auch Autos und/oder jede Menge Personen auf diese Weise transportiert werden.
Schwebefähre in Osten Auf der anderen Oste-Seite durchfahre ich weitere Moorgebiete, wie das Nindorfer Moor, das Ehlandsmoor und das Wilde Moor, bis mich der Weg nach Hemmoor zum Kreidesee führt. Hier wurde von 1862 bis 1976 Kreide abgebaut. Diese wurde in einer Zementfabrik verarbeitet, die sich noch heute direkt am See befindet, heute allerdings als Museum dient. Nach Ende des Abbaus füllte sich die Grube mit Grundwasser. Das mit 60 Metern tiefste Gewässer Norddeutschlands ist heute als ganzjährig geöffnetes Tauch- und Freizeitzentrum international bekannt. Der See bietet Tauchanfängern und Profis ein anspruchsvolles Tauchrevier. In dem glasklaren Wasser werden darüber hinaus verschiedene Arten von Fischen gezüchtet, die auch beangelt werden können. Der See ist etwa 33 Hektar groß und durch seine Tiefe sehr kalt.
Nur einen Katzensprung weiter befindet sich die Schwebefähre in Osten, die aufgrund ihrer Bauweise kaum zu übersehen ist. Sie stellt seit 1909 eine Verbindung zwischen dem Ort Osten und dem Hemmoorer Ortsteil Basbeck her.
Die hier erbaute Schwebefähre ist eine von zweien in Deutschland und eine von acht in der Welt und heute ein Baudenkmal. Die Fahrt mit der Schwebefähre habe ich gerade um wenige Minuten verpasst, und da die Fähre nur zur jeweils zur vollen Stunde pendelt, nehme ich den unkomplizierten und wesentlich schnelleren Weg über die Brücke, die sich nur wenige Meter neben der Fähre befindet.
Über das Altendorfer und das Neuländer Moor tauche ich ins Kehdinger Land ein. Hier entdecke ich echten Torfstich. Allerdings wird dieser heutzutage nicht mehr mühsam per Hand abgebaut, so wie es noch die ehemaligen Kolonisten der Moorgebiete machen mussten, sondern, natürlich mit Baggern. Die Methode ist aber im Groben nach wie vor die gleiche wie vor einigen Jahrzehnten: Torf aus der Moorlandschaft ausheben, trockenen lassen und anschliessend nachbearbeiten. Für Interessierte und Touristen gibt es hier auch noch Torfstecher-Seminare, die die mühsame Arbeit der ehemaligen Kolonisten genauer abbilden.
Ich durchquere das Moor bis zur nächsten Fähre, der Elbfähre Glückstadt-Wischafen. Hier nehme ich mein zweites Frühstück ein. Da ich heute anderes geplant habe, verzichte ich auf die Überfahrt auf die andere Elbseite. Mein weiterer Weg führt mich auf die einstige Elbinsel Krautsand, die im Laufe der Jahre mehr Festland als Insel geworden ist. Auf der Fahrt dorthin bemerke ich plötzlich etwas, was mir die ganze Zeit zwar fehlte, mir aber bis gerade eben noch gar nicht richtig aufgefallen war: Hier gibt es Kurven! Ganz im Gegensatz zu der bisherigen heutigen Strecke.
Über eine schöne Allee mit uralten und riesigen Bäumen führt mich der Weg von Drochtersen nach Krautsand. Ich genieße das kurze Hin- und Her mit meiner Wuchtbrumme.
Auf Krautsand findet heute die Rasenmähertrecker-Weltmeisterschaft statt. Deswegen ist die Straße über den Deich ausnahmsweise geöffnet, und ich kann mit meiner Brumme quasi direkt an den Elbstrand heranfahren, was ich mir angesichts des weichen Sandes dann aber doch verkneife.
Mein nächstes Ziel ist die Festung Grauerort bei Abbenfleth. Die Festung Grauerort ist eine alte preußische Artillerie-Festung, die heute wieder aufgebaut wird und der Öffentlichkeit schon teilweise als Museum und Veranstaltungsstätte dient bzw. zur Verfügung steht.
Über das Bützflether und das Stader Moor fahre ich bis Greifenmoor, wo ich auf die Deutsche Mühlenstraße stoße, bevor ich über das Weiße Moor und vorbei an den moorgebietstypischen Birkenalleen den Weg zum Forellenhof Deinster Mühle fahre. Hier nehme ich auch noch einen kleinen Umweg die Hagener Mühle mit.
Kurz vor zu Hause fällt mir mein Vorhaben von heute Morgen wieder ein, und ich schlage anhand meiner Radwanderkarte den Weg über Wald- und Feldwege durch das Grölsmoor zum hiesigen Windpark ein. Für ein Foto halte ich direkt unter einem der gigantischen Windräder mit einem Rotordurchmesser von 82 m.
Zum Abschluss halte ich noch bei der Walkmühle in Ohrensen. Diese wurde schon im 17. Jahrhundert zur Klosterzeit betrieben und war noch bis 1907 als Mühle im Betrieb. Hier wurden Stoffe, Leinen sowie Ziegen- und Wildfelle gewalkt, um diese geschmeidig zu machen. Nur wenige Meter weiter beende ich meine 2-Tages-Sternfahrt in meinem Heimatort in Bargstedt mit einem ganz besonderen Fazit:
Obwohl ich den größten Teil der Strecke gut kenne, bin selber völlig überrascht, wie interessant und schön eine vermeintlich uninteressante Gegend sein kann, wenn man sich intensiv mit ihr beschäftigt. Frei nach Goethe: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen. Denn das Glück ist immer da.