aus Kradblatt 11/22 von Marcus Lacroix

Gespaltene Persönlichkeit …

Triumph TE1 - der elektrische Prototyp ist en echter Hingucker
Triumph TE1 – der elektrische Prototyp ist en echter Hingucker

Nach vier Jahren fand vom 4. bis 9. Oktober in Köln endlich wieder die INTERMOT statt. Die internationale Motorradmesse läuft ja im Gegensatz zur jährlich stattfindenden Eicma in Mailand im Zweijahres-Rhythmus und 2020 fiel sie wegen der Corona-Pandemie, wie so Vieles, natürlich aus. 

Ein abschließendes Fazit zur diesjährigen INTERMOT zu ziehen, fällt mir ziemlich schwer. Und das geht offenbar nicht nur mir so, wenn man sich die Artikel von Kollegen so anschaut. In der Abschluss-Presse­info sprechen der Industrie-Verband Motorrad e.V. (IVM) und die Koelnmesse GmbH von einem „gelungenen Neustart nach vier Jahren“ mit „insgesamt rund 100.000 Privat- und Fachbesuchern“ und zitieren diverse positive Stimmen aus der Branche. Verfolgt man hingegen Social Media Kanäle, muss die INTERMOT 2022 laut verschiedenen Besuchermeinungen, die größte Katastrophe der Messewelt gewesen sein. Party oder Beerdigung? Gespaltener kann man kaum sein. Und wie habe ich die Messe erlebt?

Das Hotel war – wie auch vor zwei Jahren – früh gebucht. Bei einem kurzfristigen Ausfall hätten wir (Kollege Guido vom bmm und ich) uns halt wieder zu einer Motorradtour verabredet, das hat 2020 auch viel Spaß gemacht. 

Große Erwartungen an die Messe hatte ich nicht, jeder kennt die angespannte Lage am Markt, Corona ist immer noch Thema, die gestörten Lieferketten weiterhin eine Last für Handel und Hersteller, der verabscheuungswürdige Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine inkl. der weiteren Folgen hebt auch nicht gerade die Verbraucherstimmung. Wobei unsere Stimmung da wohl eher ein Luxusproblem ist, aber das nur am Rande.

Entsprechend erwies sich auch die INTERMOT 2022 auf dem ersten Blick mehr wie ein Schatten ihrer selbst. Ganze drei Hallen in dem großen Messe-Komplex waren belegt und die auch noch recht übersichtlich. Dazu kamen großzügige Freiflächen im Innen- und Außenbereich für Probefahrten, Ausstellungen und das Show- und Action­programm. Die Regionalmessen HMT und Motorräder Dortmund haben (gefühlt) nicht weniger zu bieten.

Honda präsentierte die neue CB 750 Hornet
Honda präsentierte die neue CB 750 Hornet

Der Zeitplan für uns Pressevertreter, die sonst von einem Termin zum nächsten hetzten, sah recht überschaubar aus – so wie auch das ganze Pressezentrum, das sonst brummte wie ein Bienenstock – etwas verwaist wirkte. Gleich mehrere große Motorradhersteller glänzten auf der INTERMOT mit Abwesenheit. Über die Gründe von Ducati, Harley-Davidson, Indian, KTM und Yamaha mag man spekulieren, schön war es nicht. Genannt wurden u.a. fehlende Fahrzeuge und logistische Probleme durch die Nähe zur Eicma. Dass KTM sich als „Nebenaussteller“ mit einer Handvoll Motorräder auf dem Stand des Schweizer Pflege- und Schmiermittelherstellers Motorex zeigte, machte das Ganze nicht besser. Viele Aussteller, nicht nur aus Asien, fehlten ganz. Reifenhersteller, die Reisebranche, Bekleidung & Zubehör u.v.m. waren z.T. eher spärlich vertreten. Auch die Präsentation von Neuheiten fiel überschaubar aus. 

Immerhin zelebrierte Honda die Weltneuheit CB 750 Hornet angemessen im Rahmen der kompletten Modellpalette auf einer standesgemäßen Ausstellungsfläche. Die gefällig gestaltete Maschine dürfte sich als massentauglich erweisen, die Leistungsdaten versprechen Fahrspaß und Alltagstauglichkeit: 92 PS, vollgetankt 190 kg, Benzinverbrauch 4,3 Ltr/100 km. Die Ausstattung inkl. Connectivity und Fahrassistenzsystemen ist ordentlich, der Preis von 7.890 € inkl. Nebenkosten eine Kampfansage, nicht nur an die chinesischen Mitbewerber. Wir sind gespannt auf die ersten Fahrberichte.

