aus bma 3/11 – Reisebericht (Teil 1), von Günter „Günni” Schiele

Motorradreise_Indien_Royal-EnfieldEs ist 8 Uhr morgens. Ein paar scheue Sonnenstrahlen kämpfen sich mühsam und mit nur mäßigem Erfolg durch eine dichte Wolkendecke. Das Thermometer zeigt knapp über 10 Grad. Wenn man uns jetzt erzählen würde, dass wir uns in nur vier Wochen bei 55 Grad eine kalte Brise herbeisehnen würden – nein, das können wir uns heute nicht vorstellen.

Langsam kommt einer nach dem anderen aus dem Haus, einge­mummelt, als ginge es auf die Schneepiste. Auf dem Hof stehen aber keine Ski sondern 10 brandneue Royal Enfield Bullet, genau so, wie sie vor über 50 Jahren in England gebaut wurden und bis heute im indischen Chennai vom Band laufen.

Und da echte Enfield keinen E-Starter haben, beginnt nun ein Zeremoniell, das sich auf der Reise noch einige Male wiederholen wird. Eigentlich ist es ganz einfach, dieses Bike anzutreten, man muss nur das gehörige Maß an Geduld mitbringen und den richtigen Punkt suchen. Wildes Herumstrampeln führt nur dazu, dass sich unter der Thermokleidung Schweißpfützen bil­den. Aber das werden wir noch lernen. Und dann singen sie, alle Zehne, diese ureigene Enfield-Symphonie. Ganz tief aus dem Keller bollern die Einzylinder mit sonorem Bass. Ein leichter Dreh am Gashahn und es knallt wie Kanonenschüsse.

Motorradreise_Indien Felsen in der TürkeiDas können auch die EU-genormten Schalltüten nicht verhindern. Eine Enfield ist nicht zu überhören, zehn davon klingen wie eine Kriegs­erklärung. Was sollte uns jetzt noch zurückhalten. Im Gänsemarsch don­nerten wir durch das friedliche, verschlafene Heidedörfchen. Unser Ziel: Neu Delhi im fernen Indien. Rund 10.000 Kilometer lagen zwischen hier und dort. 10 Staaten waren zu durchqueren, und keiner von uns wusste so recht, was ihn auf dieser Reise erwartete.

Die Strecke durch Europa betrachteten wir als Anreise. Da uns insgesamt nur sechs Wochen zur Verfügung standen, wollten wir uns auf die Länder konzentrieren, die man nicht mal so einfach besuchen kann. Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Serbien und Bulgarien spulten wir in knapp einer Woche ab. Die hier herrschenden Wettergötter schienen ohnehin nicht sonderlich an unserem Verweilen interessiert gewesen zu sein.

Es regnete unentwegt und war saukalt. Das drückte auf die Stimmung. Die Enfields schaffen nicht mehr als 90 km/h und nun fahrt mal in diesem Schleichtempo 2.500 km Autobahn und versucht bei guter Laune zu bleiben. Wie eine Möhre der Hoffnung hing die Aussicht auf das sonnige Istanbul vor unseren Nasen und ließ uns durchhalten.

Motorradreise_Indien SchwarzmeerküstePünktlich nach fünf Tagen erreichten wir das Tor zum Orient, diese brodelnde Mischung aus Ost und West, aus Alt und Neu, mit den Füßen fest verwurzelt in islamischer Tradition und mit dem Kopf eingebettet in modernste Lebensart abendländischer Kultur. Wir ließen es uns einen Tag gut ergehen, schlen­derten durch den endlos großen Basar, bewunderten Moscheen und Paläste, saßen genüsslich bei Tee oder türkischem Kaffee mit Einheimischen im Cafe und vor lauter Staunen bemerkten wir kaum, dass es auch hier immer wieder regnete und gar nicht sonnig warm war, wie wir es uns erhofft hatten. Istanbul ist berauschend, betörend, dieser Stadt kann man sich nicht entziehen.

Motorradreise_Indien AraratDoch wir mussten weiter. Für die Querung der Türkei hatten wir uns für die wenig besuchte Schwarzmeer­küste entschieden. Und nun konnten wir endlich unsere Zelte auspacken. Der erste Stopp war in Akçakoca. Welch ein Unterschied. Der Campingplatz, einer der schönsten auf der ganzen Reise, lag auf einer treppenförmigen Anhöhe direkt am Meer. Blutrot, schon fast kitschig, versank die Sonne in den Fluten. Und dann die Überraschung. Der Besitzer hatte jahrelang in Frankreich gelebt und dort einiges über die französische Küche gelernt. Das Menu ließ folglich nichts zu wünschen übrig. Aber nicht nur das.

Motorradreise_Indien TeepauseDazu gab es einen prall gefüllten Weinkeller mit den besten Tropfen. Als wir uns spät abends, oder was es schon morgens, schließlich zum Zelt schleppen, fühlten wir uns wie im Paradies. Die Wellen sangen uns sanft in den Schlaf und alle Unbill der Anreise war für immer vergessen.

