aus bma 11/05
Text: Claudia Suleck
Foto: Ingo Cordes
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Sattgrüne Hügel, unergründliche Seen, rot glühende Himmel. Zusammen mit den einsamen, windigen Straßen ist Neuseeland ein Abenteuerspielplatz für Motorradfahrer.
Hilfsbereitschaft und grenzenlose Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Offenheit beeindrucken uns auf unserer Reise am anderen Ende der Welt. Mit viel Charme wickelt uns Neuseeland Kilometer für Kilometer um seinen grünen Finger.
„This is a bee am double u, isn’t it?” Die stahlblauen Augen des bärtigen Typen an der Tankstelle bohren sich förmlich in den Boxermotor. Mit braungebranntem Oberkörper lehnt er lässig an der Zapfsäule, während seine kräftige Hand anerkennend über die Sitzbank streicht. Noch vor wenigen Stunden kuschelten die beiden BMWs in einer selbstgebauten Holzkiste nebeneinander, warteten darauf, die Quarantäneinspektion zu überstehen. Bereit, für unsere fünfmonatige Auszeit, starten wir die voll getankten Maschinen. Der Tankwart zwinkert mir zu, hebt locker die Hand. „Take it easy, guys!” Recht hat er!
Elegant schlängelt sich die Straße durch die hügelige Landschaft des Waipoua Kauri Forest an der Westküste. Über uns liegt das satte, frisch-grüne Pflanzendach des Urwaldes. Die Kauri-Bäume scheinen in dieser fremdartigen Vegetation bis in den Himmel zu reichen. Darunter auch der 1200 Jahre alte Tane Mahuta, von den Maori als „Herrscher des Waldes” verehrt. Wir fahren weiter Richtung Norden, die Sonne als ständigen Begleiter vor uns. Hier am anderen Ende der Welt nimmt die Mittagssonne ihren Weg über den Norden und steht dort am höchsten. Den nördlichsten Punkt Neuseelands bildet das Cape Reinga. Entlang der Westküste des Capes verläuft der Ninety Miles Beach. Lediglich bei Ebbe ist es möglich, die Sandüberfahrt zu starten. Wir haben die „High Tide” seit zwei Stunden hinter uns gelassen und wagen die Passage. Endlos ziehen sich die Spuren der Stollenreifen durch den Sand. Meter für Meter zieht sich das Wasser zurück, eröffnet einen immer breiter werdenden Strand für uns. Wir treffen auf einem von Treibsand eingegrabenen Rosthaufen, der zu besseren Zeiten einmal einen Pickup darstellte. Das Meer hat seine eigenen Gesetze!
Das Cape umrundet, trotten unsere BMW’s die Küste entlang Richtung Bay of Islands. 240 km nördlich von Auckland liegen unzählige verstreute Inseln in einer wunderschönen Küstenlandschaft. Dieser Ort hat historische Bedeutung. Hier wurde der Vertrag von Waitangi unterzeichnet, der die Vereinbarung zwischen den Maori-Ureinwohnern und den damals eingewanderten Europäern darstellt. Entlang schmaler, staubiger Gravelroads und gebirgigem Hinterlandbusch der klimatisch milden Coromandel Peninsula erreichen wir einige Sonnenaufgänge später die Waitomo-Caves. Das kleine Dorf mit großem Ruf liegt rund 16 km südlich von Otorohanga entfernt. Sickerwasser hat unter der Erde Felsen zu bizarren Formen und einem einzigartigen Höhlensystem verholfen, welche im Rahmen von Erkundigungs- und Erlebnistouren besichtigt werden können. Erste Instruktionen zu dem viel versprechenden „Black Water Rafting” liefert ein Typ wie ein Schrank namens Hob. Wir bekommen Neoprenanzüge angepaßt sowie weiße Gummistiefel mit griffiger Sohle. Mit Helm und Stirnlampe auf dem Kopf und einem alten Autoschlauch unter dem Arm stapfen wir in den dunklen Bauch der Höhle. Leichter Nebel breitet sich vor dem Eingang aus und die Dunkelheit liegt kalt und naß vor uns. Eiskaltes, reißendes Wasser nimmt uns in Kürze in Beschlag und wir stecken schneller als uns lieb ist bis zum Hals in der Strömung. Über glitschige Felsvorsprünge, unter steinerne Brücken suchen wir unseren Weg durch den Berg. Plötzlich stehen wir vor einem etwa drei Meter tiefen Wasserfall. „Ihr springt rücklings von hier oben hinunter in das Wasserbecken!” ertönt die dröhnende Stimme von Hob. „Laßt den Reifen an Eurem Hinterteil, bis Ihr unten angekommen seid!” Ich bin als zweite an der Reihe und meine gute Erziehung erlaubt es mir nicht, mit Hob noch länger übers Umkehren zu diskutieren. Nase zu und durch. Verflixt, ist das eine Strömung, aber ich lande ziemlich weich im großen Bassin. Halb so schlimm wie ich dachte! Auf dem großen schwarzen Gummi sitzend paddeln wir weiter, das heißt, eigentlich trägt uns ohne große Anstrengung die Strömung vorwärts. Plötzlich erneut die laute, hallende Stimme von Hob: „Stirnlampen ausschalten und Augen nach oben!” Die Grotte ist in einem gespenstischen, mattgrünen Licht erleuchtet, das von unzähligen Glühwürmchen abgegeben wird. Wie der Himmel bei Nacht erscheint die Höhlendecke zum Greifen nahe. Von Biegung zu Biegung gleiten wir weiter durch die Dunkelheit, bis endlich das vertraute Tageslicht wieder vor uns erscheint.
