aus bma 10/99
von Helge Böttle
Fünfzehnter Februar 1999, 16:00 Uhr, Oldenburg Hauptbahnhof. Schlechtes Wetter und der Abschied von der Familie können meine gute Stimmung nicht trüben. Noch ein kurzer Kontrollgriff in die Innentasche; das Ticket und der Reisepass sind da. Vor mir liegen drei Wochen Neuseeland und ich bin davon überzeugt, noch mehr zu erleben, als ich mir momentan vorstellen kann. Karg besiedeltes Land mit viel unberührter Natur, tolle Motorradstrecken und an den Abenden im Pub ein Bier mit den Kiwis trinken.
Nach der 29-stündigen Anreise mit Korean Air über Seoul komme ich am Vormittag in Auckland an. Durch den Zeitunterschied von 12 Stunden war auf dem Hinflug kaum Tageslicht zu sehen. Am Flughafen findet sich gleich ein Shuttle-Bus, der mich und einige andere Fluggäste in die Stadt bringt. Auf der Fahrt in die Stadt erhalte ich vom Fahrer die ersten Informationen über den Linksverkehr und einige besondere Regeln.
Als erstes werden die anderen Fahrgäste abgesetzt und danach geht es nach Downtown zum Motorradvermieter. Eigentlich hatte ich das Motorrad erst ab dem zweiten Tag gemietet, aber der Tag ist noch jung, ich fühle mich nach dem langen Nachtflug gut ausgeruht und möchte das Motorrad doch sofort mitnehmen, um der Großstadt zu entfliehen. Harald (er kommt aus Augsburg und arbeitet seit einigen Jahren als Motorradschrauber in Auckland) rät mir davon jedoch dringend ab. Er empfiehlt, lieber eine Nacht richtig auszuschlafen, denn das Linksfahren will geübt sein und dazu sollte man fit sein. Überzeugen kann er mich endgültig, nachdem er mir eine Unfallmaschine von einem anderen Touristen zeigt. Der „durfte” mit Knochenbrüchen liegend nach Hause fliegen.
Der Shuttlefahrer war die ganze Zeit dabei; nun gibt es zwischen den beiden eine kleine Diskussion über die beste Unterkunft für mich. Im Downtown Backpackers soll die organisierte Kriminalität umgehen. Also entschließen sie sich für einen Backpacker in Parnell. Dort werde ich von allen Seiten freundlich begrüßt und bekomme sogar ein Einzelzimmer für 25 Bucks (NZ$, 1 Neu- seelanddollar entspricht 1 DM). Nachdem mein Gepäck untergebracht ist und auch meine Kleidung endlich den Temperaturen entspricht, setze ich mich in die Stadt ab.
Auckland entspricht als Wirtschaftsmetropole mit seiner Größe ungefähr Bremen. Hier leben über eine Millionen Menschen, ein Drittel der Landesbevölkerung von 3,8 Millionen. Eine weitere Million verteilt sich über die Nordinsel und nur eine Million Menschen leben auf der Südinsel.
Auf dem Weg ins Zentrum komme ich wieder bei Harald vorbei. Ich schaue mir die gemietete Yamaha XT 600 E genauer an. Mit zwei Jahren und gut 30.000 km auf der Uhr macht die Maschine einen guten Eindruck. Neue Reifen und Kette und auch sonst gut gewartet steht sie zur Abfahrt bereit. Harald versteht offensichtlich was von seinem Job. Während unserer Unterhaltung gibt er mir noch ein paar Tips für meine bevorstehende Tour.
Am nächsten Morgen muss dann nur noch das Gepäck in die zur Verfügung stehenden Taschen gepackt und der Schlafsack auf den Soziussitz geschnallt werden und dann geht es auf dem kürzesten Weg aus der Stadt. Der quirlige und unübersichtliche Verkehr eignet sich nicht besonders zum Linksfahren üben.
Mein Tagesziel soll die Coromandel-Halbinsel sein; erst einmal Richtung Süden und dann links ab. Dort brauche ich nur den Schildern des Pacific Coast Highway (PCH) zu folgen. Der Name hält, was er ver- spricht. Kaum 30 km von Auckland entfernt wird es ländlich und von den Hügeln bietet sich mir ein wunderbarer Blick über die Inseln und Buchten, die Auckland vorgelagert sind. Der PCH schlängelt sich nun Kilometer um Kilometer immer in Küstennähe durch das leichte Hügelland.