Was nun folgte, kann als eines der Highlights der Reise eingestuft werden. Die Strecke von Amasra nach Sinop ist ein einziger, 350 km langer Kurvenparcours. Die alte, schmale aber gut erhaltene Straße schlängelt sich fest an der Küste des Schwarzen Meeres entlang. Dabei lässt sie keine einzige Bucht aus.

Motorradreise_Indien Ost-AnatolienMal hat man das Gefühl, fast durch die Brandung zu schwimmen, dann klettert man schon wieder hoch hinauf und wird belohnt durch einen unglaublichen Blick auf die zottig zerklüftete Küste und die bewaldeten Hänge, die bis hinunter ans Wasser reichen. Aber Kurven haben auch ihre Tücken. Seid ihr schon mal hinter jemandem her gefahren, der es plötzlich nicht mehr gebacken kriegt. Genau das ist mir auf dieser wunderschönen Strecke passiert. Alles ging ganz schnell. Paul fuhr mit seiner Sozia schon eine ganze Weile zügig vor mir her. Mit einem Mal sehe ich wie er in einer engen Linkskurve langsam nach außen driftet. Mein Gehirn rast. Was soll ich machen? Was kann ich machen? Nichts kann ich machen. Nur hoffen und verlangsamen. Aber da stürzen die beiden auch schon. Brauner Schlamm und Grasbüschel fliegen durch die Luft. Das Bike bleibt mit der Fußraste hängen und dreht sich einmal um die eigene Achse. Die beiden sind zum Glück etwas abseits im weichen Matsch gelandet. Ich halte an und renne zu ihnen, aber da stehen sie schon wieder auf den Beinen. Die schönen neuen Motorradanzüge sehen allerdings gar nicht mehr so propper aus, Paul und Franzi sind aber heile geblieben und auch die Enfield ist mit ein paar gezielten Tritten wieder voll einsatzfähig.

Motorradreise_Indien IstanbulIn Sinop suchten wir ewig nach einer Bleibe. Bis zur Saison war es noch lange hin und so hatten alle Campingplätze und Hotels geschlossen. Was tun?

Erst mal einen Tee trinken. Und dort, im Teeshop, wartete die Lösung. Ein junger Mann bot sich an, uns für 20 Lira zu einem Platz zu bringen, wo wir unsere Zelte aufschlagen könnten. Wir stimmten zu. Irgendwo mussten wir ja bleiben. Die Fahrt schien endlos. Immer weiter drangen wir ins Nirgendwo ein, bis unsere Fahrt mit­ten im Grünen vor einem verschlossenen Tor endete. Das irritierte unseren Führer in keiner Weise. Laut an den Eisenstäben rüttelnd und rufend machte er sich bemerkbar und tatsächlich trat eine etwas müde wirkende Frau aus einem kleinen Gasthaus. Sie schlur­f­te herbei, ließ sich von unserem Retter erklären, worum es ginge, musterte uns von oben bis unten und gewährte uns Einlass. Sie zeigte nur grob in eine Richtung. Da sollten wir uns einen Platz suchen und wenn wir etwas essen wollten, sollten wir Bescheid geben. Was wir fanden war eine märchenhafte Parkanlage um einen kleinen See gelegen.

Motorradreise_Indien Ishak-Pascha PalastSchnell hatten wir unsere Zelte aufgeschlagen. Die sanitären Anlagen ließen zwar stark zu wünschen übrig, aber die Lage und das was dann kam, entschädigten uns aufs Großzügigste.

Wir hatten beiläufig Kebab mit Salat und Brot bestellt und erwarteten den üblichen türkischen Fast Food. Als wir den kleinen Gastraum betraten, gingen uns vor Staunen die Augen über. Der Tisch bog sich regelrecht unter den Fleischmassen, riesigen Schüsseln mit frischem Salat und köstlichem türkischen Weißbrot, und dazu schon wieder, für ein islamisches Land eher ungewöhnlich, nicht enden wollende Fluten süffigen Weines. Die ganze Familie der Gastgeber hatte sich nach einiger Zeit im Gastraum eingefunden und als das Essen so gut es ging verzehrt war, unterhielten uns zwei der Söhne mit traditioneller türkischer Volksmusik, während der Wein floss und floss.

Der Rest der Strecke entlang der Schwarzmeerküste war leider nicht mehr so spannend. Die kleine Küstenstraße musste als Infra­struktur­maßnahme einer vierspurigen Auto­­bahn weichen und so tuckerten wir ziemlich gelangweilt aber zügig in Richtung Trabzon. Die Fahrt durch das Pontische Gebirge brachte wieder Abwechslung, allerdings auch in klimatischer Hinsicht. Dicke schwarze Wolken behinderten die Sicht auf die Landschaft und als wir eine Passhöhe bei ca. 2.600 Meter erreichten, fanden wir uns in einem Schneegestöber wieder und die Finger drohten uns bei nur wenigen Graden über Null abzufrieren. Schließlich rollten wir in Do ubayazit ein, der letzten Station vor Iran.