Der Besuch im Kiwihaus im angrenzenden Otorohanga geht weitaus weniger aufregend von statten. Es bietet Besuchern die Möglichkeit, den scheuen, struppigen, grauen Vogel aus nächster Nähe zu sehen. Das Wahrzeichen der Neuseeländer ist etwa so groß wie ein Huhn und hat einen überdurchschnittlich langen gelben Schnabel, an dessen Ende sich die Nasenlöcher befinden. Wie mit einem Blindenstock stochert der Kiwi durch den Wald und spürt Käfer, Spinnen, Würmer und Beeren auf. Früher mußte der flugunfähige Vogel keinerlei Gefahren fürchten, weshalb er auch das Fliegen verlernt hat. Heutzutage lauern nicht nur Hunde, Katzen und Wiesel auf ihn. Auch das aus Australien kommende Possum stellt eine große Gefahr für sein Leben dar. In den Wäldern werden aus diesem Grund Fallen mit vergifteten Ködern aufgestellt. In ganz Neuseeland gibt es mittlerweile nur noch 15.000 Exemplare des seltenen Vogels.
In einer 45 Grad Lage versuchen mein Motorrad und ich uns gegen die Westwinde durchzusetzen. Eine dicke Regenwand begleitet unseren Weg zum Tongariro Nationalpark. Dieser umschließt eine der atemberaubendsten Landschaften der Nordinsel. Hoffnungsvoll starten wir am nächsten Morgen die 17 km lange Tongariro-Crossing Wanderung. Grau-grün liegt die alpine Vulkanlandschaft vor uns. In einem kleinen Tal zu unserer Linken plätschert ein klares, eiskaltes Bächlein, das dunkelgraue Sandbänke aus feinstem Vulkanstaub umspült. Die erstarrten schwarzen Lavaflüsse liegen dem von dünnen Schleierwolken umhüllten Mount Tongariro zu Füßen. Zögerlich quält sich die Sonne über den Berg, als sich die ersten Höhenmeter vor uns auftun. Wir durchqueren die flache Pfanne des South Kraters, eine riesige Sandwüste des mittlerweile stillen Kraterbodens. Auf dem ockerfarbenen Geröll des Bergrückens orientieren wir uns dem höchsten Punkt entgegen. Drohend liegt dort oben der geöffnete Schlund vor uns. Hervorquellende Schwefel-dämpfe nehmen uns die Luft zum Atmen. Wie glühender Stahl dominieren die purpurroten und schwarzen Kesselwände im Fels. Eine wahrlich aufregende Farbenszenerie zusammen mit dem hellblau und smaragdgrün schimmernden Wasser des Emeral Lakes.
Dicke, sattgelbe Ginsterbüsche entlang der windigen Straße zieren tags darauf unsere Weiterreise. Kühe mit prallgefüllten Eutern flanieren über leuchtend grüne Weiden, die uns auf unserem Weg nach Waitarere begleiten. In dem verschlafenen Küstenörtchen nahe Wellington sind unsere Freunde Kathy und Murray zu Hause. Murray fährt seit Kindesalter Motorrad und kennt die Gegend wie seine Westentasche. Die Sightseeingtour mit ihm querfeldein durch feuchten, moosigen Wald wird von dichtem Gestrüpp erschwert, bevor wir die Motorräder über angeschwemmtes Treibholz manövrieren müssen. Die Belohnung läßt nicht lange auf sich warten. Menschenleer, lediglich bedroht von der herannahenden Flut, liegt der Strand vor uns im Dunst. Das Land scheint den Atem anzuhalten. Aber auch das grenzenlose Hinterland nimmt uns gefangen als wir die engen, steilen Schotterkurven der in Nebel gehüllten Berge erklimmen.