Energica Experia – elektrischer Tourer aus Italien
Energica Experia – elektrischer Tourer aus Italien

Die nächste Pressekonferenz veranstaltetet Energica, die natürlich ihren elektrischen „Green Tourer“ Experia in den Vordergrund rückten. Der Presse war das Bike schon bekannt, einen Fahrbericht könnt ihr im Kradblatt 8/22 (auch in der App) bzw. auf unserer Website lesen.

Auf die hypermoderne Energica folgte eher archaisch Royal Enfield, die hierzulande durch den österreichischen Importeur KSR vertreten sind. Dass KSR seine anderen Marken – und das sind einige – nicht am Start hatte, fand ich pers. sehr bedauerlich. Royal Enfield präsentierte als Neuheit die Hunter 350, die auf den schon bekannten Classic und Meteor 350 basiert (Fahrberichte siehe www.kradblatt.de). Durch die einteilige Sitzbank und andere Komponenten wirkt die Maschine deutlich moderner, hat sich aber trotzdem einen liebenswerten Retro-Charme bewahrt. Die Fahrleistungen dürften ähnlich sein, der 349-ccm-Einzylindermotor mit 20,4 PS ist ja der Gleiche. Bei einem Preis von nur 4.490 € wird die Hunter sicher bei einigen Retro-Fans als Zweit- oder Drittmoped in die Garage einziehen.

Horex Regina Evo - u.a. mit einem Carbonrahmen
Horex Regina Evo – u.a. mit einem Carbonrahmen

Weiter ging es zu Horex – ja, die gibt es immer noch, auch wenn wohl kaum jemand mal eine in freier Wildbahn gesehen hat – die ihre Interpretation einer modernen Regina zeigten. Deren in Oldtimerkreisen gefeierte Ahnin lief von 1949 bis 1956 vom Band. Die Neuinterpretation Regina Evo wird vermutlich, so wie auch die Horex VR6 Modelle, bei irgendwelchen Sammlern in Vitrinen und Wohnzimmern landen – bei einem erwarteten Preis von nicht unter 30.000 € kein Wunder. Dafür gibt es dann eine (trocken) 133 kg leichte 600er, mit Rahmen und Schwinge aus Carbon und diversen edlen Zutaten. 2023 soll sie, rechtzeitig zum 100-jährigen Firmenjubiläum, erhältlich sein. In einer Vitrine (wie passend) konnte man außerdem das neue Sondermodell VR6 RAW 99 bewundern. Die gibt es ab März 2023 dann für ca. 50.000 €. Was sich die Horex-Stand-Designer bei der riesigen leeren Teppichfläche gedacht haben, blieb mir übrigens ein Rätsel. Das wirkte nicht edel sondern peinlich, so als ob die Fahrzeuge nicht rechtzeitig geliefert wurden. Ein paar gemütliche Sofas zum Betrachten der Regina (hoch oben auf dem Podest) wären ok gewesen, auf Nachfrage hatte man aber Befürchtungen, dass Familien mit Kindern darauf abhängen und alles vollkrümeln. Immerhin passt die ehrliche Aussage zum elitären Rest …

Der US-amerikanische Elektromotorradpionier Zero stellte im Anschluss die DSR/X vor. Auch diese Maschine konnten einige Händler und Pressevertreter schon fahren, öffentlich war sie aber erstmals auf der INTERMOT präsent. Wir stehen auf der Liste für den Presse-Vorführer, der demnächst die Runde macht. Dass Zero über eine Finanzierungsrunde 110 Mio. Euro akquiriert hat, wurde auch schon kurz vor der Messe bekanntgegeben; u.a. ist die Hero MotoCorp, einer der größten Motorradhersteller Indiens mit an Bord. Die Erlöse sollen der Finanzierung des weltweiten Geschäftswachstums und zur Einführung neuer Modelle dienen. 

Auch Kawasaki präsentiere einen elektrischen Prototypen
Auch Kawasaki präsentiere einen elektrischen Prototypen

Von Zero gings weiter zu Kawasaki, wo ebenfalls der Wandel in der Mobilität ein Thema war. Als eine mögliche Option für Elektromotorräder der Zukunft wurde ein Prototyp vorgestellt, der allerdings schon recht produktionsfertig wirkte. Von den Abmessungen her eine Maschine der 125 ccm Klasse für den urbanen Bereich, wo Akkus ja bereits heute schon sehr gut funktionieren. Kawasaki bekannte sich aber ausdrücklich weiter zum Verbrennungsmotor und arbeitet nach eigener Aussage intensiv an Lösungen mit E- und Bio-Fuels sowie an wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen. Ein Wasserstoff-Fourwheeler wurde in einem Video gezeigt. Wie Honda legte auch Kawasaki mit einem schönen Stand und der kompletten Modellpalette einen ordentlichen Auftritt hin. Dass der E-Prototyp aber schon am zweiten Tag wieder verschwunden war (angeblich zur Vorbereitung für die Eicma), war echt ärgerlich.