Vor lauter ersten Eindrücken habe ich fast vergessen zu tanken. Eine Tankstelle ist schnell gefunden. Der Liter Super für 80 Pfennig, man sind das Aussichten. Mit einigen guten Tips vom Tankwart für meinen Weg geht es weiter. Beim Verlassen der Tankstelle fahre ich aus alter Gewohnheit gleich auf der rechten Seite weiter. Zum Glück ist nicht viel Verkehr und der erste entgegenkommende Autofahrer macht mich freundlich winkend darauf aufmerksam. Einen Schreck bekomme ich allemal.
Der PCH führt kurvig immer am Wasser entlang, auf der anderen Seite leichte Berge. Nach etwa 150 km erreiche ich Coromandel. Bei der Durchquerung der Halbinsel zur Pazifikseite hört die asphaltierte Straße plötzlich auf. Das Schild weist für die nächsten 32 km eine Scrabble-Road aus – eine richtige Schotterpiste durch die Berge, die meine ganze Aufmerksamkeit als ungeübter Offroadfahrer beansprucht. Nach einigen Kilometern fängt es allerdings an, Spaß zu machen und ich drehe schon mal etwas mehr am Gasgriff. Wie sich später herausstellen wird, ist dies hier nur ein kleiner Vorgeschmack.
Auf der anderen Seite der Halbinsel angekommen, fühle ich mich direkt ins Paradies versetzt. Whitianga, ein kleiner Ort an einer traumhaften Bucht gelegen. Einen mehrere Kilometer langen Sandstrand mit der Dünung des Südpazifik und an Palmen entlang führt die Straße in den Ort. Dort verzweigt sich die Bucht bis weit in das Landesinnere. Fast jeder Einwohner hat ein Haus mit Meerblick und in Sichtweite sein Boot im Wasser liegen.
Hier finde ich in einem Backpacker ein Bett in einem Shareroom für 15 NZ$. Der Backpacker ist einfach eingerichtet und sauber. Es wird sich in den nächsten Wochen herausstellen, dass das der Standard in den ländlichen Back-packers ist. In den Großstädten machen die Un- terkünfte allerdings meist einen abgenutzteren Eindruck und auch das Klima ist dort etwas anonymer. In den ländlichen Unterkünften werde ich immer sehr freundlich begrüßt und bevor über den Grund meiner Ankunft gesprochen wird, muss ich darüber berichten woher ich komme, wohin ich will und wie es mir gefällt. Für meinen weiteren Weg erhalte ich dann immer Tipps und andere gute Empfehlungen.
Ich teile mir das Zimmer mit vier anderen Männern aus Irland, England und Deutschland. Abends wird im Garten zusammengesessen und geredet. Auch hier gibt es den einen oder anderen guten Tip. Nachdem die selbst mitgebrachten Bierdosen leer sind, geht es in den Local Pub.
Nachts, auf dem Heimweg aus der Kneipe regnet es. Am nächsten Morgen ist der Himmel zwar noch wolkenverhangen und die Straße feucht, doch der Hauswirt kann mir glaubhaft versichern, dass sich das schon bald zum Besseren ändern wird. Also packe ich meine Sachen, suche mir ein kleines Lokal für ein Frühstück, echt englisch (das hält wieder bis abends vor), und dann geht es weiter.
Die Fahrt soll heute bis Roturua die Küste entlanggehen. Durch eine schmale Landzunge von der offenen See, der Bay of Plenty, abgeschnitten liegt die Bucht von Tauranga ruhig vor mir. Wunderschöne Buchten, an den Hängen Häuser mit freiem Blick über diese Gegend und viele weiße Boote im Wasser, lassen mir alles wie in einer anderen Welt erscheinen.
Oft werde ich bei meinen Pausen angesprochen. Die Kiwis sind auf eine nette Weise neugierig und ich muss viele Fragen über Deutschland beantworten. Wenn ich dann von 80 Millionen Einwohnern berichte, erhalte ich als Reaktion nur ungläubiges Kopfschütteln.
Über Tauranga geht es weiter. Von dem Mount Maunganui habe ich einen guten Ausblick über die Stadt, den Hafen und die weitverzweigten Buchten. In der sauberen und gemütlichen Innenstadt trinke ich eine Tasse Kaffee, dann geht es Richtung Roturua.