Weihnachten naht und auch der neuseeländische Weihnachtsbaum beginnt langsam zu blühen. Der Pahutukawa wird auch New Zealands Christmas Tree genannt und wurde zum Nationalbaum ernannt. Neuseeland wird in der Maori-Sprache „Aotearoa” genannt, was übersetzt „Land der langen weißen Wolke” bedeutet. Hier scheint es an nichts zu fehlen. Lediglich Marzipankartoffeln haben wir noch nicht gefunden. Wir legen unsere Hoffnungen auf die Hauptstadt Wellington. Randvoll gefüllt mit Flair und Charakter bildet sie eine willkommene Abwechslung zu den letzten Wochen Natur und Einsamkeit. Die Cuba Street hat es uns angetan. Das flippige Einkaufsviertel mit verrückten Cafés und vielseitigen Menschen läßt uns einfach nicht los. Eine phantastische Aussicht über Wellington und die davor liegende Bucht erhält man bei einer Fahrt mit dem Cable Car westlich des Zentrums. Diese Lage der Stadt läßt keinen Zweifel offen, daß Wellington zu Recht die Hauptstadt Neuseelands ist. Tatsächlich aber hätte das wesentlich größere und wirtschaftlich besser gestellte Auckland diesen Anspruch gerne für sich behauptet. Diesbezüglich liegen die beiden Städte im ständigen Wettstreit, dem Wellington bis heute allerdings tapfer standhält.
Traditionelles Schnitzerhandwerk in Whakarewarewa
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Selbst am anderen Ende der Welt steht die Zeit nicht still und treibt uns der östlichsten Spitze Neuseelands entgegen, dem East Cape. Von Gisborne aus folgen wir der 343 km langen East Cape Road. In den verschlafenen Küstenörtchen scheint der Tourismus noch keinen Einzug gefunden zu haben. Der Anteil der Maoribevölkerung liegt mit fast 60% extrem hoch am rauen, ursprünglichen Cape. Fast ein Drittel des Landes ist im Besitz von Maori-Familien. Ozean und Himmel scheinen in diesem einsamen Landesteil einfach aufzuhören. In Rotorura werden wir in die Realität zurückgeholt. Ein widerlicher Gestank von faulen Eiern hängt über der Stadt. Öffnungen in der Erdkruste lassen Schwefelwasserstoff aufsteigen, der für diesen unangenehmen Geruch sorgt. Maoris haben für das Stadtzentrum wohl den passendsten Namen gefunden: „Whangapipiro”, was soviel heißt wie „fürchterlich stinkender Platz”. Trotzdem wimmelt es hier von Touristen. Eines der beliebtesten Reiseziele auf Neuseeland hat auch allerlei zu bieten. Das zugänglichste Geothermalgebiet der Welt zeigt Geysire, die beachtliche Fontänen in die Höhe schießen. Heiß und temperamentvoll brodeln die Thermalquellen von Whakarewarewa. Die dampfenden Schwaden hängen über blubbernden, kochenden Schlammlöchern, während farbenfrohe Mineralablagerungen an den Rändern der Wasserbecken dem Auge Abwechslung bieten. Nirgendwo sonst in Neuseeland wohnen mehr Maori zusammen als in Rotorua. Täglich bieten kulturelle Aufführung eine Einführung in die Maori-Welt der Kriegstänze Haka, Gesänge und Tradition. Ein kurzes, sanftes Aneinanderreiben der Nasen spiegelt die Maori Begrüßung Hongi wider. Fast alle Namen der Nationalparks, Küsten und Orte sind in der alten Maori-Sprache angegeben. Für uns denkbar ungewöhnlich, so scheinen sich die Vokale ohne Unterbrechung aneinander zu reihen.
Vorbei am Lake Rotorura schlängeln wir uns durch eine grüne, hügelige Landschaft in der Bay of Plenty. Riesige grüne Felder mit Kiwipflanzen zieren das Terrain. Die Einladung der Farmerfamilie Jensen folgend steuern wir deren Plantage an, um von ihnen als Spezialisten die Geheimnisse des Kiwianbaus zu erfahren. Dutzende von Hektar sind bepflanzt mit grünen und goldenen Kiwis, um in wenigen Wochen abgeerntet zu werden. „Jeder fünfte Baum in jeder Reihe ist männlich”, erklärt John geduldig. „Und durch den Wind und die Bienen beginnt im Frühjahr die Bestäubung, um all diese guten Früchte hier zu erhalten.” Er pflückt eine eigroße goldene Kiwi vom Baum und hält sie mir unter die Nase. Noch sind sie sauer und die Kerne im Inneren hell. Aber dank der starken neuseeländischen Sonne reifen sie rasch zu süßen, saftigen Früchten heran.
Neuseeland, die Insel der Kontraste. Landschaften, die gegensätzlicher nicht sein können. Südseestrände und tropische Regenwälder, dschungelartige Vegetation, Hochgebirge und sanft hügeliges Weideland.
Ein Paradies, in dem jeder genug Platz hat, sein Glück zu finden. Nirgendwo ist der Himmel so weit und das Grün so satt. Neuseeland strahlt einen Zauber aus, dem sich niemand entziehen kann.
Bei Fragen sind die Autoren unter www.Reisemotten.de zu erreichen.
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