SOL - definitiv ein Hingucker
SOL – definitiv ein Hingucker

Um 16 Uhr schloss Triumph den Reigen der Pressekonferenzen. Gezeigt wurde zum 60. Jubiläum der 007-Filmreihe ein limitiertes James Bond Sondermodell der Speed ­Triple 1200 RR. Natürlich gibt es weltweit nur 60 Exemplare, von denen 10 für Deutschland und Österreich vorgesehen sind. Die durfte man ab dem 17. Oktober ersteigern. Der Startpreis betrug 24.845 €, alles was darüber hinaus geht wird für einen guten Zweck gespendet. Des weiteren wurde eine Chrom-lastige Rocket enthüllt, übrigens humorvoller Weise von coolen sonnenbebrillten „Geheimagenten“ mit Fliege, statt von den andernorts üblichen „Bond-Girls“. Mein persönliches Highlight folgte zum Schluss: die elektrische Triumph TE1. Was für ein geiles Teil, die hätte ich sofort gekauft. Leider ist es nur ein Prototyp, aber auch hier war das E-Thema unübersehbar.

Am zweiten Tag blieb dann mehr Zeit, sich mit Marken, Modellen und Menschen zu beschäftigen. 

Bemerkenswert professionell setzte sich die Qianjiang-Gruppe mit ihren Marken Benelli, Keeway und EZI ins Rampenlicht. Viele Modelle zum Anfassen und Probesitzen, dazu passende Ansprechpartner – so geht Messe.

Der Benelli Stand hätte auch BMW zur Ehre gereicht. Die Berliner hatten sich offenbar eher kurzfristig dazu entschlossen, doch noch zur INTERMOT zu kommen (was man so hörte). Der Stand war entsprechend nur wenig größer als bei den Regionalmessen aber immerhin gab es alle Modelle zu sehen. Interessant fand ich im BMW-Truck die elektrischen Concept Bikes Vision AMBY und CE02, neue Bausteine für einen sich ändernden Mobilitätsanspruch und -bedarf. 

Ovoabike - nie gehört, aber ein interessantes, ebenfalls elektrisches, Motorrad für den urbanen Bereich
Ovoabike – nie gehört, aber ein interessantes, ebenfalls elektrisches, Motorrad für den urbanen Bereich

Insgesamt zog das Elektro-Thema, vor allem für das urbane Umfeld, spürbar an, auch wenn sich Oldschool-Motorradfans davor schütteln. Die Zukunft des Stadtverkehrs wird definitiv vielfältiger, geruchs- und lärmärmer. So gesehen schließt sich für die INTERMOT in absehbarer Zeit evtl. der Kreis, zurück zur IFMA. Ich würde es begrüßen.

Gut in Szene setzte sich auch der niederländische Importeur MotoMondo mit seinen Marken Moto Morini und Mash. 

Interessant fand ich die Gespanne von Changjiang, das Händlernetz ist da aber noch recht dünn.

Die Piaggio Gruppe war mit Aprilia, Moto Guzzi und Vespa gut und groß vertreten. Die neue Guzzi V100 durfte man aber leider nur angucken, nicht anfassen oder gar probesitzen. Vorbestellen per QR-Code war aber möglich. Sehenswert war die MotoGP Aprilia von Aleix Espargaró. Was für ein Hammerhai!

Suzuki, bei denen man ja bisweilen das Gefühl hatte sie haben keinen Bock mehr auf den europäischen Markt, haben eine Kehrtwende hingelegt und präsentierten sich wirklich gut auf der INTERMOT. Zwar gab es außer zwei Rollern und der offroad­tauglicheren DE-Version (DE steht für Dual Explorer, nicht für Deutschland) der 1050er V-Strom noch nichts Neues, das soll sich aber bald ändern. Christian Vossen als neuer General Manager Sales & Marketing Motorcycle soll den Suzuki-Marktanteil von zwei Prozent im Jahr 2021 mittelfristig auf vier Prozent steigern. Wir wünschen ihm viel Erfolg.