Roturua liegt im Landesinneren, in einer Gegend mit aktiven Vulkanen. Je weiter ich mich von der Küste entferne und in die Berge komme, desto kühler wird es. Am Abend komme ich in Roturua an und bekomme auch gleich eine Unterkunft im Downtown Backpacker. Dort teile ich mir ein Zimmer mit Aaron aus Minnesota. Abends gehen wir zum Essen in einen Pub. Für nur 12 NZ$ gibt es einen riesigen Grillteller mit allem drum und dran.
Etwas später fängt sich der Pub an zu füllen. Es ist Wochenende und das bedeutet in Neuseeland Zeit zum Ausgehen, sich mit Freunden auf ein paar Bier zu treffen und Spaß zu haben. Hier gibt es auch noch viele Wochenlöhner, die am Freitag Zahltag haben und es sich dann natürlich leisten können. Schnell sind die Sitzplätze gefüllt und wir bekommen Besuch an unserem Tisch. Es wird sich mit Handschlag begrüßt und vorgestellt, dann kommen wieder die Fragen über Deutschland. Schnell entwickelt sich eine Diskussion über die verschiedenen Lebensweisen, die Situation des Landes usw. Ich treffe keinen Kiwi, der nicht stolz auf den Lifestyle in Neuseeland ist. Immer wieder höre ich die dort typische Einstellung, dass der Mensch arbeiten muss um zu leben und nicht lebt um zu arbeiten.
Am nächsten Morgen schaue ich mich in Rotorua um. Jetzt finde ich auch die Erklärung für den an einigen Stellen intensiven Schwefelgeruch. Von kleinen Mauern umrandet liegen mitten im Zentrum heiße Quellen, aus denen heraus es kräftig qualmt. Die Rauchschwaden ziehen durch den Ort und verbreiten diesen Geruch. Gespeist von solchen Quellen gibt es ein Thermalbad, das wegen der heilenden Wirkung besonders gefragt ist.
Anschließend geht es zunächst den Lake Rotorua entlang und weiter nach Taupo. Diese Etappe wird nicht besonders lang und es bleibt mir genügend Zeit, die aktiven Vulkane von Waimangu zu besuchen. Dort dampfen die Seen bei bis zu 80° Celsius, teilweise zischt und blubbert es aus der Erde und es finden sich bizarre Formen und Farben wieder, die durch die Mineralablagerungen entstanden sind.
Die Fahrt nach Taupo führt durch ein leichtes Hügelland. Immer wieder tauchen in Sichtweite diese qualmenden Quellen auf. Die sind mit Warnschildern versehen, da sie nicht abgesichert und dadurch für Leichtsinnige gefährlich sind. Ansonsten ist die Fahrt nicht besonders aufregend, aber dafür geht es in Taupo gleich am Ortseingang richtig los. Taupo ist auf der Nordinsel das, was Queenstown auf der Südinsel ist. Ein Mekka für Outdoor-Freaks und Adrenalin-Junkies. Hier gibt es kaum etwas, was man nicht machen kann, von Sky-Diving und Jetbootfahren bis Bungee-Springen. Dazu kommt, dass der Lake Taupo ein absolutes Anglerparadies ist und dort mit die größten Lachse und Forellen gefangen werden.
Gleich am Ortseingang komme ich an der Bungee-Anlage vorbei. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, den berühmten Sprung in Queenstown zu machen. Doch als ich diese Anlage in der beeindruckenden Kulisse über dem Fluss und den steilen Klippen sehe, kann ich es mir nicht verkneifen und muss springen. Der Sprung selbst ist wirklich sehr aufregend, nur der Rückweg über die Felsen ist in der heißen Sonne be- schwerlich. Das erste Mal, dass mich die Lederhose stört. Ich habe Glück, weil die Organisatoren vergessen haben, die bestellten Fotos zu machen, darf ich noch mal runter. Umsonst!
Von den beiden Aufstiegen völlig durchgeschwitzt setze ich mich wieder auf das Motorrad und schaue mich nach einer Bleibe für die Nacht um. Es stellt sich nach einiger Zeit heraus, dass alle Unterkünfte ausgebucht sind, da an diesem Wochenende der 100 Meilen-Marathon um den Lake Taupo stattfindet. Das ist ein riesiges Volksfest, und alle Altersklassen nehmen daran teil. Nach langem Suchen finde ich eine Unterkunft auf einem Campingplatz, aber auch nur, weil der Betreiber mit seinen Söhnen ein Zelt für mich aufstellt.