Motorradreise_Indien Grenze zum IranDer Grenzübergang in das von Bush und Consorten als “Reich des Bösen” charakterisierte Nachbarland der Türkei war allen Unkenrufen zum Trotz unspektakulär. Hat man die richtigen Unterlagen, insbesondere ein Carnet de Passage für das Fahrzeug und ein gültiges Visum, geht alles recht flott. Und dann waren wir drüben, im Iran. Jeder von uns hatte seine eigenen Vorstellungen. Ich möchte aber mal behaupten, dass keiner seine Vorurteile bestätigt fand. Klar, dass alle Frauen ge­zwung­en sind, diese lächerlichen Kopftücher zu tragen, ist be­fremd­lich, und die vielen schwarzen wandelnden Säcke haben uns anfangs ziemlich er­schreckt. Aber blickt man nur ein wenig hinter die Kulissen, und das ist bei der unglaublichen Gastfreundschaft der Iraner ganz einfach, findet man ein äußerst freundliches, hilfsbereites, wissbegieriges Völkchen. In kaum einem anderen Land hatte ich so viele interessante Gespräche wie hier. Da die Menschen wissen, dass sie sich auf die publizierte Meinung in ihrem Land nicht verlassen können, sind sie an jeder Möglichkeit interessiert, etwas von der Welt da draußen zu erfahren. Und so wird man auf Schritt und Tritt angesprochen und in lange Diskussionen verwickelt. Dabei hat mich besonders die Offenheit und der Mut überrascht, mit der die Menschen das politische System in ihrem Land kritisieren. Nach einigen Tagen fragte ich mich, wer die Machthaber eigentlich unter­stützt und gewählt hat. Die Iraner jedenfalls schei­nen es nicht gewesen zu sein. Aber das wussten wir noch nicht, als wir die ersten Kilometer auf iranischem Asphalt zurücklegten. Was uns jedoch sofort auffiel, waren die guten Straßen, deren Qualität mit der in den meisten europäischen Staaten durchaus vergleichbar ist.

Die Fortsetzung, Erschienen in der bma April-Ausgabe findet Ihr <hier>

Reiseinfo:

  • Reiseziel: Auf dem Landweg nach Indien
Besuchte Länder: Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Serbien, Bulgarien, Türkei, Iran, Pakistan, Indien
  • Dauer der Reise: sechs Wochen
  • Gefahrene Kilometer: ca. 10.000 Kilometer
  • Schwierigkeitsgrad: Mittel, jeder gute Straßenfahrer kann die Tour bewältigen
  • Die wichtigsten Reiseziele: Istanbul, Doğubayazit, Masuleh, Qazvin, Isfahan, Yazd, Shiraz, Persepolis, Quetta, Multan, Lahore, Amritsar, New Delhi
  • Beste Reisezeit: Frühjahr und Herbst
  • Rückreise: Flug ab Delhi, die Motorräder werden per Schiff nach Hamburg Hafen geschickt
  • Einreiseformalitäten: Gültiger Reisepass, Visa für Iran, Pakistan und Indien, Carnet de Passage
  • Keine Impfungen vorgeschrieben.
  • Zu empfehlen sind: Tetanus, Diphtherie, Polio, Hepatitis A und Typhus – Internationaler UND nationaler Führerschein erforderlich
  • Währung: Türkei: YTL (neue Türkische Lira ca. 1 Euro = 2 Lira) Iran: Rial (1 Euro ca. 14.000 Rial) Pakistan: Rupie (1 Euro ca. 100 Rupien) Indien: Rupie (1 Euro ca. 65 Rupien)
  • Unterkunft & Verpflegung: Einfache, saubere, landestypische Hotels und Speisen
  • Sprache & Verständigung: Mit Basiskenntnissen in Englisch kommt man überall gut durch
  • Weitere Informationen: Reiseführer z. B. von Reise-Know-How oder Lonely-Planet
  • Veranstalter & Reservation:
  • Wheel of India GmbH (Günni on Wheels) • Hauptstr. 20 • D-29640 Schneverdingen
  • Email: info@WheelOfIndia.de • info@GuenniOnWheels.de
  • Web: www.WheelOfIndia.dewww.GuenniOnWheels.de
  • Tel.: +49 5193 519191
  • Nächster Termin: 24.08.2011 – 05.11.2011
  • Reise-Preis: 4.598,00 Euro DZ/Frühstück
  • Karten: World Mapping Project, Reise-Know-How-Verlag www.reise-know-how.de/world-mapping-project-m-35.html