Zündapp mit einem reisetauglichen 500er Zweizylinder
Zündapp mit einem reisetauglichen 500er Zweizylinder

Interessant fand ich den Stand von Zündapp, die hierzulande von der Karcher AG vertrieben werden. Ok, der Name wurde schon vor längerer Zeit an die Chinesen verkauft, die bisher in der Klasse bis 125 ccm produzierten. Neu ist eine 500er Zweizylinder-Reiseenduro im Multistrada-Style, die einen ordentlichen Eindruck machte. Mit knapp 7500 € UVP hebt sie sich aber auch preislich von der ehemaligen Billigware ab. 

Eine ähnliche 500er Reiseenduro fand man am Stand von Voge (Sprich „Wodsch“, hab extra gefragt). Auch bei der Marke sah und fühlte man, dass die Chinesen sich schnell an gehobenere Qualitätsansprüche anpassen – geliefert wird, was der Kunde bezahlt. 

Angenehm geerdet: 350er Hunter von Royal Enfield
Angenehm geerdet: 350er Hunter von Royal Enfield

Ich finde es generell bedauerlich, dass die Chinesen sich den Ruf erst mal ruinieren mussten. Da wollten sicherlich ein paar Manager schnelle Kasse machen und jetzt muss man aus der Nummer erst mal wieder rauskommen. Mit Qualität und Service sollte das gelingen, die Japaner hatten ja damals auch keinen leichten Start.

Im Bereich Bekleidung und Zubehör stachen für mich Nolan/X-Lite, HJC, Arai, MRA, Givi, SW-Motech, Rukka und Stadler hervor. Aber auch an kleineren Ständen, wie z.B. bei RideLink und Rideet ergaben sich interessante Gespräche und diverse andere Anbieter präsentierten sich ebenfalls ordentlich.

Sehenswert: MotoGP Motorräder, u.a. bei Suzuki am Stand
Sehenswert: MotoGP Motorräder, u.a. bei Suzuki am Stand

Im Rahmenprogramm gab es eine Custombike-Show mit echt sehenswerten Exponaten. Die Maschinen wurden leider sehr lieblos präsentiert, der Rotstift war da unübersehbar. 

Die Zeitschrift Motorrad hatte eine 125er Ausstellung mit aktuellen Modellen organisiert, die man auf dem Probefahrtparcours auch testen konnte. Ab 15 Jahren und auch ohne Führerschein. Klasse Sache für B196- und A1-Aspiranten.

Das European Street Freestyle Championship, mit den besten 40 Stunt-Ridern Europas, begann leider (aber verständlich) erst mit den Besuchertagen am Donnerstag. Die Show war sicher klasse, angesichts der Bilder im Netz. 

Und es gab noch mehr zu sehen. Warum also dieser krasse Gegensatz in der Bewertung der Messe? Hot oder Schrott? 

Ich denke, es waren vor allem enttäuschte Erwartungen. Man erwartet bei einer so großen Messe einfach alle Marken, zumal sich die INTERMOT ja an sich selbst messen lassen muss – trotz Corona, Krise und Eicma. Besucher, die nach ihren Internet-Kommentaren in 2,5 Stunden frustriert mit der Messe durch waren, haben sich definitiv nicht wirklich mit dem Gebotenen beschäftigt. Kirmes ohne Essen, Trinken und Karussellfahren ist auch Mist – das hat man selbst in der Hand. Man konnte sich locker einen ganzen Tag von 9 bis 18 Uhr auf der INTERMOT aufhalten, ohne sich zu langweilen. Angesichts dessen fand ich auch die 20 € Eintritt ok – 2x Achterbahn und 2x Breakdancer auf dem Oldenburger Kramermarkt waren teurer und in einem Bruchteil der Zeit vorüber. Völlig abgehoben fand ich hingegen die Gastropreise und die 15 € für ein Parkticket. Das habe ich mir beides nicht gegönnt, irgendwo hört mein Verständnis da dann doch auf.

Das Wichtigste auf Messen: nette Leute und Kollegen treffen (Foto by Uli / moppetfoto.de)
Das Wichtigste auf Messen: nette Leute und Kollegen treffen (Foto by Uli / moppetfoto.de)

Die nächste INTERMOT findet vom 1. bis 6. Oktober 2024 statt – besser sagt man wohl „soll stattfinden“. Auch wenn wir bis dahin von einer Verbesserung der Weltwirtschaftslage ausgehen, so kommen doch einige Änderungen im Mobilitätsbereich auf uns zu. Das Besucherinteresse ist auf jeden Fall groß, das Problem mit dem Ruf haben aber nicht nur die Chinesen. Womit wir wieder bei der Idee zur IFMA wären, der Internationalen Fahrrad- UND Motorrad-Ausstellung. Macht was draus, ich komme gerne wieder nach Köln …

Kommentiert diesen Artikel gerne, insbesondere, wenn ihr selbst die INTERMOT 2022 besucht habt!
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