In der Nacht regnet es den einen oder anderen Tropfen, aber mein Zelt wird nicht richtig getestet. Das ist auch gut so, denn einen besonders vertrauenswürdigen Eindruck macht es nicht. Am Morgen ist der Himmel strahlend blau und nach den ersten Kilometern am Lake Taupo entlang bekomme ich Sehnsucht nach meiner winddichten Motorradjacke, die zu Hause ist. Das Wetter ist umgeschlagen und bei schönstem Sonnenschein weht ein leichter aber beständiger Wind aus dem Süden, der ungemütlich kalte Polarluft mit sich bringt. Da habe ich mich mit meiner Jeansjacke verschätzt und nur noch die Regenkombi hilft, die kalte Luft abzuhalten.
Dafür entschädigt die Landschaft am Lake Taupo einiges. Die Fahrt geht nach Süden Richtung Wellington – erst am See entlang und dann über die Dessert Road durch die Berge an die Westküste. 140 Kilometer später kann ich die Hochebene, durch die die Dessert Road führt, verlassen und gelange nach Waiouru – mittlerweile ziemlich durchgefroren. Ein Grund mehr, mich im dortigen Kriegsmuseum über die neuseeländische Kriegsvergangenheit zu informieren und mich dabei aufzuwärmen. Viel Kriegsgeschichte hat das Land nicht, aber es ist interessant, einiges über die Eroberungskriege der vergangenen beiden Jahrhunderte und die Beteiligung an Einsätzen im Ersten und Zweiten Weltkrieg zu erfahren. Es scheint dort einigen Stolz darüber zu geben, was auch die recht häufig zu findenden Gedenkplätze erklären würde.
Danach geht es weiter Richtung Süden und heraus aus den Bergen. Es wird wärmer und das Fahren beginnt wieder Spaß zu machen.
Über die XT kann ich prinzipiell kein schlechtes Wort verlieren, denn sie hat die ganze Reise über einwandfrei gearbeitet und geschont worden ist sie nicht. Aber auf diesem, meist kurvenlosen Streckenabschnitt, fehlt ein gutes Stück Leistung. Mit leichtem Gegenwind ist häufig nicht mehr als 120 drin. Manchmal auch nur 110, denn dann fängt das Maschinchen an, sich beängstigend aufzuschaukeln. Auch fehlt bei den Temparaturen einfach ein brauchbarer Windschutz.
An der Tasmanischen See angekommen fahre ich an den Strand, um ein wärmendes Sonnenbad zu nehmen. Sorgen, das Motorrad mit dem Gepäck unbeaufsichtigt vor dem Strand stehen zu lassen, brauche ich mir nicht zu machen, denn in Neuseeland ist es kein Problem, damit direkt auf den Strand zu fahren.
Das Aufwärmen, ein erfrischendes Bad und Nickerchen an dem riesigen, fast menschenleeren Strand haben gut getan. Die Sonne steht schon ziemlich tief und es wird Zeit, dass ich mir eine Unterkunft für die Nacht suche. Die finde ich circa 40 km vor Wellington in einem kleinen Backpacker. Peter, der Betreiber, setzt frischen Tee auf und wir unterhalten uns über alles mögliche. Nach dem Tee zeigt mir seine Frau mein Bett und stellt mich allen anderen Gästen persönlich vor. Ich wundere mich darüber, wie sie sich die ganzen Namen der ständig wechselnden Gäste merken kann. Am Abend lerne ich Ina und Harald kennen, die Deutschland vor drei Monaten verlassen haben und seitdem mit einem alten Auto durchs Land reisen. Wir trinken gemütlich ein Bier auf der Terrasse und können von unseren Plätzen den Sonnenuntergang über dem Meer genießen.
Harald weiß über ein Blueskonzert Bescheid und dazu fahren wir nach Wellington. Bei dem Konzert handelt es sich allerdings um eine reine Kulturveranstaltung; man darf nur zuhören, durch Gespräche fühlen sich die anderen Gäste gestört. Ein kühles Blondes gibt es auch nicht. Und so beschließen wir einhellig, woanders hinzugehen. Leider ist das nicht so einfach, denn an Sonntagen darf in Neuseeland Alkohol nur in einigen lizensierten Pubs verkauft werden.
In diesem Backpacker gefällt es mir so gut, dass ich beschließe, eine weitere Nacht zu bleiben. Am nächsten Tag fahre ich auf Umwegen durch das Landesinnere nach Wellington. Nach einem Stadtbummel und ausgiebiger Sightseeing-Tour erstehe ich noch Tickets für die am nächsten Tag geplante Fährüberfahrt.
Am Morgen muss ich rechtzeitig an der Fähre sein. Als erstes werden die Autos verladen. Mit mir warten noch weitere Motorradfahrer darauf, „verladen” zu werden; wir kommen schnell ins Gespräch. Als die Motorräder seefest verzurrt sind, geht es gemeinsam in das Bordrestaurant. Bei einem gemütlichen Frühstück gibt es jede Menge zu erzählen. Zwei sind auf dem Weg nach Süden um mit ihren Transalps an einer zweiwöchigen Safari durch unbefestigtes Bergland teilzunehmen. Shayne ist auf dem Weg, Freunde in Oamaru zu besuchen. Während der dreistündigen Überfahrt klinkt er sich aus der Runde für eine Stunde aus, um seinen Geschäften nachzugehen. Mit Notebook und Handy werden Briefe und E-Mails beantwortet. Dann ist das Tagesgeschäft erledigt und er kann sich wieder den Sachen zuwenden, die ihm wichtig sind. Das versteht er unter Lifestyle und dabei geht es ihm offensichtlich ganz gut.
In Picton auf der Südinsel angekommen halte ich an der ersten Kreuzung an, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Einen Augenblick später kommt Shayne mit seiner HD Heritage vorbei. Wir unterhalten uns noch über die weiteren Wege und er gibt mir seine Handy-Nummer. Ich soll ihn anrufen, wenn ich durch Oamaru komme, damit wir zusammen mit seinen Freunden noch ein Bierchen trinken können.
Für den kurzen Weg nach Nelson brauche ich länger als geplant, denn immer wieder bietet sich von der sehr kurvigen Strecke ein guter Ausblick. Die Fjorde liegen sehr weit unter mir, die Schiffe sehen aus wie Spielzeug. Da die Straße meine ganze Aufmerksamkeit fordert, kann ich den Anblick nur in den häufigen Pausen genießen. Trotzdem komme ich am frühen Nachmittag in Nelson an, was auch nötig war, denn ich muss dringend eine Waschmaschine anstellen. Die gibt es in fast allen Backpackers, und während die Maschine läuft, bleibt genug Zeit, den Ort etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Diesmal allerdings zu Fuß, denn in den letzten Tagen hat die nicht sehr komfortable Sitzbank der XT meinem Allerwertesten ziemlich zugesetzt. Der braucht auch mal eine Pause.
Nelson ist eine schöne kleine Stadt und liegt direkt an der Tasman-Bay. Ich schlendere die lange Shopping-Meile entlangt – sehr ordentlich und mit Liebe zum Detail angelegt. Die Neuseeländer legen offensichtlich viel Wert auf ihre Einkaufsstraßen, denn die finde ich in jeder noch so kleinen Stadt. Am Ende der Straße findet sich ein netter Pub. Draussen ist an einem Tisch noch ein Platz frei und ich setz mich dazu. Wir beginnen uns auf englisch zu unterhalten, stellen bei unseren Akzenten aber schnell fest, dass es auf deutsch einfacher ist. Peter hat sich für ungefähr drei Monate mit Zelt und Angelausrüstung aus Deutschland abgesetzt. Mit einem gebraucht gekauften Motorrad tourt er schon einige Zeit durch Neuseeland. Da gibt es wieder mal jede Menge zu erzählen.
Abends wird es in Neuseeland schnell kühl, und wir setzen uns rein. Dort wird gerade das Equipment einer Band aufgebaut. Wir essen gut zu Abend, und dann gibt es Jazz vom Feinsten von den lokalen Meistern mit so viel guter Stimmung, dass der Abend einfach Spitze wird.
Wenn man in Sharerooms übernachtet, braucht man eigentlich keinen Wecker. Einer fängt immer früh an, in seinem Gepäck zu wühlen. Da mir mein Wecker schon recht früh kaputt gegangen ist, stört mich das nicht weiter, denn nach der letzten Nacht hätte ich leicht verschlafen können. Ich habe aber nur drei Wochen Zeit, und Neuseeland ist größer als ich dachte. Dazu kommen die vielen ungeplanten, aber gewollten Unterbrechungen, die eine Menge Zeit brauchen. Leider kann ich nicht an allen interessanten Stellen anhalten oder dahin Umwege machen, denn die Zeit rast und ich möchte noch die Südinsel umrunden und muss die Nordinsel durchqueren, um nach Auckland zurück zu kommen. Hätte ich vor der Reise einen genauen Routenplan ausgearbeitet, dann wäre der garantiert schon völlig hinfällig. Es ist einfach nicht möglich, alles so genau zu planen und auch viel aufregender, sich treiben zu lassen.
An diesem Tag geht es an der Kahurangi-Halbinsel vorbei in Richtung Westküste nach Greymouth. Die Westküste ist eine der eindrucksvollsten Strecken in Neuseeland und gehört dort zu den am dünnsten besiedelten Gegenden. Die Küste entlang führt der Highway 6 circa 500 Kilometer, um dann über den Haast Pass nach Osten in die Southern Alps abzubiegen. In Greymouth, ungefähr 350 km vor Haast, gibt es noch eine Gelegenheit, über den Arthur’s Pass in Richtung der belebteren Ostküste zu fahren. Von einem Dorf bis zum nächsten kann man schon mal bis zu 50 km nur durch unberührte Natur fahren. Wichtig ist für mich natürlich zu wissen, wo die nächste Tankstelle ist – bei der Reichweite der XT von etwa 200 km. Sicher würde jeder vorbeikommende Kiwi anhalten und Hilfe anbieten, wenn man einmal liegenbleibt, aber wenn keiner kommt… Also denke ich daran bei jedem Tanken zu fragen. Danach kontrolliere ich die Auskunft nochmal auf der Karte, denn schon früh habe ich festgestellt, dass die Entfernungsangaben der Neuseeländer nicht immer so genau sind.
Bei bestem Sommerwetter und – wie fast immer – bei sehr guten Straßenverhältnissen genieße ich die Fahrt nach Greymouth. Die Küste wechselt ständig zwischen Klippen und langen Sandstränden. Immer wieder finde ich kleine Buchten mit einsamen Stränden, an denen Seehunde in der Sonne liegen und sich offensichtlich wohlfühlen. Nur selten treffe ich jemanden. Dann wird sich freundlich begrüßt und manchmal auch etwas unterhalten. Am späten Nach- mittag komme ich in Greymouth an. Das ist eine wirklich ruhige kleine Hafenstadt. Die Bürgersteige sind bereits hochgeklappt. Der Backpacker ist gemütlich und ordentlich. Nach einem Spaziergang durch die Stadt komme ich schnell zu meiner Unterkunft zurück. Auf der Terrasse verbringe ich den Abend im Gespräch mit Steve aus Kanada.
Am nächsten Morgen herrscht schon sehr früh reges Treiben in den Zimmern. Viele müssen einen Bus erreichen und sind deswegen am Packen. Bei der Unruhe hält es mich auch nicht mehr im Bett und so sitze ich schon um sieben Uhr wieder auf dem Motorrad. Ein Frühstück gibt es noch nicht, also fahre ich los. Heute soll es Richtung Glacier gehen. Die ersten 50 Kilometer sind langweilig zu fahren – flach, geradeaus und mit Gegenwind. Genau das, was mir mit der XT am wenigsten Spaß macht. Dafür hat sich die Maschine auf den kurvigen Bergstrecken bestens bewährt. Zwar musste ich häufig herunterschalten, aber es macht Spaß, das wendige Motorrad durch die engen Kurven laufen zu lassen. Ich kann angesichts der Straßen dort nur schwer verstehen, warum die Neuseeländer so eine Vorliebe für die unhandliche Harley-Davidson haben.
Gegen Mittag komme ich in dem Glacier-Gebiet an. Nach einem halbstündigen Spaziergang an den Franz Josef-Glacier bin ich von dessen Ausmaßen beeindruckt. Nur wenige Meter oberhalb des Meeres- spiegels – ein solcher Gletscher soll einmalig auf der Welt sein. Für den Tourismus wird hier wieder alles möglich gemacht. In dem kleinen Touristenort stehen fünf Hubschrauber bereit, um jeweils vier Touris für ungefähr 100 NZ$ pro Kopf auf den Gletscher zu fliegen. Ich begnüge mich mit dem Fußmarsch und fahre anschließend zum Fox Glacier weiter.
Weiter gehts mit Teil 2
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